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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Velazquez.
wird. Was wir suchen und was uns fesselt, ist also eine Er-
gänzung der Anschauung unserer eigenen Natur, die an jedem
Einschnitt der Zeit nur bruchstückweise in die Erscheinung tritt.
Darin liegt der Werth und die Unersetzlichkeit der griechischen
Plastik für uns. Daher der Zug unsers Jahrhunderts nach der
christlichen Kunst des Mittelalters, in der eine eigenthümliche
uns verloren gegangene Empfindungswelt niedergelegt ist. Wenn
eine solche Cultur in die Vergangenheit zurücksinkt, so gewinnt
sie oft eine Art Werthschätzung, die von derjenigen zur Zeit
ihrer Lebendigkeit sehr verschieden ist.

Auch jene Zeiten des Cervantes und Murillo, wo das spa-
nische Wesen sich für eigene Stoffe und Denkweisen auch eigene
Formen schuf, kann als ein wenn auch beschränktes Stück Mensch-
heit gelten, das seine Nische in deren Pantheon verdient, nicht blos
sein Gefach im Archiv historischer Funde. Auch die Denkmäler
dieses spanischen Wesens und das Interesse an ihnen hat an dem
Punkt seine Weltwanderung begonnen, wo es im lebendigen
Dasein zerfiel.

Die Galerien.

Velazquez (und seinen Verehrern) ist das seltene Glück be-
schieden gewesen, dass die bedeutendere Hälfte seiner Werke
noch an einem Ort -- dem ihrer Entstehung -- beisammen ge-
blieben ist. Sie sind nur aus den Schlössern in das Museum
des Prado gewandert. Dank der geringen Veränderlichkeit
ihrer Farbenschichten, der trocknen Luft Madrids und der langen
Verschonung mit Galeriedirectoren alten Schlags, sind sie auch
von einer Erhaltung, die man sich nicht besser wünschen kann.
So kann man dort das Werk einer vierzigjährigen Künstlerlauf-
bahn in allen Wandlungen vergleichen, dort wo Land und Leute,
im Süden typischer und stetiger als bei uns, den Kommentar
dazu schreiben. Denn das Leben allein nimmt den Staub und
die Starre weg, welche die Zeit über die Kunstwerke verhängt.
Auch die Zeit und Umgebung ihrer Entstehung lässt sich mit
voller Anschaulichkeit, in Personalien, Zuständen und Aeusser-
lichkeiten jeder Art, aus archivalischen, chronikalischen und dich-
terischen Quellen wieder hervorrufen. Wie oft begegnet man in
Büchern, Depeschen und Versen jener Zeit Schilderungen, die
auf Gemälde des Velazquez gemünzt scheinen; wie oft in den
weiten, einsamen, entwaldeten Thälern castilischer Berge erkennt

Velazquez.
wird. Was wir suchen und was uns fesselt, ist also eine Er-
gänzung der Anschauung unserer eigenen Natur, die an jedem
Einschnitt der Zeit nur bruchstückweise in die Erscheinung tritt.
Darin liegt der Werth und die Unersetzlichkeit der griechischen
Plastik für uns. Daher der Zug unsers Jahrhunderts nach der
christlichen Kunst des Mittelalters, in der eine eigenthümliche
uns verloren gegangene Empfindungswelt niedergelegt ist. Wenn
eine solche Cultur in die Vergangenheit zurücksinkt, so gewinnt
sie oft eine Art Werthschätzung, die von derjenigen zur Zeit
ihrer Lebendigkeit sehr verschieden ist.

Auch jene Zeiten des Cervantes und Murillo, wo das spa-
nische Wesen sich für eigene Stoffe und Denkweisen auch eigene
Formen schuf, kann als ein wenn auch beschränktes Stück Mensch-
heit gelten, das seine Nische in deren Pantheon verdient, nicht blos
sein Gefach im Archiv historischer Funde. Auch die Denkmäler
dieses spanischen Wesens und das Interesse an ihnen hat an dem
Punkt seine Weltwanderung begonnen, wo es im lebendigen
Dasein zerfiel.

Die Galerien.

Velazquez (und seinen Verehrern) ist das seltene Glück be-
schieden gewesen, dass die bedeutendere Hälfte seiner Werke
noch an einem Ort — dem ihrer Entstehung — beisammen ge-
blieben ist. Sie sind nur aus den Schlössern in das Museum
des Prado gewandert. Dank der geringen Veränderlichkeit
ihrer Farbenschichten, der trocknen Luft Madrids und der langen
Verschonung mit Galeriedirectoren alten Schlags, sind sie auch
von einer Erhaltung, die man sich nicht besser wünschen kann.
So kann man dort das Werk einer vierzigjährigen Künstlerlauf-
bahn in allen Wandlungen vergleichen, dort wo Land und Leute,
im Süden typischer und stetiger als bei uns, den Kommentar
dazu schreiben. Denn das Leben allein nimmt den Staub und
die Starre weg, welche die Zeit über die Kunstwerke verhängt.
Auch die Zeit und Umgebung ihrer Entstehung lässt sich mit
voller Anschaulichkeit, in Personalien, Zuständen und Aeusser-
lichkeiten jeder Art, aus archivalischen, chronikalischen und dich-
terischen Quellen wieder hervorrufen. Wie oft begegnet man in
Büchern, Depeschen und Versen jener Zeit Schilderungen, die
auf Gemälde des Velazquez gemünzt scheinen; wie oft in den
weiten, einsamen, entwaldeten Thälern castilischer Berge erkennt

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[11/0031] Velazquez. wird. Was wir suchen und was uns fesselt, ist also eine Er- gänzung der Anschauung unserer eigenen Natur, die an jedem Einschnitt der Zeit nur bruchstückweise in die Erscheinung tritt. Darin liegt der Werth und die Unersetzlichkeit der griechischen Plastik für uns. Daher der Zug unsers Jahrhunderts nach der christlichen Kunst des Mittelalters, in der eine eigenthümliche uns verloren gegangene Empfindungswelt niedergelegt ist. Wenn eine solche Cultur in die Vergangenheit zurücksinkt, so gewinnt sie oft eine Art Werthschätzung, die von derjenigen zur Zeit ihrer Lebendigkeit sehr verschieden ist. Auch jene Zeiten des Cervantes und Murillo, wo das spa- nische Wesen sich für eigene Stoffe und Denkweisen auch eigene Formen schuf, kann als ein wenn auch beschränktes Stück Mensch- heit gelten, das seine Nische in deren Pantheon verdient, nicht blos sein Gefach im Archiv historischer Funde. Auch die Denkmäler dieses spanischen Wesens und das Interesse an ihnen hat an dem Punkt seine Weltwanderung begonnen, wo es im lebendigen Dasein zerfiel. Die Galerien. Velazquez (und seinen Verehrern) ist das seltene Glück be- schieden gewesen, dass die bedeutendere Hälfte seiner Werke noch an einem Ort — dem ihrer Entstehung — beisammen ge- blieben ist. Sie sind nur aus den Schlössern in das Museum des Prado gewandert. Dank der geringen Veränderlichkeit ihrer Farbenschichten, der trocknen Luft Madrids und der langen Verschonung mit Galeriedirectoren alten Schlags, sind sie auch von einer Erhaltung, die man sich nicht besser wünschen kann. So kann man dort das Werk einer vierzigjährigen Künstlerlauf- bahn in allen Wandlungen vergleichen, dort wo Land und Leute, im Süden typischer und stetiger als bei uns, den Kommentar dazu schreiben. Denn das Leben allein nimmt den Staub und die Starre weg, welche die Zeit über die Kunstwerke verhängt. Auch die Zeit und Umgebung ihrer Entstehung lässt sich mit voller Anschaulichkeit, in Personalien, Zuständen und Aeusser- lichkeiten jeder Art, aus archivalischen, chronikalischen und dich- terischen Quellen wieder hervorrufen. Wie oft begegnet man in Büchern, Depeschen und Versen jener Zeit Schilderungen, die auf Gemälde des Velazquez gemünzt scheinen; wie oft in den weiten, einsamen, entwaldeten Thälern castilischer Berge erkennt

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/31>, abgerufen am 23.11.2024.