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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Zweites Buch.
den Gläser und Schalen bereits erhoben sind. Der Mann mit dem
Dudelsack wird den Tusch blasen. Der erste der alten Adepten
grinst, mit noch unversehrt schimmerndem Gebiss, in der Wonne
des vor ihm aufglänzenden Spiegels der vollen Schale, im Vor-
genuss des höchsten Moments des Ordensfestes. Zugleich leiht
er dankbar das Ohr dem Spass seines Altersgenossen, der ihm
die Hand auf die Schulter legt. Der Spass scheint auf unsre
Kosten gemacht, und wenn wir ihn hörten, wir würden ihn kaum
wiedererzählen. Der dritte, im Profil, erwartet, den Kelch erhoben,
mit dem vergnügten Blick einer treuen Dogge zum Chef auf-
sehend, das Zeichen zum brindis.

Wir gemüthlichen Germanen haben Maler von Volksstücken,
bei denen fast in jedem Bild Jeder lacht oder lächelt: der
Spanier hat fast nur diess einzigemal Lachen gemalt; aber wo
ist je das Lachen übermüthiger Weinlaune in den Linien und
Furchen eines alten Kopfs mit so wenig Verlust und Verzerrung
aufgefangen, gemalt worden 1). Wilkie sass oft stundenlang
vor diesem Bilde, das er allen andern des Meisters vorzog. End-
lich, ermüdet, erhob er sich mit einem Seufzer (ouf!).

Dieser Bacchus eröffnet den seltsamen Olymp unsres Malers.
Andre haben in solchen Stoffen das Allgemeine und Conventio-
nelle schwer vermieden, bei ihm bricht das spanische Wesen
gerade hier am dreistesten durch. Nach der Methode des Cer-
vantes nimmt er den Mythus beim Wort. Er fragt sich: was
würde es wol für eine Scene geben, wenn der junge Gott auf
seinen Siegeszügen einmal in unsern Thälern ankäme? Was
für Gläubige würden sich um ihn schaaren? Wie wird er aus-
sehn, dem in Gesellschaft von Winzern und Winzerinnen am
wolsten ist, der sich am einsamen Meeresstrand seine Frau
aufliest? Wenn andre sich in fremde Phantasie- und Glaubens-
welt hineinstudiren und deren Zustände nachfühlen, so ist dem
Spanier sein Land die Welt, und nur das gewinnt Recht zu
existiren, was sich völlig naturalisirt.

In jenem Jahrhundert wurde diese Scene sonst viel gelehrter
dargestellt. Aber wer vermag heute noch etwas zu machen aus

de Baco, pilotos de Guadalcanal y Coca, bei dem ein vasillo de plata umgeht.
Der picaro findet es, nachdem alle abgefallen sind, auf der Erde.
1) No Teniers or Hogarth ever came up to the waggish wassail of his drun-
kards. R. Ford, Penny Cyclopaedia, Art. Velazquez. -- The success of the artist in
seizing a laugh and fixing it on the canvass, without converting it into a grimace,
is an unparalleled triumph of skill. Curtis 18.

Zweites Buch.
den Gläser und Schalen bereits erhoben sind. Der Mann mit dem
Dudelsack wird den Tusch blasen. Der erste der alten Adepten
grinst, mit noch unversehrt schimmerndem Gebiss, in der Wonne
des vor ihm aufglänzenden Spiegels der vollen Schale, im Vor-
genuss des höchsten Moments des Ordensfestes. Zugleich leiht
er dankbar das Ohr dem Spass seines Altersgenossen, der ihm
die Hand auf die Schulter legt. Der Spass scheint auf unsre
Kosten gemacht, und wenn wir ihn hörten, wir würden ihn kaum
wiedererzählen. Der dritte, im Profil, erwartet, den Kelch erhoben,
mit dem vergnügten Blick einer treuen Dogge zum Chef auf-
sehend, das Zeichen zum brindis.

Wir gemüthlichen Germanen haben Maler von Volksstücken,
bei denen fast in jedem Bild Jeder lacht oder lächelt: der
Spanier hat fast nur diess einzigemal Lachen gemalt; aber wo
ist je das Lachen übermüthiger Weinlaune in den Linien und
Furchen eines alten Kopfs mit so wenig Verlust und Verzerrung
aufgefangen, gemalt worden 1). Wilkie sass oft stundenlang
vor diesem Bilde, das er allen andern des Meisters vorzog. End-
lich, ermüdet, erhob er sich mit einem Seufzer (ouf!).

Dieser Bacchus eröffnet den seltsamen Olymp unsres Malers.
Andre haben in solchen Stoffen das Allgemeine und Conventio-
nelle schwer vermieden, bei ihm bricht das spanische Wesen
gerade hier am dreistesten durch. Nach der Methode des Cer-
vantes nimmt er den Mythus beim Wort. Er fragt sich: was
würde es wol für eine Scene geben, wenn der junge Gott auf
seinen Siegeszügen einmal in unsern Thälern ankäme? Was
für Gläubige würden sich um ihn schaaren? Wie wird er aus-
sehn, dem in Gesellschaft von Winzern und Winzerinnen am
wolsten ist, der sich am einsamen Meeresstrand seine Frau
aufliest? Wenn andre sich in fremde Phantasie- und Glaubens-
welt hineinstudiren und deren Zustände nachfühlen, so ist dem
Spanier sein Land die Welt, und nur das gewinnt Recht zu
existiren, was sich völlig naturalisirt.

In jenem Jahrhundert wurde diese Scene sonst viel gelehrter
dargestellt. Aber wer vermag heute noch etwas zu machen aus

de Baco, pilotos de Guadalcanal y Coca, bei dem ein vasillo de plata umgeht.
Der picaro findet es, nachdem alle abgefallen sind, auf der Erde.
1) No Teniers or Hogarth ever came up to the waggish wassail of his drun-
kards. R. Ford, Penny Cyclopaedia, Art. Velazquez. — The success of the artist in
seizing a laugh and fixing it on the canvass, without converting it into a grimace,
is an unparalleled triumph of skill. Curtis 18.
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[258/0284] Zweites Buch. den Gläser und Schalen bereits erhoben sind. Der Mann mit dem Dudelsack wird den Tusch blasen. Der erste der alten Adepten grinst, mit noch unversehrt schimmerndem Gebiss, in der Wonne des vor ihm aufglänzenden Spiegels der vollen Schale, im Vor- genuss des höchsten Moments des Ordensfestes. Zugleich leiht er dankbar das Ohr dem Spass seines Altersgenossen, der ihm die Hand auf die Schulter legt. Der Spass scheint auf unsre Kosten gemacht, und wenn wir ihn hörten, wir würden ihn kaum wiedererzählen. Der dritte, im Profil, erwartet, den Kelch erhoben, mit dem vergnügten Blick einer treuen Dogge zum Chef auf- sehend, das Zeichen zum brindis. Wir gemüthlichen Germanen haben Maler von Volksstücken, bei denen fast in jedem Bild Jeder lacht oder lächelt: der Spanier hat fast nur diess einzigemal Lachen gemalt; aber wo ist je das Lachen übermüthiger Weinlaune in den Linien und Furchen eines alten Kopfs mit so wenig Verlust und Verzerrung aufgefangen, gemalt worden 1). Wilkie sass oft stundenlang vor diesem Bilde, das er allen andern des Meisters vorzog. End- lich, ermüdet, erhob er sich mit einem Seufzer (ouf!). Dieser Bacchus eröffnet den seltsamen Olymp unsres Malers. Andre haben in solchen Stoffen das Allgemeine und Conventio- nelle schwer vermieden, bei ihm bricht das spanische Wesen gerade hier am dreistesten durch. Nach der Methode des Cer- vantes nimmt er den Mythus beim Wort. Er fragt sich: was würde es wol für eine Scene geben, wenn der junge Gott auf seinen Siegeszügen einmal in unsern Thälern ankäme? Was für Gläubige würden sich um ihn schaaren? Wie wird er aus- sehn, dem in Gesellschaft von Winzern und Winzerinnen am wolsten ist, der sich am einsamen Meeresstrand seine Frau aufliest? Wenn andre sich in fremde Phantasie- und Glaubens- welt hineinstudiren und deren Zustände nachfühlen, so ist dem Spanier sein Land die Welt, und nur das gewinnt Recht zu existiren, was sich völlig naturalisirt. In jenem Jahrhundert wurde diese Scene sonst viel gelehrter dargestellt. Aber wer vermag heute noch etwas zu machen aus 1) 1) No Teniers or Hogarth ever came up to the waggish wassail of his drun- kards. R. Ford, Penny Cyclopaedia, Art. Velazquez. — The success of the artist in seizing a laugh and fixing it on the canvass, without converting it into a grimace, is an unparalleled triumph of skill. Curtis 18. 1) de Baco, pilotos de Guadalcanal y Coca, bei dem ein vasillo de plata umgeht. Der picaro findet es, nachdem alle abgefallen sind, auf der Erde.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/284>, abgerufen am 21.11.2024.