Klarheit und Reflexlicht verleihen konnte, das hätte ihm als Maler vor allen Dingen einleuchten müssen.
So bliebe nur der Gegenstand! Man könnte zwar sagen, dass Bacchus und sein bocksfüssiger Anhang nicht von Rubens entdeckt worden sind, dass letzterer seit mehr als einem Jahr- hundert in der sogenannten Berrugueteornamentik sogar an christlichen Altären sein Wesen getrieben hatte; dass ein Haupt- element des Rubens'schen Bacchanals, das lascive fehlt. Allein es mag sein, der Schwarm von Fabelwesen, mit dem er die könig- lichen Schlösser überschwemmte, kann Velazquez gereizt haben, sich auch in diesen Stoffen einmal zu versuchen; in der That da- tiren die ihm als Künstler werthen Darstellungen des Nackten seit diesem Jahre. Allein das ist auch Alles. Wir denken uns, er habe diese flämisch-welschen Götter, Halbgötter und Ungeheuer mit ähnlichem Humor betrachtet, wie etwa Rembrandt, als er seinen Ganymed erfand. Er wollte zeigen wie er sich ein solches Gelage vorstellte. Man sehe neben dem lustigen Getümmel des flämischen Komus das schwere Phlegma und den trivialen Cynismus dieser castilischen Bacchusbrüder; ihre stupende In- dividualisirung neben jenen Atelierfiguren, stereotyp wie Ab- güsse!
Wenn man aber den spätern Velazquezstil von Rubens herleiten will, so vergisst man die Regel der alten Schulphilo- sophen: qui bene distinguit, bene docet. Wer sich das Schauspiel einer starken Kontrastwirkung zwischen Coloristen verschaffen will, der muss beide nebeneinander sehn. Die Factur des Rubens ist frei und die des Velazquez ist frei, aber die Freiheit beider hat nicht die mindeste Verwandtschaft. Der Ton des Rubens ist hell und der des Velazquez ist hell, aber dieser ist der kühle Silber- ton des allverbreiteten Tageslichts mit möglichster Zurückstellung der Farbe, jener ein harmonischer Farbenlärm, mittelst gesät- tigtster, lichtgetränkter Tinten und durchleuchteter Schatten; dort hervorgebracht mit der grössten Einfachheit, hier mit Verschwen- dung der Mittel. Kurz, wir wundern uns vielmehr, dass er sich so völlig frei gehalten von dem übermächtigen Einfluss dieses Künstlers, dem sonst die ganze Schule von Madrid mehr oder weniger nachgegeben hat.
Es liegt hier also wieder ein Fall der Sucht nach Ein- flüssen vor. Nicht weil man auf rätselhafte, erklärungsbedürf- tige Thatsachen trifft, forscht man nach Ursachen und Berüh- rungen; nein, weil man von einer Begegnung liest, folgert man
Rubens Einfluss auf Velazquez.
Klarheit und Reflexlicht verleihen konnte, das hätte ihm als Maler vor allen Dingen einleuchten müssen.
So bliebe nur der Gegenstand! Man könnte zwar sagen, dass Bacchus und sein bocksfüssiger Anhang nicht von Rubens entdeckt worden sind, dass letzterer seit mehr als einem Jahr- hundert in der sogenannten Berrugueteornamentik sogar an christlichen Altären sein Wesen getrieben hatte; dass ein Haupt- element des Rubens’schen Bacchanals, das lascive fehlt. Allein es mag sein, der Schwarm von Fabelwesen, mit dem er die könig- lichen Schlösser überschwemmte, kann Velazquez gereizt haben, sich auch in diesen Stoffen einmal zu versuchen; in der That da- tiren die ihm als Künstler werthen Darstellungen des Nackten seit diesem Jahre. Allein das ist auch Alles. Wir denken uns, er habe diese flämisch-welschen Götter, Halbgötter und Ungeheuer mit ähnlichem Humor betrachtet, wie etwa Rembrandt, als er seinen Ganymed erfand. Er wollte zeigen wie er sich ein solches Gelage vorstellte. Man sehe neben dem lustigen Getümmel des flämischen Komus das schwere Phlegma und den trivialen Cynismus dieser castilischen Bacchusbrüder; ihre stupende In- dividualisirung neben jenen Atelierfiguren, stereotyp wie Ab- güsse!
Wenn man aber den spätern Velazquezstil von Rubens herleiten will, so vergisst man die Regel der alten Schulphilo- sophen: qui bene distinguit, bene docet. Wer sich das Schauspiel einer starken Kontrastwirkung zwischen Coloristen verschaffen will, der muss beide nebeneinander sehn. Die Factur des Rubens ist frei und die des Velazquez ist frei, aber die Freiheit beider hat nicht die mindeste Verwandtschaft. Der Ton des Rubens ist hell und der des Velazquez ist hell, aber dieser ist der kühle Silber- ton des allverbreiteten Tageslichts mit möglichster Zurückstellung der Farbe, jener ein harmonischer Farbenlärm, mittelst gesät- tigtster, lichtgetränkter Tinten und durchleuchteter Schatten; dort hervorgebracht mit der grössten Einfachheit, hier mit Verschwen- dung der Mittel. Kurz, wir wundern uns vielmehr, dass er sich so völlig frei gehalten von dem übermächtigen Einfluss dieses Künstlers, dem sonst die ganze Schule von Madrid mehr oder weniger nachgegeben hat.
Es liegt hier also wieder ein Fall der Sucht nach Ein- flüssen vor. Nicht weil man auf rätselhafte, erklärungsbedürf- tige Thatsachen trifft, forscht man nach Ursachen und Berüh- rungen; nein, weil man von einer Begegnung liest, folgert man
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Rubens Einfluss auf Velazquez.
Klarheit und Reflexlicht verleihen konnte, das hätte ihm als
Maler vor allen Dingen einleuchten müssen.
So bliebe nur der Gegenstand! Man könnte zwar sagen,
dass Bacchus und sein bocksfüssiger Anhang nicht von Rubens
entdeckt worden sind, dass letzterer seit mehr als einem Jahr-
hundert in der sogenannten Berrugueteornamentik sogar an
christlichen Altären sein Wesen getrieben hatte; dass ein Haupt-
element des Rubens’schen Bacchanals, das lascive fehlt. Allein
es mag sein, der Schwarm von Fabelwesen, mit dem er die könig-
lichen Schlösser überschwemmte, kann Velazquez gereizt haben,
sich auch in diesen Stoffen einmal zu versuchen; in der That da-
tiren die ihm als Künstler werthen Darstellungen des Nackten seit
diesem Jahre. Allein das ist auch Alles. Wir denken uns, er
habe diese flämisch-welschen Götter, Halbgötter und Ungeheuer
mit ähnlichem Humor betrachtet, wie etwa Rembrandt, als er
seinen Ganymed erfand. Er wollte zeigen wie er sich ein solches
Gelage vorstellte. Man sehe neben dem lustigen Getümmel des
flämischen Komus das schwere Phlegma und den trivialen
Cynismus dieser castilischen Bacchusbrüder; ihre stupende In-
dividualisirung neben jenen Atelierfiguren, stereotyp wie Ab-
güsse!
Wenn man aber den spätern Velazquezstil von Rubens
herleiten will, so vergisst man die Regel der alten Schulphilo-
sophen: qui bene distinguit, bene docet. Wer sich das Schauspiel
einer starken Kontrastwirkung zwischen Coloristen verschaffen
will, der muss beide nebeneinander sehn. Die Factur des Rubens
ist frei und die des Velazquez ist frei, aber die Freiheit beider hat
nicht die mindeste Verwandtschaft. Der Ton des Rubens ist hell
und der des Velazquez ist hell, aber dieser ist der kühle Silber-
ton des allverbreiteten Tageslichts mit möglichster Zurückstellung
der Farbe, jener ein harmonischer Farbenlärm, mittelst gesät-
tigtster, lichtgetränkter Tinten und durchleuchteter Schatten; dort
hervorgebracht mit der grössten Einfachheit, hier mit Verschwen-
dung der Mittel. Kurz, wir wundern uns vielmehr, dass er sich
so völlig frei gehalten von dem übermächtigen Einfluss dieses
Künstlers, dem sonst die ganze Schule von Madrid mehr oder
weniger nachgegeben hat.
Es liegt hier also wieder ein Fall der Sucht nach Ein-
flüssen vor. Nicht weil man auf rätselhafte, erklärungsbedürf-
tige Thatsachen trifft, forscht man nach Ursachen und Berüh-
rungen; nein, weil man von einer Begegnung liest, folgert man
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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/273>, abgerufen am 22.11.2024.
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