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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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In Venedig.
rauschenden Musik des Veronesers den Vorzug giebt. Der Spa-
nier hat auch einige Tintoretto's Palette verwandte Noten: das
Cyanblau, das gebrochene Karmin, die Orangetöne, obwol seine
Haltung hell und kühl ist. Auch die sonnige Durchbrechung des
Raumes findet sich ähnlich wie in dem schönsten Stück, das wir
in Deutschland von ihm haben, dem Gastmahl der Martha in der
Galerie zu Augsburg; und das seitlich einfallende Sonnenlicht
auf blonden Köpfen, wie in der Hochzeit von Salute.

Wir vermuthen, dass er auch die Bildnisse nicht übersehen
hat. Verwandt in der Auffassung, zeigten sie ihm das was ihm
vorschwebte, erreicht mit ganz andern Mitteln. Wie kalt und
hart müssen ihm seine bisherigen Figuren vorgekommen sein,
als er jenen Nobili im Dogenpalast gegenüberstand. So plastisch
denkmalartig sie sind, sie zeigen den Maler doch auch im Schaf-
fen. In Tizian's Bildnissen ist jede Spur des Werdens verschwun-
den, bei seinem Schüler sieht man, wie der Pinsel mit dem er-
regenden Spiel der Züge, den bleibenden mehr als den vorüberge-
henden, ringt. Nach Feststellung der Flächen trägt er die Theile
ein mit vielen, sehr verschiedenfarbigen, unverschmolzenen Stri-
chen, Punkten; Falten und Furchen, Venen und Haare, Farben-
wechsel der Gesichtshaut einschreibend, endlich das Ganze mit
einem Lasurbad erwärmend und verschmelzend.

Tizian ferner gab seinen Personen gewisse persönlich be-
zeichnende Geberden und Blicke, und die Beeinflussung durch
die Umgebung, -- das Würdegefühl des Amts, Erregung
durch die Gesellschaft, die Unterhaltung im Studio, die Pose vor
dem Kolleg, das Gebieterische der Macht. Ueber allem liegt die
Eleganz der grossen Gesellschaft. Tintoretto begnügt sich meist
mit den einfachen allgemeinen und herkömmlichen Attitüden
des grossen Bildnisses; da ist nichts weiter als der trockene Ernst
der Geschäftsmiene, das zugeschlossene Aeussere bei der Cere-
monie, die Selbstvergessenheit im Nachsinnen. Aber welche
hohe Einfachheit und Wahrheit, ohne Spur von Eitelkeit, z. B.
in jenen im vollem Licht gemalten Bildnissen der Galerie Colonna!
Auch wo sie einnehmend, überredend, herrisch erscheinen, ist es
mehr Charakter und Gewöhnung, als Augenblick und Absicht.
Welche wundervolle Greisenköpfe -- die Anzeichen des Verfalls
bei ungebrochenem Willen, die Ermattung der Jahre und die
Gewohnheit der Anspannung, der starre Stolz und die verbind-
liche Form: welche Lebensgeschichte ist darin geschrieben; sol-
chen Menschen kann nur der Tod das Steuer der Geschäfte aus
der Hand reissen! --


In Venedig.
rauschenden Musik des Veronesers den Vorzug giebt. Der Spa-
nier hat auch einige Tintoretto’s Palette verwandte Noten: das
Cyanblau, das gebrochene Karmin, die Orangetöne, obwol seine
Haltung hell und kühl ist. Auch die sonnige Durchbrechung des
Raumes findet sich ähnlich wie in dem schönsten Stück, das wir
in Deutschland von ihm haben, dem Gastmahl der Martha in der
Galerie zu Augsburg; und das seitlich einfallende Sonnenlicht
auf blonden Köpfen, wie in der Hochzeit von Salute.

Wir vermuthen, dass er auch die Bildnisse nicht übersehen
hat. Verwandt in der Auffassung, zeigten sie ihm das was ihm
vorschwebte, erreicht mit ganz andern Mitteln. Wie kalt und
hart müssen ihm seine bisherigen Figuren vorgekommen sein,
als er jenen Nobili im Dogenpalast gegenüberstand. So plastisch
denkmalartig sie sind, sie zeigen den Maler doch auch im Schaf-
fen. In Tizian’s Bildnissen ist jede Spur des Werdens verschwun-
den, bei seinem Schüler sieht man, wie der Pinsel mit dem er-
regenden Spiel der Züge, den bleibenden mehr als den vorüberge-
henden, ringt. Nach Feststellung der Flächen trägt er die Theile
ein mit vielen, sehr verschiedenfarbigen, unverschmolzenen Stri-
chen, Punkten; Falten und Furchen, Venen und Haare, Farben-
wechsel der Gesichtshaut einschreibend, endlich das Ganze mit
einem Lasurbad erwärmend und verschmelzend.

Tizian ferner gab seinen Personen gewisse persönlich be-
zeichnende Geberden und Blicke, und die Beeinflussung durch
die Umgebung, — das Würdegefühl des Amts, Erregung
durch die Gesellschaft, die Unterhaltung im Studio, die Pose vor
dem Kolleg, das Gebieterische der Macht. Ueber allem liegt die
Eleganz der grossen Gesellschaft. Tintoretto begnügt sich meist
mit den einfachen allgemeinen und herkömmlichen Attitüden
des grossen Bildnisses; da ist nichts weiter als der trockene Ernst
der Geschäftsmiene, das zugeschlossene Aeussere bei der Cere-
monie, die Selbstvergessenheit im Nachsinnen. Aber welche
hohe Einfachheit und Wahrheit, ohne Spur von Eitelkeit, z. B.
in jenen im vollem Licht gemalten Bildnissen der Galerie Colonna!
Auch wo sie einnehmend, überredend, herrisch erscheinen, ist es
mehr Charakter und Gewöhnung, als Augenblick und Absicht.
Welche wundervolle Greisenköpfe — die Anzeichen des Verfalls
bei ungebrochenem Willen, die Ermattung der Jahre und die
Gewohnheit der Anspannung, der starre Stolz und die verbind-
liche Form: welche Lebensgeschichte ist darin geschrieben; sol-
chen Menschen kann nur der Tod das Steuer der Geschäfte aus
der Hand reissen! —


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[277/0303] In Venedig. rauschenden Musik des Veronesers den Vorzug giebt. Der Spa- nier hat auch einige Tintoretto’s Palette verwandte Noten: das Cyanblau, das gebrochene Karmin, die Orangetöne, obwol seine Haltung hell und kühl ist. Auch die sonnige Durchbrechung des Raumes findet sich ähnlich wie in dem schönsten Stück, das wir in Deutschland von ihm haben, dem Gastmahl der Martha in der Galerie zu Augsburg; und das seitlich einfallende Sonnenlicht auf blonden Köpfen, wie in der Hochzeit von Salute. Wir vermuthen, dass er auch die Bildnisse nicht übersehen hat. Verwandt in der Auffassung, zeigten sie ihm das was ihm vorschwebte, erreicht mit ganz andern Mitteln. Wie kalt und hart müssen ihm seine bisherigen Figuren vorgekommen sein, als er jenen Nobili im Dogenpalast gegenüberstand. So plastisch denkmalartig sie sind, sie zeigen den Maler doch auch im Schaf- fen. In Tizian’s Bildnissen ist jede Spur des Werdens verschwun- den, bei seinem Schüler sieht man, wie der Pinsel mit dem er- regenden Spiel der Züge, den bleibenden mehr als den vorüberge- henden, ringt. Nach Feststellung der Flächen trägt er die Theile ein mit vielen, sehr verschiedenfarbigen, unverschmolzenen Stri- chen, Punkten; Falten und Furchen, Venen und Haare, Farben- wechsel der Gesichtshaut einschreibend, endlich das Ganze mit einem Lasurbad erwärmend und verschmelzend. Tizian ferner gab seinen Personen gewisse persönlich be- zeichnende Geberden und Blicke, und die Beeinflussung durch die Umgebung, — das Würdegefühl des Amts, Erregung durch die Gesellschaft, die Unterhaltung im Studio, die Pose vor dem Kolleg, das Gebieterische der Macht. Ueber allem liegt die Eleganz der grossen Gesellschaft. Tintoretto begnügt sich meist mit den einfachen allgemeinen und herkömmlichen Attitüden des grossen Bildnisses; da ist nichts weiter als der trockene Ernst der Geschäftsmiene, das zugeschlossene Aeussere bei der Cere- monie, die Selbstvergessenheit im Nachsinnen. Aber welche hohe Einfachheit und Wahrheit, ohne Spur von Eitelkeit, z. B. in jenen im vollem Licht gemalten Bildnissen der Galerie Colonna! Auch wo sie einnehmend, überredend, herrisch erscheinen, ist es mehr Charakter und Gewöhnung, als Augenblick und Absicht. Welche wundervolle Greisenköpfe — die Anzeichen des Verfalls bei ungebrochenem Willen, die Ermattung der Jahre und die Gewohnheit der Anspannung, der starre Stolz und die verbind- liche Form: welche Lebensgeschichte ist darin geschrieben; sol- chen Menschen kann nur der Tod das Steuer der Geschäfte aus der Hand reissen! —

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/303>, abgerufen am 22.11.2024.