Einfachheit scheint nun auch für die Hofporträtisten das Lo- sungswort geworden zu sein. Gegen die Farben ist man mindestens gleichgültig; die meisten dieser Bildnisse sind fast nur mit Schwarz und Weiss gemalt; wo die Stoffe lebhafte Localfarben hatten, werden diese möglichst gedämpft. Dagegen ist alles aufgeboten -- und geopfert -- für die plastische Wirkung. Das Licht fällt von links in den geschlossenen Raum, und erhellt in breiten Flächen die Gestalt, nur Schattenpunkte und Schattenstreifen übriglassend. Ohne ein Minimum von Schatten glaubte der Maler, der die Venezianer noch nicht studirt hatte, würde die Figur ins Flache fallen. Diese Schatten sind zwar scharf ab- gesetzt, aber durch Reflexlicht erhellt, und oft so zart, dass man sieht, der Maler ist auf dem Wege zum Schattenlosen. Vielleicht aber besorgte er auch, dass eine ganz helle Ge- sichtsfläche die einzelnen Theile isolirt, kleinlich, ja wie an- geheftet erscheinen lasse. Schatten dienen nicht bloss dem Relief, sie können auch dem Antlitz Einheit, Zusammenhang und Harmonie, ja Geist geben. Der obere Schatten der Au- genhöhlen, seine Verbindung mit dem der Schläfen, der Backen- knochen und den Haaren macht das Auge grösser. Der Schattenstreifen welcher die Form der Stirnwölbung markirt, zu den Augenbrauen einbiegt, an der Nase herabsteigt und noch einmal im Kinn herausspringt, bildet eine grosse continuir- liche Linie, die wie eine verstärkte Contour, characteristische Formen zu veranschaulichen bestimmt ist. Die Betonung des oberen Augenbogens, der Unterlippe und des Kinns geschah nicht bloss der Aehnlichkeit wegen: nach der Ansicht der Physiog- nomiker ruht in diesen Theilen der Ausdruck der Würde.
Die Figur ferner ist alles, die Umgebung nichts. Später giebt er Bildnissen in ganzer Figur landschaftliche Fernen, Zimmerdurchblicke. Hier ist der Grund, ausgenommen ein Ende von Tisch und Stuhl, völlig leer. Manchmal sind Fussboden und Wand kaum unterschieden. Diese leere Fläche ist in einem neu- tralen, kühlen, hellgrauen Ton, der jedoch den Eindruck einer unbestimmten Tiefe macht. Nur eine hellere und dunklere Hälfte bemerkt man, durch eine Diagonale getrennt. In der dunklen steht der Kopf, auf den das meiste Licht gesammelt ist. Auch hat er unterlassen, den dünnen Beinen durch beschattete Umge- bung Festigkeit zu geben. Die Figur erscheint wie im Leeren: zwar sieht man ihren Schlagschatten, aber er scheint an keinem Körper zu haften.
Zweites Buch.
Einfachheit scheint nun auch für die Hofporträtisten das Lo- sungswort geworden zu sein. Gegen die Farben ist man mindestens gleichgültig; die meisten dieser Bildnisse sind fast nur mit Schwarz und Weiss gemalt; wo die Stoffe lebhafte Localfarben hatten, werden diese möglichst gedämpft. Dagegen ist alles aufgeboten — und geopfert — für die plastische Wirkung. Das Licht fällt von links in den geschlossenen Raum, und erhellt in breiten Flächen die Gestalt, nur Schattenpunkte und Schattenstreifen übriglassend. Ohne ein Minimum von Schatten glaubte der Maler, der die Venezianer noch nicht studirt hatte, würde die Figur ins Flache fallen. Diese Schatten sind zwar scharf ab- gesetzt, aber durch Reflexlicht erhellt, und oft so zart, dass man sieht, der Maler ist auf dem Wege zum Schattenlosen. Vielleicht aber besorgte er auch, dass eine ganz helle Ge- sichtsfläche die einzelnen Theile isolirt, kleinlich, ja wie an- geheftet erscheinen lasse. Schatten dienen nicht bloss dem Relief, sie können auch dem Antlitz Einheit, Zusammenhang und Harmonie, ja Geist geben. Der obere Schatten der Au- genhöhlen, seine Verbindung mit dem der Schläfen, der Backen- knochen und den Haaren macht das Auge grösser. Der Schattenstreifen welcher die Form der Stirnwölbung markirt, zu den Augenbrauen einbiegt, an der Nase herabsteigt und noch einmal im Kinn herausspringt, bildet eine grosse continuir- liche Linie, die wie eine verstärkte Contour, characteristische Formen zu veranschaulichen bestimmt ist. Die Betonung des oberen Augenbogens, der Unterlippe und des Kinns geschah nicht bloss der Aehnlichkeit wegen: nach der Ansicht der Physiog- nomiker ruht in diesen Theilen der Ausdruck der Würde.
Die Figur ferner ist alles, die Umgebung nichts. Später giebt er Bildnissen in ganzer Figur landschaftliche Fernen, Zimmerdurchblicke. Hier ist der Grund, ausgenommen ein Ende von Tisch und Stuhl, völlig leer. Manchmal sind Fussboden und Wand kaum unterschieden. Diese leere Fläche ist in einem neu- tralen, kühlen, hellgrauen Ton, der jedoch den Eindruck einer unbestimmten Tiefe macht. Nur eine hellere und dunklere Hälfte bemerkt man, durch eine Diagonale getrennt. In der dunklen steht der Kopf, auf den das meiste Licht gesammelt ist. Auch hat er unterlassen, den dünnen Beinen durch beschattete Umge- bung Festigkeit zu geben. Die Figur erscheint wie im Leeren: zwar sieht man ihren Schlagschatten, aber er scheint an keinem Körper zu haften.
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[200/0222]
Zweites Buch.
Einfachheit scheint nun auch für die Hofporträtisten das Lo-
sungswort geworden zu sein. Gegen die Farben ist man mindestens
gleichgültig; die meisten dieser Bildnisse sind fast nur mit Schwarz
und Weiss gemalt; wo die Stoffe lebhafte Localfarben hatten,
werden diese möglichst gedämpft. Dagegen ist alles aufgeboten
— und geopfert — für die plastische Wirkung. Das Licht
fällt von links in den geschlossenen Raum, und erhellt in breiten
Flächen die Gestalt, nur Schattenpunkte und Schattenstreifen
übriglassend. Ohne ein Minimum von Schatten glaubte der
Maler, der die Venezianer noch nicht studirt hatte, würde die
Figur ins Flache fallen. Diese Schatten sind zwar scharf ab-
gesetzt, aber durch Reflexlicht erhellt, und oft so zart, dass
man sieht, der Maler ist auf dem Wege zum Schattenlosen.
Vielleicht aber besorgte er auch, dass eine ganz helle Ge-
sichtsfläche die einzelnen Theile isolirt, kleinlich, ja wie an-
geheftet erscheinen lasse. Schatten dienen nicht bloss dem
Relief, sie können auch dem Antlitz Einheit, Zusammenhang
und Harmonie, ja Geist geben. Der obere Schatten der Au-
genhöhlen, seine Verbindung mit dem der Schläfen, der Backen-
knochen und den Haaren macht das Auge grösser. Der
Schattenstreifen welcher die Form der Stirnwölbung markirt,
zu den Augenbrauen einbiegt, an der Nase herabsteigt und
noch einmal im Kinn herausspringt, bildet eine grosse continuir-
liche Linie, die wie eine verstärkte Contour, characteristische
Formen zu veranschaulichen bestimmt ist. Die Betonung des
oberen Augenbogens, der Unterlippe und des Kinns geschah nicht
bloss der Aehnlichkeit wegen: nach der Ansicht der Physiog-
nomiker ruht in diesen Theilen der Ausdruck der Würde.
Die Figur ferner ist alles, die Umgebung nichts. Später
giebt er Bildnissen in ganzer Figur landschaftliche Fernen,
Zimmerdurchblicke. Hier ist der Grund, ausgenommen ein Ende
von Tisch und Stuhl, völlig leer. Manchmal sind Fussboden und
Wand kaum unterschieden. Diese leere Fläche ist in einem neu-
tralen, kühlen, hellgrauen Ton, der jedoch den Eindruck einer
unbestimmten Tiefe macht. Nur eine hellere und dunklere Hälfte
bemerkt man, durch eine Diagonale getrennt. In der dunklen
steht der Kopf, auf den das meiste Licht gesammelt ist. Auch
hat er unterlassen, den dünnen Beinen durch beschattete Umge-
bung Festigkeit zu geben. Die Figur erscheint wie im Leeren:
zwar sieht man ihren Schlagschatten, aber er scheint an keinem
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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/222>, abgerufen am 21.11.2024.
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