Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweites Buch.
Italiener einige Kenntniss der Malerei zu1). Er hatte einen
guten Lehrer gehabt in dem Dominikaner Maino. Dass er einen
mehr als gewöhnlich scharfen Blick besass, dafür gibt es mehrere
Belege, z. B. sein Urtheil über Raphaels Spasimo, das dem flo-
rentinischen Gesandten auffiel. Als diess Bild im September 1661
in Madrid eintraf, vermisste er darin die Hand des Meisters.
"Das ist keins der besten Werke Raphaels", sagte er2).

Philipp IV hatte die höchsten Begriffe vom Beruf des spa-
nischen Königs, er war ein Musterkönig der Form nach, aber
die Enthaltung von der ersten königlichen Pflicht hatte er sich
zu einer Art Gewissenssache gemacht. Friedrich der Grosse, als
ihm d'Argens die Etikette Ludwig XV beschrieb, meinte, wenn
er König von Frankreich wäre, möchte er einen zweiten König
ernennen, der das alles an seiner Stelle thäte: ein solcher Rey
por ceremonia
, wie ihn die Spanier nannten, war dieser Philipp.
Seine einzige Regentenhandlung war, dass er die Günstlinge
seines Vaters entsetzte und bestrafte, um dann seinen Günstling
an ihre Stelle zu setzen, -- und dass er diesen einmal gewechselt
hat. Sechs Stunden täglich widmete er den Geschäften, d. h.
er las die Consulten durch und unterzeichnete sie, -- aber er
schien ein Gelübde abgelegt zu haben, nichts zu prüfen, noch
irgend einen Punkt zu verwerfen. Er vertraute der Meinung
seiner Räthe allezeit mehr als der eignen, wenn auch wol-
erwogenen Ansicht: ja er fürchtete sich vor dem eigenen Ge-
wissen und glaubte, es sei sicherer, durch das Votum seiner
Räthe zu irren, als durch eigene Entscheidung. Ein fast unum-
schränkter Monarch, der vierzig Jahre am ersten Ressort der
Staatsmaschine steht, den erschütterndsten Wechselfällen zusieht,
erfüllt vom Gefühl seiner Verantwortlichkeit, seiner Würde, und
der sich dabei versagt, selbst einzugreifen, das ist gewiss eine
erstaunliche Erscheinung3). Die Schicksalsschläge, welche dieser
Regierung folgten, waren nicht minder ausserordentlich.


1) Ne professa egli qualche intelligenza, sagt der nüchterne Venezianer.
He became the best artist of the house of Austria, sagt Stirling ohne irgend eines
dieser Produkte gesehn zu haben S. 512. Daselbst die Aufzählung.
2) Quattro giorni sono fu portato in Palazzo il quadro di Raffaelle da Urbino
mandato a S. Mta. dal Sigr. Conte d' Aiala Vicere di Sicilia, et alla Mta. S. non
parue delle migliori opere di quell' huomo. Et questo e il quadro per il quale
alcuni Palermitani si erano ammutinati mesi sono. Cioli, 28. Sept. 1661.
3) Fa stupire ognuno, sagt Contarini 1641. Manca totalmente di resoluzione,
principalissimo requisito de' Re. Basadonna 1653.

Zweites Buch.
Italiener einige Kenntniss der Malerei zu1). Er hatte einen
guten Lehrer gehabt in dem Dominikaner Maino. Dass er einen
mehr als gewöhnlich scharfen Blick besass, dafür gibt es mehrere
Belege, z. B. sein Urtheil über Raphaels Spasimo, das dem flo-
rentinischen Gesandten auffiel. Als diess Bild im September 1661
in Madrid eintraf, vermisste er darin die Hand des Meisters.
„Das ist keins der besten Werke Raphaels“, sagte er2).

Philipp IV hatte die höchsten Begriffe vom Beruf des spa-
nischen Königs, er war ein Musterkönig der Form nach, aber
die Enthaltung von der ersten königlichen Pflicht hatte er sich
zu einer Art Gewissenssache gemacht. Friedrich der Grosse, als
ihm d’Argens die Etikette Ludwig XV beschrieb, meinte, wenn
er König von Frankreich wäre, möchte er einen zweiten König
ernennen, der das alles an seiner Stelle thäte: ein solcher Rey
por ceremonia
, wie ihn die Spanier nannten, war dieser Philipp.
Seine einzige Regentenhandlung war, dass er die Günstlinge
seines Vaters entsetzte und bestrafte, um dann seinen Günstling
an ihre Stelle zu setzen, — und dass er diesen einmal gewechselt
hat. Sechs Stunden täglich widmete er den Geschäften, d. h.
er las die Consulten durch und unterzeichnete sie, — aber er
schien ein Gelübde abgelegt zu haben, nichts zu prüfen, noch
irgend einen Punkt zu verwerfen. Er vertraute der Meinung
seiner Räthe allezeit mehr als der eignen, wenn auch wol-
erwogenen Ansicht: ja er fürchtete sich vor dem eigenen Ge-
wissen und glaubte, es sei sicherer, durch das Votum seiner
Räthe zu irren, als durch eigene Entscheidung. Ein fast unum-
schränkter Monarch, der vierzig Jahre am ersten Ressort der
Staatsmaschine steht, den erschütterndsten Wechselfällen zusieht,
erfüllt vom Gefühl seiner Verantwortlichkeit, seiner Würde, und
der sich dabei versagt, selbst einzugreifen, das ist gewiss eine
erstaunliche Erscheinung3). Die Schicksalsschläge, welche dieser
Regierung folgten, waren nicht minder ausserordentlich.


1) Ne professa egli qualche intelligenza, sagt der nüchterne Venezianer.
He became the best artist of the house of Austria, sagt Stirling ohne irgend eines
dieser Produkte gesehn zu haben S. 512. Daselbst die Aufzählung.
2) Quattro giorni sono fu portato in Palazzo il quadro di Raffaelle da Urbino
mandato à S. M. dal Sigr. Conte d’ Aiala Vicere di Sicilia, et alla M. S. non
parue delle migliori opere di quell’ huomo. Et questo è il quadro per il quale
alcuni Palermitani si erano ammutinati mesi sono. Cioli, 28. Sept. 1661.
3) Fa stupire ognuno, sagt Contarini 1641. Manca totalmente di resoluzione,
principalissimo requisito de’ Re. Basadonna 1653.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0216" n="194"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch.</fw><lb/>
Italiener einige Kenntniss der Malerei zu<note place="foot" n="1)">Ne professa egli qualche intelligenza, sagt der nüchterne Venezianer.<lb/>
He became the best artist of the house of Austria, sagt Stirling ohne irgend eines<lb/>
dieser Produkte gesehn zu haben S. 512. Daselbst die Aufzählung.</note>. Er hatte einen<lb/>
guten Lehrer gehabt in dem Dominikaner Maino. Dass er einen<lb/>
mehr als gewöhnlich scharfen Blick besass, dafür gibt es mehrere<lb/>
Belege, z. B. sein Urtheil über Raphaels Spasimo, das dem flo-<lb/>
rentinischen Gesandten auffiel. Als diess Bild im September 1661<lb/>
in Madrid eintraf, vermisste er darin die Hand des Meisters.<lb/>
&#x201E;Das ist keins der besten Werke Raphaels&#x201C;, sagte er<note place="foot" n="2)">Quattro giorni sono fu portato in Palazzo il quadro di Raffaelle da Urbino<lb/>
mandato à S. M<hi rendition="#sup"></hi>. dal Sig<hi rendition="#sup">r</hi>. Conte d&#x2019; Aiala Vicere di Sicilia, et alla M<hi rendition="#sup"></hi>. S. non<lb/>
parue delle migliori opere di quell&#x2019; huomo. Et questo è il quadro per il quale<lb/>
alcuni Palermitani si erano ammutinati mesi sono. Cioli, 28. Sept. 1661.</note>.</p><lb/>
          <p>Philipp IV hatte die höchsten Begriffe vom Beruf des spa-<lb/>
nischen Königs, er war ein Musterkönig der Form nach, aber<lb/>
die Enthaltung von der ersten königlichen Pflicht hatte er sich<lb/>
zu einer Art Gewissenssache gemacht. Friedrich der Grosse, als<lb/>
ihm d&#x2019;Argens die Etikette Ludwig XV beschrieb, meinte, wenn<lb/>
er König von Frankreich wäre, möchte er einen zweiten König<lb/>
ernennen, der das alles an seiner Stelle thäte: ein solcher <hi rendition="#i">Rey<lb/>
por ceremonia</hi>, wie ihn die Spanier nannten, war dieser Philipp.<lb/>
Seine einzige Regentenhandlung war, dass er die Günstlinge<lb/>
seines Vaters entsetzte und bestrafte, um dann <hi rendition="#g">seinen</hi> Günstling<lb/>
an ihre Stelle zu setzen, &#x2014; und dass er diesen einmal gewechselt<lb/>
hat. Sechs Stunden täglich widmete er den Geschäften, d. h.<lb/>
er las die Consulten durch und unterzeichnete sie, &#x2014; aber er<lb/>
schien ein Gelübde abgelegt zu haben, nichts zu prüfen, noch<lb/>
irgend einen Punkt zu verwerfen. Er vertraute der Meinung<lb/>
seiner Räthe allezeit mehr als der eignen, wenn auch wol-<lb/>
erwogenen Ansicht: ja er fürchtete sich vor dem eigenen Ge-<lb/>
wissen und glaubte, es sei sicherer, durch das Votum seiner<lb/>
Räthe zu irren, als durch eigene Entscheidung. Ein fast unum-<lb/>
schränkter Monarch, der vierzig Jahre am ersten Ressort der<lb/>
Staatsmaschine steht, den erschütterndsten Wechselfällen zusieht,<lb/>
erfüllt vom Gefühl seiner Verantwortlichkeit, seiner Würde, und<lb/>
der sich dabei versagt, selbst einzugreifen, das ist gewiss eine<lb/>
erstaunliche Erscheinung<note place="foot" n="3)">Fa stupire ognuno, sagt Contarini 1641. Manca totalmente di resoluzione,<lb/>
principalissimo requisito de&#x2019; Re. Basadonna 1653.</note>. Die Schicksalsschläge, welche dieser<lb/>
Regierung folgten, waren nicht minder ausserordentlich.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[194/0216] Zweites Buch. Italiener einige Kenntniss der Malerei zu 1). Er hatte einen guten Lehrer gehabt in dem Dominikaner Maino. Dass er einen mehr als gewöhnlich scharfen Blick besass, dafür gibt es mehrere Belege, z. B. sein Urtheil über Raphaels Spasimo, das dem flo- rentinischen Gesandten auffiel. Als diess Bild im September 1661 in Madrid eintraf, vermisste er darin die Hand des Meisters. „Das ist keins der besten Werke Raphaels“, sagte er 2). Philipp IV hatte die höchsten Begriffe vom Beruf des spa- nischen Königs, er war ein Musterkönig der Form nach, aber die Enthaltung von der ersten königlichen Pflicht hatte er sich zu einer Art Gewissenssache gemacht. Friedrich der Grosse, als ihm d’Argens die Etikette Ludwig XV beschrieb, meinte, wenn er König von Frankreich wäre, möchte er einen zweiten König ernennen, der das alles an seiner Stelle thäte: ein solcher Rey por ceremonia, wie ihn die Spanier nannten, war dieser Philipp. Seine einzige Regentenhandlung war, dass er die Günstlinge seines Vaters entsetzte und bestrafte, um dann seinen Günstling an ihre Stelle zu setzen, — und dass er diesen einmal gewechselt hat. Sechs Stunden täglich widmete er den Geschäften, d. h. er las die Consulten durch und unterzeichnete sie, — aber er schien ein Gelübde abgelegt zu haben, nichts zu prüfen, noch irgend einen Punkt zu verwerfen. Er vertraute der Meinung seiner Räthe allezeit mehr als der eignen, wenn auch wol- erwogenen Ansicht: ja er fürchtete sich vor dem eigenen Ge- wissen und glaubte, es sei sicherer, durch das Votum seiner Räthe zu irren, als durch eigene Entscheidung. Ein fast unum- schränkter Monarch, der vierzig Jahre am ersten Ressort der Staatsmaschine steht, den erschütterndsten Wechselfällen zusieht, erfüllt vom Gefühl seiner Verantwortlichkeit, seiner Würde, und der sich dabei versagt, selbst einzugreifen, das ist gewiss eine erstaunliche Erscheinung 3). Die Schicksalsschläge, welche dieser Regierung folgten, waren nicht minder ausserordentlich. 1) Ne professa egli qualche intelligenza, sagt der nüchterne Venezianer. He became the best artist of the house of Austria, sagt Stirling ohne irgend eines dieser Produkte gesehn zu haben S. 512. Daselbst die Aufzählung. 2) Quattro giorni sono fu portato in Palazzo il quadro di Raffaelle da Urbino mandato à S. Mtà. dal Sigr. Conte d’ Aiala Vicere di Sicilia, et alla Mtà. S. non parue delle migliori opere di quell’ huomo. Et questo è il quadro per il quale alcuni Palermitani si erano ammutinati mesi sono. Cioli, 28. Sept. 1661. 3) Fa stupire ognuno, sagt Contarini 1641. Manca totalmente di resoluzione, principalissimo requisito de’ Re. Basadonna 1653.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/216
Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/216>, abgerufen am 21.11.2024.