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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Zweites Buch.
der Menge, der oft dem Künstler verhängnissvoller wird als
Fürstendienst. Denn er konnte leicht dem Monarchen für Unter-
nehmungen die ihm nicht passten, andere als empfehlenswerth
erscheinen lassen; und ebenso leicht auf das was er um der
Kunst willen gern gemacht hätte, dessen Interesse lenken. So
kam er nicht in die Lage Dinge zu malen, die von ehrlich gründ-
lichen Naturstudien ablenkten, noch in Versuchung, dem Ge-
winn zu lieb mit seinem Künstlergewissen zu transigiren.

Der Beweis liegt in seinen Werken. Kaum kommen Ar-
beiten vor, die ihn nicht irgendwie als Kunstproblem interessirt
haben, stets schöpft er die Darstellung aus dem Gegenstand, der
ihm nie bloss Gelegenheit ist, seine glänzenden Mittel zu ent-
falten. Er war eine stolze, phlegmatische Natur, vom Temperament
des Empirikers, ein "Experimentalmaler". Ein Edelmann, dem
es nicht einfällt dem Betrachter entgegenzukommen, oder gar ihn
zu bestechen; er stösst ihn eher ab, in seinen feinsten Sachen ist
er kaum verstanden worden.

Rubens gehörte zu denen, die, wie in Italien Bernini, ihrem
Zeitalter das Gepräge geben. Eine grosse Natur, die strebt zu
herrschen wohin sie kommt. Von Paris, London, Madrid, Genua
konnte er sprechen wie Cäsar. Wer aber seine Zeit beherrschen
will, muss mit ihr Fühlung haben, er wird in Wechselbeziehung
zu ihr treten, wie könnte er sonst ein Anziehungspunkt werden.
Da ist es wichtig, in welche Zeit er kommt, und an welche Ten-
denzen der Zeit er sich wendet. Man muss Hof und Adel des
siebzehnten Jahrhunderts kennen, um seine Malerei zu verstehen 1).

Das Herz Philipp IV hatte er ganz gewonnen. Der ge-
krönte Wüstling, dessen Leben zwischen galanten Abenteuern,
wochenlangen Festen, wilden Jagden und frommen Ceremonien
wechselte, scheint in seinen Schöpfungen einen poetischen Wie-
derschein des eigenen Daseins gefunden zu haben. Wie ein
moderner Prinz (the snob royal) entdeckte er vielleicht mit den
fortschreitenden Jahren das Geheimniss weiblicher Schönheit in
den drei F (fair, fat, forty) flämischer "Fleischklumpen". Er
liess ihm nun keine Ruhe mehr mit Aufträgen, und auch jene
freien Darstellungen, die Rubens für sich behielt, wanderten aus
seinem Nachlass nach Madrid, dessen Museum für diese Seite
des Meisters wichtig ist.


1) Quand on veut eviter d'etre charlatan, il faut fuir les treteaux; car, si
l'on y monte, on est bien force d'etre charlatan; sans quoi, l'assemblee vous jette
des pierres. Chamfort, maximes et pensees.

Zweites Buch.
der Menge, der oft dem Künstler verhängnissvoller wird als
Fürstendienst. Denn er konnte leicht dem Monarchen für Unter-
nehmungen die ihm nicht passten, andere als empfehlenswerth
erscheinen lassen; und ebenso leicht auf das was er um der
Kunst willen gern gemacht hätte, dessen Interesse lenken. So
kam er nicht in die Lage Dinge zu malen, die von ehrlich gründ-
lichen Naturstudien ablenkten, noch in Versuchung, dem Ge-
winn zu lieb mit seinem Künstlergewissen zu transigiren.

Der Beweis liegt in seinen Werken. Kaum kommen Ar-
beiten vor, die ihn nicht irgendwie als Kunstproblem interessirt
haben, stets schöpft er die Darstellung aus dem Gegenstand, der
ihm nie bloss Gelegenheit ist, seine glänzenden Mittel zu ent-
falten. Er war eine stolze, phlegmatische Natur, vom Temperament
des Empirikers, ein „Experimentalmaler“. Ein Edelmann, dem
es nicht einfällt dem Betrachter entgegenzukommen, oder gar ihn
zu bestechen; er stösst ihn eher ab, in seinen feinsten Sachen ist
er kaum verstanden worden.

Rubens gehörte zu denen, die, wie in Italien Bernini, ihrem
Zeitalter das Gepräge geben. Eine grosse Natur, die strebt zu
herrschen wohin sie kommt. Von Paris, London, Madrid, Genua
konnte er sprechen wie Cäsar. Wer aber seine Zeit beherrschen
will, muss mit ihr Fühlung haben, er wird in Wechselbeziehung
zu ihr treten, wie könnte er sonst ein Anziehungspunkt werden.
Da ist es wichtig, in welche Zeit er kommt, und an welche Ten-
denzen der Zeit er sich wendet. Man muss Hof und Adel des
siebzehnten Jahrhunderts kennen, um seine Malerei zu verstehen 1).

Das Herz Philipp IV hatte er ganz gewonnen. Der ge-
krönte Wüstling, dessen Leben zwischen galanten Abenteuern,
wochenlangen Festen, wilden Jagden und frommen Ceremonien
wechselte, scheint in seinen Schöpfungen einen poetischen Wie-
derschein des eigenen Daseins gefunden zu haben. Wie ein
moderner Prinz (the snob royal) entdeckte er vielleicht mit den
fortschreitenden Jahren das Geheimniss weiblicher Schönheit in
den drei F (fair, fat, forty) flämischer „Fleischklumpen“. Er
liess ihm nun keine Ruhe mehr mit Aufträgen, und auch jene
freien Darstellungen, die Rubens für sich behielt, wanderten aus
seinem Nachlass nach Madrid, dessen Museum für diese Seite
des Meisters wichtig ist.


1) Quand on veut éviter d’être charlatan, il faut fuir les tréteaux; car, si
l’on y monte, on est bien forcé d’être charlatan; sans quoi, l’assemblée vous jette
des pierres. Chamfort, maximes et pensées.
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[254/0278] Zweites Buch. der Menge, der oft dem Künstler verhängnissvoller wird als Fürstendienst. Denn er konnte leicht dem Monarchen für Unter- nehmungen die ihm nicht passten, andere als empfehlenswerth erscheinen lassen; und ebenso leicht auf das was er um der Kunst willen gern gemacht hätte, dessen Interesse lenken. So kam er nicht in die Lage Dinge zu malen, die von ehrlich gründ- lichen Naturstudien ablenkten, noch in Versuchung, dem Ge- winn zu lieb mit seinem Künstlergewissen zu transigiren. Der Beweis liegt in seinen Werken. Kaum kommen Ar- beiten vor, die ihn nicht irgendwie als Kunstproblem interessirt haben, stets schöpft er die Darstellung aus dem Gegenstand, der ihm nie bloss Gelegenheit ist, seine glänzenden Mittel zu ent- falten. Er war eine stolze, phlegmatische Natur, vom Temperament des Empirikers, ein „Experimentalmaler“. Ein Edelmann, dem es nicht einfällt dem Betrachter entgegenzukommen, oder gar ihn zu bestechen; er stösst ihn eher ab, in seinen feinsten Sachen ist er kaum verstanden worden. Rubens gehörte zu denen, die, wie in Italien Bernini, ihrem Zeitalter das Gepräge geben. Eine grosse Natur, die strebt zu herrschen wohin sie kommt. Von Paris, London, Madrid, Genua konnte er sprechen wie Cäsar. Wer aber seine Zeit beherrschen will, muss mit ihr Fühlung haben, er wird in Wechselbeziehung zu ihr treten, wie könnte er sonst ein Anziehungspunkt werden. Da ist es wichtig, in welche Zeit er kommt, und an welche Ten- denzen der Zeit er sich wendet. Man muss Hof und Adel des siebzehnten Jahrhunderts kennen, um seine Malerei zu verstehen 1). Das Herz Philipp IV hatte er ganz gewonnen. Der ge- krönte Wüstling, dessen Leben zwischen galanten Abenteuern, wochenlangen Festen, wilden Jagden und frommen Ceremonien wechselte, scheint in seinen Schöpfungen einen poetischen Wie- derschein des eigenen Daseins gefunden zu haben. Wie ein moderner Prinz (the snob royal) entdeckte er vielleicht mit den fortschreitenden Jahren das Geheimniss weiblicher Schönheit in den drei F (fair, fat, forty) flämischer „Fleischklumpen“. Er liess ihm nun keine Ruhe mehr mit Aufträgen, und auch jene freien Darstellungen, die Rubens für sich behielt, wanderten aus seinem Nachlass nach Madrid, dessen Museum für diese Seite des Meisters wichtig ist. 1) Quand on veut éviter d’être charlatan, il faut fuir les tréteaux; car, si l’on y monte, on est bien forcé d’être charlatan; sans quoi, l’assemblée vous jette des pierres. Chamfort, maximes et pensées.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/278>, abgerufen am 21.11.2024.