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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Viertes Buch.

Die Spanier, mit dem ihnen eignenh Plegma, verrathen fast
mit keiner Miene und Bewegung irgend welche Regung des
Innern; lebhafter ist die Mimik der Holländer.

Kaum braucht daran erinnert zu werden, wie Pferde, Co-
stüme, Waffen mit dem Blick des Sachkundigen, unübertreff-
lich in Farbe und Textur wiedergegeben sind. Sie allein kön-
nen das Auge lange beschäftigen. Die weite aufgebauschte
Facon der niederländischen Mode hätte Franz Hals nicht besser
getroffen. Wie vielsagend sind z. B. die Stiefel, beziehungs-
weise Füsse Spinolas und des Kommandanten. Solches Kostüm
wird jeder Historienmaler dem Velazquez beneiden, wenigstens
den unersetzlichen Vortheil, die Menschen in ihm sich bewegen
zu sehen. Heute hat man nur die Wahl zwischen dem Leben
in unmalerischer und nach wenigen Jahren lächerlicher Mode-
tracht, und archäologischen Puppen.

Verlässt man nun diesen engeren und Hauptkreis, so be-
merkt man hinter den Spaniern eine Reihe von Lanzenträgern,
nebst Fähnrich (alferez) und Flötenspieler. Ausser Hörweite keh-
ren sie der Scene den Rücken zu und betrachten die Vorüber-
ziehenden. Etwas sonderbar nehmen sich aus die 29 Lanzen von
Eschenholz (nach denen das Bild benannt wird), die fast mathe-
matisch lothrecht mehr als ein Drittel von Landschaft und Him-
mel durchschneiden. Man hat sie geschmacklos gefunden. Aber
bei ihrem Anblick schlug jedes Spaniers Herz. Ihr starrer Paral-
lelismus war das Symbol der Mannszucht, welche die spanische
Infanterie so lange zum Schrecken Europa's gemacht hatte.
Wenige Jahre waren ins Land gegangen nach der Ausstellung
des ersten Gemäldes von Leonardo, als dieses eiserne "Aehren-
feld"1) in der Schlacht bei Rocroy (1643) von Conde niederge-
mäht wurde, -- um sich nicht wieder aufzurichten.

Ungeachtet der Anfüllung des Vordergrunds hat sich der
Maler eine sehr weit auseinandergehende Fernsicht zu verschaf-
fen gewusst. Der Hintergrund gehört zu den nicht am wenigsten
gepriesenen Schönheiten des Gemäldes. In den Zwischenräumen
beider Massen erblickt man die im hellen Licht des Junimorgens

1) Calderon vergleicht die gallarda infanteria mit einem Aehrenfeld:
y al mirarlos, parecia,
que espigas de acero daba,
y que al compas que marchaba
el zefiro las movia.
Viertes Buch.

Die Spanier, mit dem ihnen eignenh Plegma, verrathen fast
mit keiner Miene und Bewegung irgend welche Regung des
Innern; lebhafter ist die Mimik der Holländer.

Kaum braucht daran erinnert zu werden, wie Pferde, Co-
stüme, Waffen mit dem Blick des Sachkundigen, unübertreff-
lich in Farbe und Textur wiedergegeben sind. Sie allein kön-
nen das Auge lange beschäftigen. Die weite aufgebauschte
Façon der niederländischen Mode hätte Franz Hals nicht besser
getroffen. Wie vielsagend sind z. B. die Stiefel, beziehungs-
weise Füsse Spinolas und des Kommandanten. Solches Kostüm
wird jeder Historienmaler dem Velazquez beneiden, wenigstens
den unersetzlichen Vortheil, die Menschen in ihm sich bewegen
zu sehen. Heute hat man nur die Wahl zwischen dem Leben
in unmalerischer und nach wenigen Jahren lächerlicher Mode-
tracht, und archäologischen Puppen.

Verlässt man nun diesen engeren und Hauptkreis, so be-
merkt man hinter den Spaniern eine Reihe von Lanzenträgern,
nebst Fähnrich (alférez) und Flötenspieler. Ausser Hörweite keh-
ren sie der Scene den Rücken zu und betrachten die Vorüber-
ziehenden. Etwas sonderbar nehmen sich aus die 29 Lanzen von
Eschenholz (nach denen das Bild benannt wird), die fast mathe-
matisch lothrecht mehr als ein Drittel von Landschaft und Him-
mel durchschneiden. Man hat sie geschmacklos gefunden. Aber
bei ihrem Anblick schlug jedes Spaniers Herz. Ihr starrer Paral-
lelismus war das Symbol der Mannszucht, welche die spanische
Infanterie so lange zum Schrecken Europa’s gemacht hatte.
Wenige Jahre waren ins Land gegangen nach der Ausstellung
des ersten Gemäldes von Leonardo, als dieses eiserne „Aehren-
feld“1) in der Schlacht bei Rocroy (1643) von Condé niederge-
mäht wurde, — um sich nicht wieder aufzurichten.

Ungeachtet der Anfüllung des Vordergrunds hat sich der
Maler eine sehr weit auseinandergehende Fernsicht zu verschaf-
fen gewusst. Der Hintergrund gehört zu den nicht am wenigsten
gepriesenen Schönheiten des Gemäldes. In den Zwischenräumen
beider Massen erblickt man die im hellen Licht des Junimorgens

1) Calderon vergleicht die gallarda infanteria mit einem Aehrenfeld:
y al mirarlos, parecia,
que espigas de acero daba,
y que al compas que marchaba
el zéfiro las movia.
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[364/0392] Viertes Buch. Die Spanier, mit dem ihnen eignenh Plegma, verrathen fast mit keiner Miene und Bewegung irgend welche Regung des Innern; lebhafter ist die Mimik der Holländer. Kaum braucht daran erinnert zu werden, wie Pferde, Co- stüme, Waffen mit dem Blick des Sachkundigen, unübertreff- lich in Farbe und Textur wiedergegeben sind. Sie allein kön- nen das Auge lange beschäftigen. Die weite aufgebauschte Façon der niederländischen Mode hätte Franz Hals nicht besser getroffen. Wie vielsagend sind z. B. die Stiefel, beziehungs- weise Füsse Spinolas und des Kommandanten. Solches Kostüm wird jeder Historienmaler dem Velazquez beneiden, wenigstens den unersetzlichen Vortheil, die Menschen in ihm sich bewegen zu sehen. Heute hat man nur die Wahl zwischen dem Leben in unmalerischer und nach wenigen Jahren lächerlicher Mode- tracht, und archäologischen Puppen. Verlässt man nun diesen engeren und Hauptkreis, so be- merkt man hinter den Spaniern eine Reihe von Lanzenträgern, nebst Fähnrich (alférez) und Flötenspieler. Ausser Hörweite keh- ren sie der Scene den Rücken zu und betrachten die Vorüber- ziehenden. Etwas sonderbar nehmen sich aus die 29 Lanzen von Eschenholz (nach denen das Bild benannt wird), die fast mathe- matisch lothrecht mehr als ein Drittel von Landschaft und Him- mel durchschneiden. Man hat sie geschmacklos gefunden. Aber bei ihrem Anblick schlug jedes Spaniers Herz. Ihr starrer Paral- lelismus war das Symbol der Mannszucht, welche die spanische Infanterie so lange zum Schrecken Europa’s gemacht hatte. Wenige Jahre waren ins Land gegangen nach der Ausstellung des ersten Gemäldes von Leonardo, als dieses eiserne „Aehren- feld“ 1) in der Schlacht bei Rocroy (1643) von Condé niederge- mäht wurde, — um sich nicht wieder aufzurichten. Ungeachtet der Anfüllung des Vordergrunds hat sich der Maler eine sehr weit auseinandergehende Fernsicht zu verschaf- fen gewusst. Der Hintergrund gehört zu den nicht am wenigsten gepriesenen Schönheiten des Gemäldes. In den Zwischenräumen beider Massen erblickt man die im hellen Licht des Junimorgens 1) Calderon vergleicht die gallarda infanteria mit einem Aehrenfeld: y al mirarlos, parecia, que espigas de acero daba, y que al compas que marchaba el zéfiro las movia.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/392>, abgerufen am 23.11.2024.