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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Viertes Buch.
Murillo in Madrid.

Zu den neuen Gesichtern unter jenen Besuchern des Velaz-
quez gehörte ein armer Jüngling, der im Jahre 1643 wahrschein-
lich mit Maulthiertreibern die Reise von Sevilla nach der Haupt-
stadt gemacht hatte, vertrauend auf seinen Stern. Doch kam
er nicht wie die übrigen, um bei Hofe sein Glück zu machen,
sondern um zu lernen, obwol er dazu fast schon zu alt war,
wenn auch nicht nach den Jahren. Er war ein Dutzendmaler, aber
der Trieb nach Höherem war in ihm unwiderstehlich geworden.

Hören wir noch einmal wie es Bartolome Murillo bisher er-
gangen, um zu verstehen was Velazquez ihm gewesen ist.

Er war Dank den Anzeichen seines Talents früh zu einem
guten Maler in die Lehre gegeben worden, demselben, der auch
Alonso Cano's Meister gewesen war, Juan de Castillo (geb. 1584).
Dieser war einer der Nachzügler der Manieristen; ein Maler
ohne Eigenschaften und Fehler: etwas unbedeutende Atelierge-
sichter, dem gefälligen, ruhigen, sanften zugewandt, nicht ohne
Geschick in Composition, in Wirkungen von Licht und Luft.
So erscheint er uns in seinem Hauptwerk, den Altartafeln der
Kirche S. Juan de Alfarache, die früher der Kirche S. Juan de
la Palma gehörten, und in den Stücken des Museums von Sevilla.

Als Castillo im Jahre 1639 nach Cadiz ging, heisst es. sah
sich Murillo, der ihm also wol bis dahin gedient hatte, völlig
mittellos. Er begann für die Messbuden der Feria zu arbeiten,
um sich satt essen zu können.

Wie er damals gemalt hat, darüber geben seine Biographen
keine Auskunft. Bilder dieser Art verschwinden wie Tropfen
im Sumpf des Namenlosen. Nur selten mag man ihn eines Auf-
trags etwa für die Ecke irgend eines Kreuzgangs, der Billigkeit
wegen, gewürdigt haben. Ponz und Cean Bermudez wurden
noch drei solche Werke gezeigt. Eins stand in einem Winkel
des Dominikanerkollegs Regina Coelorum1).

Dieses Gemälde hat mit allen seinen bekannten späteren
Werken keine Aehnlichkeit. Es ist in hellem heiterem Ton,
glatt, fleissig und flach gemalt. Ein Programmbild, getreu dem

1) Bei einem Besuch in Cambridge (1879) hatte ich Gelegenheit, Dank einer
brieflichen Mittheilung Sidney Colvin's, bei Joseph Prior, Tutor von Trinity
College, dieses Gemälde zn sehn.
Viertes Buch.
Murillo in Madrid.

Zu den neuen Gesichtern unter jenen Besuchern des Velaz-
quez gehörte ein armer Jüngling, der im Jahre 1643 wahrschein-
lich mit Maulthiertreibern die Reise von Sevilla nach der Haupt-
stadt gemacht hatte, vertrauend auf seinen Stern. Doch kam
er nicht wie die übrigen, um bei Hofe sein Glück zu machen,
sondern um zu lernen, obwol er dazu fast schon zu alt war,
wenn auch nicht nach den Jahren. Er war ein Dutzendmaler, aber
der Trieb nach Höherem war in ihm unwiderstehlich geworden.

Hören wir noch einmal wie es Bartolomé Murillo bisher er-
gangen, um zu verstehen was Velazquez ihm gewesen ist.

Er war Dank den Anzeichen seines Talents früh zu einem
guten Maler in die Lehre gegeben worden, demselben, der auch
Alonso Cano’s Meister gewesen war, Juan de Castillo (geb. 1584).
Dieser war einer der Nachzügler der Manieristen; ein Maler
ohne Eigenschaften und Fehler: etwas unbedeutende Atelierge-
sichter, dem gefälligen, ruhigen, sanften zugewandt, nicht ohne
Geschick in Composition, in Wirkungen von Licht und Luft.
So erscheint er uns in seinem Hauptwerk, den Altartafeln der
Kirche S. Juan de Alfarache, die früher der Kirche S. Juan de
la Palma gehörten, und in den Stücken des Museums von Sevilla.

Als Castillo im Jahre 1639 nach Cadiz ging, heisst es. sah
sich Murillo, der ihm also wol bis dahin gedient hatte, völlig
mittellos. Er begann für die Messbuden der Feria zu arbeiten,
um sich satt essen zu können.

Wie er damals gemalt hat, darüber geben seine Biographen
keine Auskunft. Bilder dieser Art verschwinden wie Tropfen
im Sumpf des Namenlosen. Nur selten mag man ihn eines Auf-
trags etwa für die Ecke irgend eines Kreuzgangs, der Billigkeit
wegen, gewürdigt haben. Ponz und Cean Bermudez wurden
noch drei solche Werke gezeigt. Eins stand in einem Winkel
des Dominikanerkollegs Regina Coelorum1).

Dieses Gemälde hat mit allen seinen bekannten späteren
Werken keine Aehnlichkeit. Es ist in hellem heiterem Ton,
glatt, fleissig und flach gemalt. Ein Programmbild, getreu dem

1) Bei einem Besuch in Cambridge (1879) hatte ich Gelegenheit, Dank einer
brieflichen Mittheilung Sidney Colvin’s, bei Joseph Prior, Tutor von Trinity
College, dieses Gemälde zn sehn.
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[406/0434] Viertes Buch. Murillo in Madrid. Zu den neuen Gesichtern unter jenen Besuchern des Velaz- quez gehörte ein armer Jüngling, der im Jahre 1643 wahrschein- lich mit Maulthiertreibern die Reise von Sevilla nach der Haupt- stadt gemacht hatte, vertrauend auf seinen Stern. Doch kam er nicht wie die übrigen, um bei Hofe sein Glück zu machen, sondern um zu lernen, obwol er dazu fast schon zu alt war, wenn auch nicht nach den Jahren. Er war ein Dutzendmaler, aber der Trieb nach Höherem war in ihm unwiderstehlich geworden. Hören wir noch einmal wie es Bartolomé Murillo bisher er- gangen, um zu verstehen was Velazquez ihm gewesen ist. Er war Dank den Anzeichen seines Talents früh zu einem guten Maler in die Lehre gegeben worden, demselben, der auch Alonso Cano’s Meister gewesen war, Juan de Castillo (geb. 1584). Dieser war einer der Nachzügler der Manieristen; ein Maler ohne Eigenschaften und Fehler: etwas unbedeutende Atelierge- sichter, dem gefälligen, ruhigen, sanften zugewandt, nicht ohne Geschick in Composition, in Wirkungen von Licht und Luft. So erscheint er uns in seinem Hauptwerk, den Altartafeln der Kirche S. Juan de Alfarache, die früher der Kirche S. Juan de la Palma gehörten, und in den Stücken des Museums von Sevilla. Als Castillo im Jahre 1639 nach Cadiz ging, heisst es. sah sich Murillo, der ihm also wol bis dahin gedient hatte, völlig mittellos. Er begann für die Messbuden der Feria zu arbeiten, um sich satt essen zu können. Wie er damals gemalt hat, darüber geben seine Biographen keine Auskunft. Bilder dieser Art verschwinden wie Tropfen im Sumpf des Namenlosen. Nur selten mag man ihn eines Auf- trags etwa für die Ecke irgend eines Kreuzgangs, der Billigkeit wegen, gewürdigt haben. Ponz und Cean Bermudez wurden noch drei solche Werke gezeigt. Eins stand in einem Winkel des Dominikanerkollegs Regina Coelorum 1). Dieses Gemälde hat mit allen seinen bekannten späteren Werken keine Aehnlichkeit. Es ist in hellem heiterem Ton, glatt, fleissig und flach gemalt. Ein Programmbild, getreu dem 1) Bei einem Besuch in Cambridge (1879) hatte ich Gelegenheit, Dank einer brieflichen Mittheilung Sidney Colvin’s, bei Joseph Prior, Tutor von Trinity College, dieses Gemälde zn sehn.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 406. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/434>, abgerufen am 22.11.2024.