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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Velazquez.
Zeit, sondern auch ein Bild der Sitten und des Costüms, der
Scenen auf Gassen und Plätzen, in Park und Kirche, in Palast
und Posade, wie es aus Chroniken und Memoiren nicht besser
zusammenzubringen ist1); und in der Lebensweisheit des Dichters
des Lebenstraums und der Andacht zum Kreuz ist mehr Men-
schenkenntnis und gesunder Menschenverstand, als in manchen,
die sich zur Religion der reinen Humanität bekennen. Dieser
Vertheidiger des "Adels der Malerei" sagt auch, "die Maler seien
weiter nichts als Nachahmer der grossen Natur."

Woher ist dieser Zug in das spanische Wesen gekommen?
Ist er ein Erbstück der iberischen Ureltern? ein Erzeugniss
von Boden und Clima? Oder ist er in jenem Umtausch der
Eigenschaften, wie ihn der Kampf mit sich bringt, von ihren jahr-
hundertelangen Zwingherrn auf sie übergegangen? "Der Araber,
sagt Dozy, hat wenig Phantasie und keine Erfindung, aber eine
Vorliebe für das Wirkliche und Positive. Die arabischen Dichter
beschreiben was sie sehen und erleben, aber sie erfinden nichts"2).
So nennt Cervantes die Rittergedichte Lügenbücher (libros
mentirosos).
Hätten die Araber Maler haben können, sie würden
wahrscheinlich Bildnisse, Jagden, Festspiele und Sittenbilder ge-
malt haben, wie wir sie im Justicia-Saal der Alhambra sehen,
aber, wie ich glaube, von Spaniern gemalt. Dieser Zug ist auch
der spanischen Malerei von heute eigen, die sich ohne eigent-
lichen Zusammenhang mit der Vergangenheit ganz frei ge-
bildet hat.

Wie dem auch sei, diese Eigenschaft hat sich zur rechten
Stunde ein Auge als Organ zubereitet, das für die Aufnahme
der sichtbaren Erscheinung mit ungewöhnlicher Vollkommenheit
angelegt war. "Man glaubt bei ihm die Natur in einer Camera
obscura zu beobachten." Völlig gebunden in der Wahl der
Stoffe durch seine amtliche Stellung, scheinen ihn insgeheim
nur seine optisch-malerischen Probleme zu interessiren. Oft
zog ihn das schwer fassbare und darstellbare an, was aber zugleich
das nächste und alltäglichste war, wie das allverbreitete Tages-
licht: er hat Aufgaben sich gestellt, auf die man erst in der
neuesten Zeit wieder gekommen ist. Richtig ist freilich, dass
dafür auch wenige so enthaltsam gewesen sind im Gebrauch der

1) Adolfo de Castro, Discurso ac. de los costumbres de los Espannoles en el
s. XVII fundado en las comedias de Calderon. Madrid 1881. Julio Monreal,
Cuadros viejos. Madrid 1878.
2) Histoire des Musulmans d'Espagne I, 13.

Velazquez.
Zeit, sondern auch ein Bild der Sitten und des Costüms, der
Scenen auf Gassen und Plätzen, in Park und Kirche, in Palast
und Posade, wie es aus Chroniken und Memoiren nicht besser
zusammenzubringen ist1); und in der Lebensweisheit des Dichters
des Lebenstraums und der Andacht zum Kreuz ist mehr Men-
schenkenntnis und gesunder Menschenverstand, als in manchen,
die sich zur Religion der reinen Humanität bekennen. Dieser
Vertheidiger des „Adels der Malerei“ sagt auch, „die Maler seien
weiter nichts als Nachahmer der grossen Natur.“

Woher ist dieser Zug in das spanische Wesen gekommen?
Ist er ein Erbstück der iberischen Ureltern? ein Erzeugniss
von Boden und Clima? Oder ist er in jenem Umtausch der
Eigenschaften, wie ihn der Kampf mit sich bringt, von ihren jahr-
hundertelangen Zwingherrn auf sie übergegangen? „Der Araber,
sagt Dozy, hat wenig Phantasie und keine Erfindung, aber eine
Vorliebe für das Wirkliche und Positive. Die arabischen Dichter
beschreiben was sie sehen und erleben, aber sie erfinden nichts“2).
So nennt Cervantes die Rittergedichte Lügenbücher (libros
mentirosos).
Hätten die Araber Maler haben können, sie würden
wahrscheinlich Bildnisse, Jagden, Festspiele und Sittenbilder ge-
malt haben, wie wir sie im Justicia-Saal der Alhambra sehen,
aber, wie ich glaube, von Spaniern gemalt. Dieser Zug ist auch
der spanischen Malerei von heute eigen, die sich ohne eigent-
lichen Zusammenhang mit der Vergangenheit ganz frei ge-
bildet hat.

Wie dem auch sei, diese Eigenschaft hat sich zur rechten
Stunde ein Auge als Organ zubereitet, das für die Aufnahme
der sichtbaren Erscheinung mit ungewöhnlicher Vollkommenheit
angelegt war. „Man glaubt bei ihm die Natur in einer Camera
obscura zu beobachten.“ Völlig gebunden in der Wahl der
Stoffe durch seine amtliche Stellung, scheinen ihn insgeheim
nur seine optisch-malerischen Probleme zu interessiren. Oft
zog ihn das schwer fassbare und darstellbare an, was aber zugleich
das nächste und alltäglichste war, wie das allverbreitete Tages-
licht: er hat Aufgaben sich gestellt, auf die man erst in der
neuesten Zeit wieder gekommen ist. Richtig ist freilich, dass
dafür auch wenige so enthaltsam gewesen sind im Gebrauch der

1) Adolfo de Castro, Discurso ac. de los costumbres de los Españoles en el
s. XVII fundado en las comedias de Calderon. Madrid 1881. Julio Monreal,
Cuadros viejos. Madrid 1878.
2) Histoire des Musulmans d’Espagne I, 13.
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[7/0027] Velazquez. Zeit, sondern auch ein Bild der Sitten und des Costüms, der Scenen auf Gassen und Plätzen, in Park und Kirche, in Palast und Posade, wie es aus Chroniken und Memoiren nicht besser zusammenzubringen ist 1); und in der Lebensweisheit des Dichters des Lebenstraums und der Andacht zum Kreuz ist mehr Men- schenkenntnis und gesunder Menschenverstand, als in manchen, die sich zur Religion der reinen Humanität bekennen. Dieser Vertheidiger des „Adels der Malerei“ sagt auch, „die Maler seien weiter nichts als Nachahmer der grossen Natur.“ Woher ist dieser Zug in das spanische Wesen gekommen? Ist er ein Erbstück der iberischen Ureltern? ein Erzeugniss von Boden und Clima? Oder ist er in jenem Umtausch der Eigenschaften, wie ihn der Kampf mit sich bringt, von ihren jahr- hundertelangen Zwingherrn auf sie übergegangen? „Der Araber, sagt Dozy, hat wenig Phantasie und keine Erfindung, aber eine Vorliebe für das Wirkliche und Positive. Die arabischen Dichter beschreiben was sie sehen und erleben, aber sie erfinden nichts“ 2). So nennt Cervantes die Rittergedichte Lügenbücher (libros mentirosos). Hätten die Araber Maler haben können, sie würden wahrscheinlich Bildnisse, Jagden, Festspiele und Sittenbilder ge- malt haben, wie wir sie im Justicia-Saal der Alhambra sehen, aber, wie ich glaube, von Spaniern gemalt. Dieser Zug ist auch der spanischen Malerei von heute eigen, die sich ohne eigent- lichen Zusammenhang mit der Vergangenheit ganz frei ge- bildet hat. Wie dem auch sei, diese Eigenschaft hat sich zur rechten Stunde ein Auge als Organ zubereitet, das für die Aufnahme der sichtbaren Erscheinung mit ungewöhnlicher Vollkommenheit angelegt war. „Man glaubt bei ihm die Natur in einer Camera obscura zu beobachten.“ Völlig gebunden in der Wahl der Stoffe durch seine amtliche Stellung, scheinen ihn insgeheim nur seine optisch-malerischen Probleme zu interessiren. Oft zog ihn das schwer fassbare und darstellbare an, was aber zugleich das nächste und alltäglichste war, wie das allverbreitete Tages- licht: er hat Aufgaben sich gestellt, auf die man erst in der neuesten Zeit wieder gekommen ist. Richtig ist freilich, dass dafür auch wenige so enthaltsam gewesen sind im Gebrauch der 1) Adolfo de Castro, Discurso ac. de los costumbres de los Españoles en el s. XVII fundado en las comedias de Calderon. Madrid 1881. Julio Monreal, Cuadros viejos. Madrid 1878. 2) Histoire des Musulmans d’Espagne I, 13.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/27>, abgerufen am 21.11.2024.