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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Zweites Buch.

Da es einmal Velazquez hiess, hat man natürlich hineingesehn:
"eine gesunde, robuste Farbe, den Glanz und das Leben des Fleisches,
wenn auch die Modellirung, sehr durchwühlt, sehr geschrieben, oft in
Trockenheit verfalle, so sehr gehe er auf Präcis ion und peinliche Richtig-
keit aus" 1).

Auch in Paris, im Besitz eines Forschers spanischer Malerei
befindet sich der lachende Rüpel, nur hat Gesicht und Technik mit
der des Wiener Blumenfreunds gar keine Aehnlichkeit. Jener stammt
aus der Sammlung Pedro Ximenez de Haro in Madrid. Das schmale,
widrige Fuchsgesicht eines Hanswurstes, das eine Auge spöttisch gekniffen,
die Hand vorwärts zeigend: schon von weitem verräth sich diess flau
gezeichnete und liederlich gemalte Bild mit seinen stumpf-rothbraunen
Flächen als ein Machwerk der Verfallzeit. In solchen skizzenhaften Bildern,
wo auf fuchsigem Grund Fleich und Draperie wie verschlissene Lumpen
hängen, und kein Strich des Borstenpinsels Verständniss der Formen
entdecken lässt, glauben Viele den flotten Vortrag des Meisters zu
erkennen.

Das grosse Küchenstück im Museum zu Valladolid (140. 1, 50 x 2,10,
von Laurent photographirt) ist eine geschmacklose, diesmal mit dickem
trübem Farbenteig gemalte Aufhäufung von Früchten, Gemüsen, Vögeln,
Fischen, zu der Koch und Köchin noch weitere Massen herbeischaffen.
Das hübsche Mädchen wendet sich freundlich dem jungen Koch zu;
die Hände sind jedoch abscheulich. Auch hier erblickte man, durch
die Brille des Namens, "die richtige Farbe, den wahren Ton absolut und
beziehungsweise", bekennt indess, "dass die Gleichwerthigkeit jedes Theils
und jedes Stücks, ohne sous-entendu und Opfer, die unterschiedslose
Vergeudung der Werthe, Kraftgrade und Accente, zu einer trocknen,
scharfen, fast abstossenden Malerei verleitet habe, ohne Relief, Um-
hüllung und Pläne". Kann man mit mehr kennermässigem Wortschwall
das Wort croaute umschreiben? schlagender die Unklugheit, dieses Stück
dem Maler zuzutheilen, ausdrücken?

Mit einem grossen Bauernstück, das auf der Manchester-Ausstellung
erschien, sind noch ganz andere Kritiker als die angeführten dem Mei-
ster zu nahe getreten 2). Eine an der Erde sitzende Frau hält ihr Kind
auf dem Schooss, das mit einer Traube spielt, daneben, auf dem Rücken
ausgestreckt, ein alter bärtiger Bauer, der es anlacht, und ein junger,

1) Paul Lefort, Gazette des B.-A. 1880. 421. Ebenso wenig ist der lachende
Knabe in der Ermitage (423) echt.
2) W. Bürger, Tresors d'art en Angleterre 123. In der Galerie des Earl of
Listowel.
Zweites Buch.

Da es einmal Velazquez hiess, hat man natürlich hineingesehn:
„eine gesunde, robuste Farbe, den Glanz und das Leben des Fleisches,
wenn auch die Modellirung, sehr durchwühlt, sehr geschrieben, oft in
Trockenheit verfalle, so sehr gehe er auf Präcis ion und peinliche Richtig-
keit aus“ 1).

Auch in Paris, im Besitz eines Forschers spanischer Malerei
befindet sich der lachende Rüpel, nur hat Gesicht und Technik mit
der des Wiener Blumenfreunds gar keine Aehnlichkeit. Jener stammt
aus der Sammlung Pedro Ximenez de Haro in Madrid. Das schmale,
widrige Fuchsgesicht eines Hanswurstes, das eine Auge spöttisch gekniffen,
die Hand vorwärts zeigend: schon von weitem verräth sich diess flau
gezeichnete und liederlich gemalte Bild mit seinen stumpf-rothbraunen
Flächen als ein Machwerk der Verfallzeit. In solchen skizzenhaften Bildern,
wo auf fuchsigem Grund Fleich und Draperie wie verschlissene Lumpen
hängen, und kein Strich des Borstenpinsels Verständniss der Formen
entdecken lässt, glauben Viele den flotten Vortrag des Meisters zu
erkennen.

Das grosse Küchenstück im Museum zu Valladolid (140. 1, 50 × 2,10,
von Laurent photographirt) ist eine geschmacklose, diesmal mit dickem
trübem Farbenteig gemalte Aufhäufung von Früchten, Gemüsen, Vögeln,
Fischen, zu der Koch und Köchin noch weitere Massen herbeischaffen.
Das hübsche Mädchen wendet sich freundlich dem jungen Koch zu;
die Hände sind jedoch abscheulich. Auch hier erblickte man, durch
die Brille des Namens, „die richtige Farbe, den wahren Ton absolut und
beziehungsweise“, bekennt indess, „dass die Gleichwerthigkeit jedes Theils
und jedes Stücks, ohne sous-entendu und Opfer, die unterschiedslose
Vergeudung der Werthe, Kraftgrade und Accente, zu einer trocknen,
scharfen, fast abstossenden Malerei verleitet habe, ohne Relief, Um-
hüllung und Pläne“. Kann man mit mehr kennermässigem Wortschwall
das Wort croûte umschreiben? schlagender die Unklugheit, dieses Stück
dem Maler zuzutheilen, ausdrücken?

Mit einem grossen Bauernstück, das auf der Manchester-Ausstellung
erschien, sind noch ganz andere Kritiker als die angeführten dem Mei-
ster zu nahe getreten 2). Eine an der Erde sitzende Frau hält ihr Kind
auf dem Schooss, das mit einer Traube spielt, daneben, auf dem Rücken
ausgestreckt, ein alter bärtiger Bauer, der es anlacht, und ein junger,

1) Paul Lefort, Gazette des B.-A. 1880. 421. Ebenso wenig ist der lachende
Knabe in der Ermitage (423) echt.
2) W. Bürger, Trésors d’art en Angleterre 123. In der Galerie des Earl of
Listowel.
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[138/0158] Zweites Buch. Da es einmal Velazquez hiess, hat man natürlich hineingesehn: „eine gesunde, robuste Farbe, den Glanz und das Leben des Fleisches, wenn auch die Modellirung, sehr durchwühlt, sehr geschrieben, oft in Trockenheit verfalle, so sehr gehe er auf Präcis ion und peinliche Richtig- keit aus“ 1). Auch in Paris, im Besitz eines Forschers spanischer Malerei befindet sich der lachende Rüpel, nur hat Gesicht und Technik mit der des Wiener Blumenfreunds gar keine Aehnlichkeit. Jener stammt aus der Sammlung Pedro Ximenez de Haro in Madrid. Das schmale, widrige Fuchsgesicht eines Hanswurstes, das eine Auge spöttisch gekniffen, die Hand vorwärts zeigend: schon von weitem verräth sich diess flau gezeichnete und liederlich gemalte Bild mit seinen stumpf-rothbraunen Flächen als ein Machwerk der Verfallzeit. In solchen skizzenhaften Bildern, wo auf fuchsigem Grund Fleich und Draperie wie verschlissene Lumpen hängen, und kein Strich des Borstenpinsels Verständniss der Formen entdecken lässt, glauben Viele den flotten Vortrag des Meisters zu erkennen. Das grosse Küchenstück im Museum zu Valladolid (140. 1, 50 × 2,10, von Laurent photographirt) ist eine geschmacklose, diesmal mit dickem trübem Farbenteig gemalte Aufhäufung von Früchten, Gemüsen, Vögeln, Fischen, zu der Koch und Köchin noch weitere Massen herbeischaffen. Das hübsche Mädchen wendet sich freundlich dem jungen Koch zu; die Hände sind jedoch abscheulich. Auch hier erblickte man, durch die Brille des Namens, „die richtige Farbe, den wahren Ton absolut und beziehungsweise“, bekennt indess, „dass die Gleichwerthigkeit jedes Theils und jedes Stücks, ohne sous-entendu und Opfer, die unterschiedslose Vergeudung der Werthe, Kraftgrade und Accente, zu einer trocknen, scharfen, fast abstossenden Malerei verleitet habe, ohne Relief, Um- hüllung und Pläne“. Kann man mit mehr kennermässigem Wortschwall das Wort croûte umschreiben? schlagender die Unklugheit, dieses Stück dem Maler zuzutheilen, ausdrücken? Mit einem grossen Bauernstück, das auf der Manchester-Ausstellung erschien, sind noch ganz andere Kritiker als die angeführten dem Mei- ster zu nahe getreten 2). Eine an der Erde sitzende Frau hält ihr Kind auf dem Schooss, das mit einer Traube spielt, daneben, auf dem Rücken ausgestreckt, ein alter bärtiger Bauer, der es anlacht, und ein junger, 1) Paul Lefort, Gazette des B.-A. 1880. 421. Ebenso wenig ist der lachende Knabe in der Ermitage (423) echt. 2) W. Bürger, Trésors d’art en Angleterre 123. In der Galerie des Earl of Listowel.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/158>, abgerufen am 25.11.2024.