herangezogenen Fremden. Aber "ach, das Leben ist am Ziele, und die Kunst noch kaum begonnen"; er starb 1579, und keiner zeigte sich im Stande, seinen Bogen zu spannen.
El Greco.
Ein Beweis der Anziehungskraft venezianischer Art für spanische Augen ist der Beifall, welchen die Gemälde des Greco dort fanden. Zu derselben Zeit wo im Escorial zum erstenmal ein Navarrer tizianisch malte, erschien in Toledo ein Grieche aus Kreta, der sich, wie jener Schiffersohn aus Milo, Antonio Vassilacchi, genannt l'Aliense (alieus Fischer?), die Malerei der Lagunenstadt an ihrer Quelle zu eigen gemacht hatte. Stets unterzeichnete er in griechischer Schrift, aber mit lateinischer Uebertragung seines Taufnamens Kyriakos: Domenikos Theotokopoulos Kres epoiei.
Der Ueberlieferung gilt er als Schüler Tizians und wol mit Recht.
Dieser Mann ist ebenso merkwürdig durch sein ausser- ordentliches malerisches Genie und durch den Anstoss, den er der spanischen Malerei gab, wie durch die beispiellose, und in der That pathologische Entartung der Manier, der er in der Folge verfiel. Die bisherigen Biographen kennen ihn nur von seinem Auftreten in Spanien an (1575), aber es giebt noch genug beglaubigte Bilder aus seiner italienischen Zeit, die sich den besten Sachen der venezianischen Schule anreihen. Obwol von sehr besonderer Physiognomie, haben sie lange, da Niemand von seiner Existenz wusste, als Tizian, Paul Veronese, Bassano, ja Barocci cursirt. Es sind theils Bildnisse, theils figurenreiche, lebhaft bewegte Scenen aus den Evangelien, im kecken Strich und in den Geberden Tintoretto ähnlich, aber reicher in der Charakteristik und pastos-farbiger. Durchblicke über marmor- gepflasterte Plätze, längs einer Palastflucht, in die Berge, geben ihnen einen stark venezianischen Accent. Von Michelangelo ist er berührt worden, wie manche Aktfiguren beweisen, und was das seltsamste ist, alte byzantinische Erinnerungen verfolgen ihn in Erfindung und Gruppirung.
In der Galerie zu Parma ist die Heilung des Blindgeborenen, von der eine veränderte, aber unbezeichnete Wiederholung in der Dresdener Galerie, dort Leandro da Bassano genannt (N. 280).
Erstes Buch.
herangezogenen Fremden. Aber „ach, das Leben ist am Ziele, und die Kunst noch kaum begonnen“; er starb 1579, und keiner zeigte sich im Stande, seinen Bogen zu spannen.
El Greco.
Ein Beweis der Anziehungskraft venezianischer Art für spanische Augen ist der Beifall, welchen die Gemälde des Greco dort fanden. Zu derselben Zeit wo im Escorial zum erstenmal ein Navarrer tizianisch malte, erschien in Toledo ein Grieche aus Kreta, der sich, wie jener Schiffersohn aus Milo, Antonio Vassilacchi, genannt l’Aliense (ἁλιεύς Fischer?), die Malerei der Lagunenstadt an ihrer Quelle zu eigen gemacht hatte. Stets unterzeichnete er in griechischer Schrift, aber mit lateinischer Uebertragung seines Taufnamens Kyriakos: Δομήνικος Θεοτοκόπουλος Κρὴς ἐποίει.
Der Ueberlieferung gilt er als Schüler Tizians und wol mit Recht.
Dieser Mann ist ebenso merkwürdig durch sein ausser- ordentliches malerisches Genie und durch den Anstoss, den er der spanischen Malerei gab, wie durch die beispiellose, und in der That pathologische Entartung der Manier, der er in der Folge verfiel. Die bisherigen Biographen kennen ihn nur von seinem Auftreten in Spanien an (1575), aber es giebt noch genug beglaubigte Bilder aus seiner italienischen Zeit, die sich den besten Sachen der venezianischen Schule anreihen. Obwol von sehr besonderer Physiognomie, haben sie lange, da Niemand von seiner Existenz wusste, als Tizian, Paul Veronese, Bassano, ja Barocci cursirt. Es sind theils Bildnisse, theils figurenreiche, lebhaft bewegte Scenen aus den Evangelien, im kecken Strich und in den Geberden Tintoretto ähnlich, aber reicher in der Charakteristik und pastos-farbiger. Durchblicke über marmor- gepflasterte Plätze, längs einer Palastflucht, in die Berge, geben ihnen einen stark venezianischen Accent. Von Michelangelo ist er berührt worden, wie manche Aktfiguren beweisen, und was das seltsamste ist, alte byzantinische Erinnerungen verfolgen ihn in Erfindung und Gruppirung.
In der Galerie zu Parma ist die Heilung des Blindgeborenen, von der eine veränderte, aber unbezeichnete Wiederholung in der Dresdener Galerie, dort Leandro da Bassano genannt (N. 280).
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Erstes Buch.
herangezogenen Fremden. Aber „ach, das Leben ist am Ziele,
und die Kunst noch kaum begonnen“; er starb 1579, und keiner
zeigte sich im Stande, seinen Bogen zu spannen.
El Greco.
Ein Beweis der Anziehungskraft venezianischer Art für
spanische Augen ist der Beifall, welchen die Gemälde des Greco
dort fanden. Zu derselben Zeit wo im Escorial zum erstenmal
ein Navarrer tizianisch malte, erschien in Toledo ein Grieche
aus Kreta, der sich, wie jener Schiffersohn aus Milo, Antonio
Vassilacchi, genannt l’Aliense (ἁλιεύς Fischer?), die Malerei der
Lagunenstadt an ihrer Quelle zu eigen gemacht hatte. Stets
unterzeichnete er in griechischer Schrift, aber mit lateinischer
Uebertragung seines Taufnamens Kyriakos:
Δομήνικος Θεοτοκόπουλος Κρὴς ἐποίει.
Der Ueberlieferung gilt er als Schüler Tizians und wol
mit Recht.
Dieser Mann ist ebenso merkwürdig durch sein ausser-
ordentliches malerisches Genie und durch den Anstoss, den er
der spanischen Malerei gab, wie durch die beispiellose, und in
der That pathologische Entartung der Manier, der er in der
Folge verfiel. Die bisherigen Biographen kennen ihn nur von
seinem Auftreten in Spanien an (1575), aber es giebt noch genug
beglaubigte Bilder aus seiner italienischen Zeit, die sich den
besten Sachen der venezianischen Schule anreihen. Obwol von
sehr besonderer Physiognomie, haben sie lange, da Niemand
von seiner Existenz wusste, als Tizian, Paul Veronese, Bassano,
ja Barocci cursirt. Es sind theils Bildnisse, theils figurenreiche,
lebhaft bewegte Scenen aus den Evangelien, im kecken Strich
und in den Geberden Tintoretto ähnlich, aber reicher in der
Charakteristik und pastos-farbiger. Durchblicke über marmor-
gepflasterte Plätze, längs einer Palastflucht, in die Berge, geben
ihnen einen stark venezianischen Accent. Von Michelangelo ist
er berührt worden, wie manche Aktfiguren beweisen, und was
das seltsamste ist, alte byzantinische Erinnerungen verfolgen ihn
in Erfindung und Gruppirung.
In der Galerie zu Parma ist die Heilung des Blindgeborenen,
von der eine veränderte, aber unbezeichnete Wiederholung in
der Dresdener Galerie, dort Leandro da Bassano genannt (N. 280).
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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/96>, abgerufen am 27.11.2024.
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