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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Kunst und Künstler.
ist 300 Palmen lang und ganz kürzlich von Seiner Heiligkeit wiederher-
gestellt worden. Da die Nachmittagskühle bereits eingetreten war, so
schlug D. Roque vor, auf das Dach des gewölbten Corridors zu steigen
und auf diesem nach dem Ritiro hinaufzugehn, wo wir die wunder-
vollste Aussicht (wahrlich ein Belvedere) auf die heilige Stadt und die
Campagna geniessen würden. Nachdem wir etwa die Hälfte des Wegs
gemacht hatten, öffnete sich auch zur Linken unten der Blick in den
geheimen päbstlichen Garten der Pinie. Am Ende angelangt, stiegen
wir wieder herab und kamen heraus bei der Statue der sterbenden
Cleopatra, die am Ende des Corridors über einem Brunnen aufgestellt
ist. Von da traten wir in einen von hohen Mauern umschlossenen
viereckigen Garten, mit reizenden Blumenbeeten, zwischen denen die
Flussgötter Nil und Tiber, sowie eine kauernde Venus aufgestellt waren.
Auch in acht Nischen der Mauern sind griechische Marmore, darunter
der Laokoon. Dann besahen wir das Zimmer, in dem ich durch die
Gnade des Cardinals beherbergt werden sollte. Die Umgebung kann sich
mein Herz nicht herrlicher wünschen, aber der Ort ist doch gar zu ab-
gelegen und einsam. Das Zimmer ist ein Theil des alten Palazzetto di
Tor de' venti, den Raphaels Freund Bramante Lazzeri gebaut hat. Wir ver-
weilten und ruhten lange in einem grossen aber etwas dunklen Saal,
(er hat nur drei Fenster) und betrachteten die mit bizarrer Erfindung ge-
malten sechszehn Historien des Federigo Zuccari, welche die Geschichte
von Moses und Pharao darstellen. Sie gaben mir von diesem Maler
einen bessern Begriff, als die schwachen Arbeiten im Escorial. Ueber
einem Gesims, das von jonischen Pilastern, zwischen denen Tapeten auf-
gehängt sind, getragen wird, erheben sich zwanzig bekleidete Termini
[Karyatiden] von weissem Stuck auf Piedestalen mit Fruchtschnüren;
zwischen diesen Figuren sind die sechzehn Gemälde. Das letzte Ge-
mälde, die Erwürgung der Erstgeburt, ist von Barocci und unvoll-
endet. Diese Gemälde hat der Cardinal Emulio für Pius IV ausführen
lassen 1). Da mir der Saal gefiel und auch der Gedanke an die von
Seiner Majestät unternommenen neuen Einrichtungen im Alcazar nahe
lag, so liess mir D. Roque die Schlüssel zu dieser päpstlichen Woh-
nung zurück. In der Nähe ist eine alte Kapelle, die Innocenz VIII im
Jahre 1490 Johannes dem Täufer weihte; über der Thür ist er dar-

1) Dieser Saal ist jetzt ein Theil des etruskischen Museums (Museo Grego-
riano) und enthält die Bronzen und Goldsachen. Er liegt rechts von der grossen
Nische, welche das alte Theater des Belvedere abschloss. Die Fenster gehen auf
die jetzige Sala delle muse des Museums. Der Aufgang ist aus dem Cortile der
Statuen.
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Kunst und Künstler.
ist 300 Palmen lang und ganz kürzlich von Seiner Heiligkeit wiederher-
gestellt worden. Da die Nachmittagskühle bereits eingetreten war, so
schlug D. Roque vor, auf das Dach des gewölbten Corridors zu steigen
und auf diesem nach dem Ritiro hinaufzugehn, wo wir die wunder-
vollste Aussicht (wahrlich ein Belvedere) auf die heilige Stadt und die
Campagna geniessen würden. Nachdem wir etwa die Hälfte des Wegs
gemacht hatten, öffnete sich auch zur Linken unten der Blick in den
geheimen päbstlichen Garten der Pinie. Am Ende angelangt, stiegen
wir wieder herab und kamen heraus bei der Statue der sterbenden
Cleopatra, die am Ende des Corridors über einem Brunnen aufgestellt
ist. Von da traten wir in einen von hohen Mauern umschlossenen
viereckigen Garten, mit reizenden Blumenbeeten, zwischen denen die
Flussgötter Nil und Tiber, sowie eine kauernde Venus aufgestellt waren.
Auch in acht Nischen der Mauern sind griechische Marmore, darunter
der Laokoon. Dann besahen wir das Zimmer, in dem ich durch die
Gnade des Cardinals beherbergt werden sollte. Die Umgebung kann sich
mein Herz nicht herrlicher wünschen, aber der Ort ist doch gar zu ab-
gelegen und einsam. Das Zimmer ist ein Theil des alten Palazzetto di
Tor de’ venti, den Raphaels Freund Bramante Lazzeri gebaut hat. Wir ver-
weilten und ruhten lange in einem grossen aber etwas dunklen Saal,
(er hat nur drei Fenster) und betrachteten die mit bizarrer Erfindung ge-
malten sechszehn Historien des Federigo Zuccari, welche die Geschichte
von Moses und Pharao darstellen. Sie gaben mir von diesem Maler
einen bessern Begriff, als die schwachen Arbeiten im Escorial. Ueber
einem Gesims, das von jonischen Pilastern, zwischen denen Tapeten auf-
gehängt sind, getragen wird, erheben sich zwanzig bekleidete Termini
[Karyatiden] von weissem Stuck auf Piedestalen mit Fruchtschnüren;
zwischen diesen Figuren sind die sechzehn Gemälde. Das letzte Ge-
mälde, die Erwürgung der Erstgeburt, ist von Barocci und unvoll-
endet. Diese Gemälde hat der Cardinal Emulio für Pius IV ausführen
lassen 1). Da mir der Saal gefiel und auch der Gedanke an die von
Seiner Majestät unternommenen neuen Einrichtungen im Alcazar nahe
lag, so liess mir D. Roque die Schlüssel zu dieser päpstlichen Woh-
nung zurück. In der Nähe ist eine alte Kapelle, die Innocenz VIII im
Jahre 1490 Johannes dem Täufer weihte; über der Thür ist er dar-

1) Dieser Saal ist jetzt ein Theil des etruskischen Museums (Museo Grego-
riano) und enthält die Bronzen und Goldsachen. Er liegt rechts von der grossen
Nische, welche das alte Theater des Belvedere abschloss. Die Fenster gehen auf
die jetzige Sala delle muse des Museums. Der Aufgang ist aus dem Cortile der
Statuen.
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[289/0315] Kunst und Künstler. ist 300 Palmen lang und ganz kürzlich von Seiner Heiligkeit wiederher- gestellt worden. Da die Nachmittagskühle bereits eingetreten war, so schlug D. Roque vor, auf das Dach des gewölbten Corridors zu steigen und auf diesem nach dem Ritiro hinaufzugehn, wo wir die wunder- vollste Aussicht (wahrlich ein Belvedere) auf die heilige Stadt und die Campagna geniessen würden. Nachdem wir etwa die Hälfte des Wegs gemacht hatten, öffnete sich auch zur Linken unten der Blick in den geheimen päbstlichen Garten der Pinie. Am Ende angelangt, stiegen wir wieder herab und kamen heraus bei der Statue der sterbenden Cleopatra, die am Ende des Corridors über einem Brunnen aufgestellt ist. Von da traten wir in einen von hohen Mauern umschlossenen viereckigen Garten, mit reizenden Blumenbeeten, zwischen denen die Flussgötter Nil und Tiber, sowie eine kauernde Venus aufgestellt waren. Auch in acht Nischen der Mauern sind griechische Marmore, darunter der Laokoon. Dann besahen wir das Zimmer, in dem ich durch die Gnade des Cardinals beherbergt werden sollte. Die Umgebung kann sich mein Herz nicht herrlicher wünschen, aber der Ort ist doch gar zu ab- gelegen und einsam. Das Zimmer ist ein Theil des alten Palazzetto di Tor de’ venti, den Raphaels Freund Bramante Lazzeri gebaut hat. Wir ver- weilten und ruhten lange in einem grossen aber etwas dunklen Saal, (er hat nur drei Fenster) und betrachteten die mit bizarrer Erfindung ge- malten sechszehn Historien des Federigo Zuccari, welche die Geschichte von Moses und Pharao darstellen. Sie gaben mir von diesem Maler einen bessern Begriff, als die schwachen Arbeiten im Escorial. Ueber einem Gesims, das von jonischen Pilastern, zwischen denen Tapeten auf- gehängt sind, getragen wird, erheben sich zwanzig bekleidete Termini [Karyatiden] von weissem Stuck auf Piedestalen mit Fruchtschnüren; zwischen diesen Figuren sind die sechzehn Gemälde. Das letzte Ge- mälde, die Erwürgung der Erstgeburt, ist von Barocci und unvoll- endet. Diese Gemälde hat der Cardinal Emulio für Pius IV ausführen lassen 1). Da mir der Saal gefiel und auch der Gedanke an die von Seiner Majestät unternommenen neuen Einrichtungen im Alcazar nahe lag, so liess mir D. Roque die Schlüssel zu dieser päpstlichen Woh- nung zurück. In der Nähe ist eine alte Kapelle, die Innocenz VIII im Jahre 1490 Johannes dem Täufer weihte; über der Thür ist er dar- 1) Dieser Saal ist jetzt ein Theil des etruskischen Museums (Museo Grego- riano) und enthält die Bronzen und Goldsachen. Er liegt rechts von der grossen Nische, welche das alte Theater des Belvedere abschloss. Die Fenster gehen auf die jetzige Sala delle muse des Museums. Der Aufgang ist aus dem Cortile der Statuen. 19

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/315>, abgerufen am 24.11.2024.