Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.Olivares. dessen verbindliche Manieren mit einem dort an solcher Stelle un-erhörten, hochfahrenden, herauspolternden (scabrosita), unhöflichen (malcriato) Benehmen gegen Personen auch vornehmen Standes, also dass er schon in diesem ersten Jahre den "allgemeinen Hass" auf sich lud, und man laut nach seiner Entfernung vom Hofe rief. Wer hätte damals geahnt, dass noch volle zweiund- zwanzig Jahre seiner Herrschaft bevorstanden! Ueber keinen Minister sind so viele Pasquille ausgeschüttet worden: "Jeder- mann wünschte seinen Tod"; ja man wünschte des Königs Tod (das musste dieser selbst lesen), um den Minister loszuwerden. Denn seit dem Ableben Zunniga's (im Oktober 1622) war er ohne Nebenbuhler. Schon im Frühjahr hatte er den Stempel (estam- pilla) der königlichen Namensunterschrift, in Folge dessen leerte sich die Antecamara. Als einmal nur zwei Bittsteller erschienen waren und der König sein Befremden äusserte, führte ihn der Ayuda de camara an ein Fenster und zeigte auf den Schwarm, der vor den Gemächern des Olivares ab- und zuströmte. Um dem jungen Mann einen niederschlagenden Eindruck vom Um- fang der Regierungssorgen zu geben, erschien er oft belastet mit Schriftstücken, einen Kranz von Memorialen hinter dem Hutband (Re de papelli!), aus Busen und Gürtel zog er Consulten; wenn er ausfuhr, nahm er Bücher und Mappen mit Registern zu sich. Deshalb nannte man ihn bei Hofe el espantajo de los Reyes. Wirklich aber that er alles, um das Versäumte nachzu- holen. Er entsagte den Vergnügungen, seine Tafel wurde frugal, seine Einrichtung schlicht, er arbeitete Tag und Nacht, sodass man sich wunderte, wie er es vertrug; er erhob sich eine Stunde vor der Sonne. Oft empfing er die Gesandten im Bett, wenn er von den Geschäften ausruhte oder eine Purganz nahm. Philipp konnte nicht mehr ohne ihn sein, Don Gaspar's erster Gang morgens war zu ihm; traf er ihn im Bett, so trug er ihm kniend das Programm des Tages vor, ebenso kam er nach dem Essen und vor dem Schlafengehen. Für die Ausführung des Planes, den gekrönten Knaben (für den er eine schwärmerische Ver- ehrung zur Schau trug) von der Regierung abzulenken, war Niemand vorbereiteter als dieser alte Bachiller von Salamanca, der auch in seinem dornenvollen Ministerleben lebhafte Bezie- hungen zu geistreichen Männern wie Quevedo und Gongora unterhielt. Zahlreiche Dedicationen führen seinen Namen, z. B. Lope's Circe, Argensola's Fortsetzung der Zurita'schen Annalen, der Petron von 1629. -- Seine grosse Bibliothek brachte er in 14
Olivares. dessen verbindliche Manieren mit einem dort an solcher Stelle un-erhörten, hochfahrenden, herauspolternden (scabrosità), unhöflichen (malcriato) Benehmen gegen Personen auch vornehmen Standes, also dass er schon in diesem ersten Jahre den „allgemeinen Hass“ auf sich lud, und man laut nach seiner Entfernung vom Hofe rief. Wer hätte damals geahnt, dass noch volle zweiund- zwanzig Jahre seiner Herrschaft bevorstanden! Ueber keinen Minister sind so viele Pasquille ausgeschüttet worden: „Jeder- mann wünschte seinen Tod“; ja man wünschte des Königs Tod (das musste dieser selbst lesen), um den Minister loszuwerden. Denn seit dem Ableben Zúñiga’s (im Oktober 1622) war er ohne Nebenbuhler. Schon im Frühjahr hatte er den Stempel (estam- pilla) der königlichen Namensunterschrift, in Folge dessen leerte sich die Antecamara. Als einmal nur zwei Bittsteller erschienen waren und der König sein Befremden äusserte, führte ihn der Ayuda de cámara an ein Fenster und zeigte auf den Schwarm, der vor den Gemächern des Olivares ab- und zuströmte. Um dem jungen Mann einen niederschlagenden Eindruck vom Um- fang der Regierungssorgen zu geben, erschien er oft belastet mit Schriftstücken, einen Kranz von Memorialen hinter dem Hutband (Rè de papelli!), aus Busen und Gürtel zog er Consulten; wenn er ausfuhr, nahm er Bücher und Mappen mit Registern zu sich. Deshalb nannte man ihn bei Hofe el espantajo de los Reyes. Wirklich aber that er alles, um das Versäumte nachzu- holen. Er entsagte den Vergnügungen, seine Tafel wurde frugal, seine Einrichtung schlicht, er arbeitete Tag und Nacht, sodass man sich wunderte, wie er es vertrug; er erhob sich eine Stunde vor der Sonne. Oft empfing er die Gesandten im Bett, wenn er von den Geschäften ausruhte oder eine Purganz nahm. Philipp konnte nicht mehr ohne ihn sein, Don Gaspar’s erster Gang morgens war zu ihm; traf er ihn im Bett, so trug er ihm kniend das Programm des Tages vor, ebenso kam er nach dem Essen und vor dem Schlafengehen. Für die Ausführung des Planes, den gekrönten Knaben (für den er eine schwärmerische Ver- ehrung zur Schau trug) von der Regierung abzulenken, war Niemand vorbereiteter als dieser alte Bachiller von Salamanca, der auch in seinem dornenvollen Ministerleben lebhafte Bezie- hungen zu geistreichen Männern wie Quevedo und Gongora unterhielt. Zahlreiche Dedicationen führen seinen Namen, z. B. Lope’s Circe, Argensola’s Fortsetzung der Zurita’schen Annalen, der Petron von 1629. — Seine grosse Bibliothek brachte er in 14
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Olivares.
dessen verbindliche Manieren mit einem dort an solcher Stelle un-
erhörten, hochfahrenden, herauspolternden (scabrosità), unhöflichen
(malcriato) Benehmen gegen Personen auch vornehmen Standes,
also dass er schon in diesem ersten Jahre den „allgemeinen
Hass“ auf sich lud, und man laut nach seiner Entfernung vom
Hofe rief. Wer hätte damals geahnt, dass noch volle zweiund-
zwanzig Jahre seiner Herrschaft bevorstanden! Ueber keinen
Minister sind so viele Pasquille ausgeschüttet worden: „Jeder-
mann wünschte seinen Tod“; ja man wünschte des Königs Tod
(das musste dieser selbst lesen), um den Minister loszuwerden.
Denn seit dem Ableben Zúñiga’s (im Oktober 1622) war er ohne
Nebenbuhler. Schon im Frühjahr hatte er den Stempel (estam-
pilla) der königlichen Namensunterschrift, in Folge dessen leerte
sich die Antecamara. Als einmal nur zwei Bittsteller erschienen
waren und der König sein Befremden äusserte, führte ihn der
Ayuda de cámara an ein Fenster und zeigte auf den Schwarm,
der vor den Gemächern des Olivares ab- und zuströmte. Um
dem jungen Mann einen niederschlagenden Eindruck vom Um-
fang der Regierungssorgen zu geben, erschien er oft belastet
mit Schriftstücken, einen Kranz von Memorialen hinter dem
Hutband (Rè de papelli!), aus Busen und Gürtel zog er Consulten;
wenn er ausfuhr, nahm er Bücher und Mappen mit Registern
zu sich. Deshalb nannte man ihn bei Hofe el espantajo de los
Reyes. Wirklich aber that er alles, um das Versäumte nachzu-
holen. Er entsagte den Vergnügungen, seine Tafel wurde frugal,
seine Einrichtung schlicht, er arbeitete Tag und Nacht, sodass
man sich wunderte, wie er es vertrug; er erhob sich eine Stunde
vor der Sonne. Oft empfing er die Gesandten im Bett, wenn er
von den Geschäften ausruhte oder eine Purganz nahm. Philipp
konnte nicht mehr ohne ihn sein, Don Gaspar’s erster Gang
morgens war zu ihm; traf er ihn im Bett, so trug er ihm kniend
das Programm des Tages vor, ebenso kam er nach dem Essen
und vor dem Schlafengehen. Für die Ausführung des Planes,
den gekrönten Knaben (für den er eine schwärmerische Ver-
ehrung zur Schau trug) von der Regierung abzulenken, war
Niemand vorbereiteter als dieser alte Bachiller von Salamanca,
der auch in seinem dornenvollen Ministerleben lebhafte Bezie-
hungen zu geistreichen Männern wie Quevedo und Gongora
unterhielt. Zahlreiche Dedicationen führen seinen Namen, z. B.
Lope’s Circe, Argensola’s Fortsetzung der Zurita’schen Annalen,
der Petron von 1629. — Seine grosse Bibliothek brachte er in
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