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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Der Prinz Balthasar Carlos.
Zeit stammt das Gemälde in Castle Howard, früher "der Prinz
von Parma" genannt und Correggio zugeschrieben. Vielleicht
kam es aus Parma in die Orleansgalerie. Waagen's gutes Auge
hat es zuerst als Velazquez erkannt1).

Es ist ein Einfall kindisch glücklicher Eltern, an deren Freude
der Kammermaler gerne theilnahm. Wie denn der Knabe ihm
sehr zugethan gewesen sein soll. Er steht etwas rückwärts, in
seinem langen, kegelförmigen, dunkelgrünen, goldgestickten Kin-
derröckchen. Ein blondes Köpfchen mit dünnem Flachshaar, an den
Schläfen leicht gelockt; das Gesicht eine ovale Fläche in weichem
Licht, nur die braunen Kugeln der Augen, die er von der Mutter
hatte, bringen etwas Kraft und Leben in das zarte Eirund, obwol
ein Blick noch nicht darin ist. Dieser Embryo eines Menschen-
gesichts sitzt auf einem gestickten Kragen, darunter sieht als
erster Keim der Rüstung, statt des Geiferlätzchens, ein stählernes
Brustplättchen hervor. Die Linke ruht am Kinderdegen, aber
die Rechte packt den Kommandostab mit dem Griff eines Thron-
erben, wenn er ihm auch vorläufig erst als Gehstock dient;
seine erste königliche Leistung war ja strammes Stehen.

Diess blonde, schimmernde Püppchen schwimmt in einer
Fluth prächtigsten Königsroths: oben Purpurvorhang, dahinter die
dunklere Note der Tapete, Scharlachteppich mit schwarzen Blu-
men; darauf das rothe Kissen für den schwarzen Sammthut mit
Goldstoffband und weisser Straussenfeder. An ihm selbst ist
roth nur die Schärpe.

Zwei Schritt weiter vorwärts marschirt ein Zwerg, in eben-
falls dunkelgrünem Rock mit grosser weisser Schürze. Er er-
muntert den Gebieter zum Nachfolgen durch eine silberne Schelle,
die er wie einen Heroldstab vorträgt in der einen, den Apfel
in der andern Hand. Wie eine treue Dogge wendet er jetzt den
dicken Kopf zurück, denn Seine Hoheit hat zu überhören geruht,
wenigstens behauptet Hochdieselbe der Verlockung der Musik
gegenüber ihre apathische Würde, auch weilt ihr Sinn in der
Ferne. Dieser Leibhund in Menschengestalt trägt einen ausge-
arteten Kinderkopf, mit stierartig vordringender Stirn, Glotz-
augen, kurzer Stülpnase und wulstigen Lippen; braune Schatten
geben starkes Relief. So war der Geschmack in der Wahl
gleichaltrigen Umgangs. Wenn ihn die Olivares mit in ihren

1) In my opinion, judging from conception, colouring and treatment, an
admirable picture by Velazquez. Treasures III, 323. Waagen war damals noch
nicht in Spanien gewesen.
II. 9

Der Prinz Balthasar Carlos.
Zeit stammt das Gemälde in Castle Howard, früher „der Prinz
von Parma“ genannt und Correggio zugeschrieben. Vielleicht
kam es aus Parma in die Orleansgalerie. Waagen’s gutes Auge
hat es zuerst als Velazquez erkannt1).

Es ist ein Einfall kindisch glücklicher Eltern, an deren Freude
der Kammermaler gerne theilnahm. Wie denn der Knabe ihm
sehr zugethan gewesen sein soll. Er steht etwas rückwärts, in
seinem langen, kegelförmigen, dunkelgrünen, goldgestickten Kin-
derröckchen. Ein blondes Köpfchen mit dünnem Flachshaar, an den
Schläfen leicht gelockt; das Gesicht eine ovale Fläche in weichem
Licht, nur die braunen Kugeln der Augen, die er von der Mutter
hatte, bringen etwas Kraft und Leben in das zarte Eirund, obwol
ein Blick noch nicht darin ist. Dieser Embryo eines Menschen-
gesichts sitzt auf einem gestickten Kragen, darunter sieht als
erster Keim der Rüstung, statt des Geiferlätzchens, ein stählernes
Brustplättchen hervor. Die Linke ruht am Kinderdegen, aber
die Rechte packt den Kommandostab mit dem Griff eines Thron-
erben, wenn er ihm auch vorläufig erst als Gehstock dient;
seine erste königliche Leistung war ja strammes Stehen.

Diess blonde, schimmernde Püppchen schwimmt in einer
Fluth prächtigsten Königsroths: oben Purpurvorhang, dahinter die
dunklere Note der Tapete, Scharlachteppich mit schwarzen Blu-
men; darauf das rothe Kissen für den schwarzen Sammthut mit
Goldstoffband und weisser Straussenfeder. An ihm selbst ist
roth nur die Schärpe.

Zwei Schritt weiter vorwärts marschirt ein Zwerg, in eben-
falls dunkelgrünem Rock mit grosser weisser Schürze. Er er-
muntert den Gebieter zum Nachfolgen durch eine silberne Schelle,
die er wie einen Heroldstab vorträgt in der einen, den Apfel
in der andern Hand. Wie eine treue Dogge wendet er jetzt den
dicken Kopf zurück, denn Seine Hoheit hat zu überhören geruht,
wenigstens behauptet Hochdieselbe der Verlockung der Musik
gegenüber ihre apathische Würde, auch weilt ihr Sinn in der
Ferne. Dieser Leibhund in Menschengestalt trägt einen ausge-
arteten Kinderkopf, mit stierartig vordringender Stirn, Glotz-
augen, kurzer Stülpnase und wulstigen Lippen; braune Schatten
geben starkes Relief. So war der Geschmack in der Wahl
gleichaltrigen Umgangs. Wenn ihn die Olivares mit in ihren

1) In my opinion, judging from conception, colouring and treatment, an
admirable picture by Velazquez. Treasures III, 323. Waagen war damals noch
nicht in Spanien gewesen.
II. 9
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[129/0149] Der Prinz Balthasar Carlos. Zeit stammt das Gemälde in Castle Howard, früher „der Prinz von Parma“ genannt und Correggio zugeschrieben. Vielleicht kam es aus Parma in die Orleansgalerie. Waagen’s gutes Auge hat es zuerst als Velazquez erkannt 1). Es ist ein Einfall kindisch glücklicher Eltern, an deren Freude der Kammermaler gerne theilnahm. Wie denn der Knabe ihm sehr zugethan gewesen sein soll. Er steht etwas rückwärts, in seinem langen, kegelförmigen, dunkelgrünen, goldgestickten Kin- derröckchen. Ein blondes Köpfchen mit dünnem Flachshaar, an den Schläfen leicht gelockt; das Gesicht eine ovale Fläche in weichem Licht, nur die braunen Kugeln der Augen, die er von der Mutter hatte, bringen etwas Kraft und Leben in das zarte Eirund, obwol ein Blick noch nicht darin ist. Dieser Embryo eines Menschen- gesichts sitzt auf einem gestickten Kragen, darunter sieht als erster Keim der Rüstung, statt des Geiferlätzchens, ein stählernes Brustplättchen hervor. Die Linke ruht am Kinderdegen, aber die Rechte packt den Kommandostab mit dem Griff eines Thron- erben, wenn er ihm auch vorläufig erst als Gehstock dient; seine erste königliche Leistung war ja strammes Stehen. Diess blonde, schimmernde Püppchen schwimmt in einer Fluth prächtigsten Königsroths: oben Purpurvorhang, dahinter die dunklere Note der Tapete, Scharlachteppich mit schwarzen Blu- men; darauf das rothe Kissen für den schwarzen Sammthut mit Goldstoffband und weisser Straussenfeder. An ihm selbst ist roth nur die Schärpe. Zwei Schritt weiter vorwärts marschirt ein Zwerg, in eben- falls dunkelgrünem Rock mit grosser weisser Schürze. Er er- muntert den Gebieter zum Nachfolgen durch eine silberne Schelle, die er wie einen Heroldstab vorträgt in der einen, den Apfel in der andern Hand. Wie eine treue Dogge wendet er jetzt den dicken Kopf zurück, denn Seine Hoheit hat zu überhören geruht, wenigstens behauptet Hochdieselbe der Verlockung der Musik gegenüber ihre apathische Würde, auch weilt ihr Sinn in der Ferne. Dieser Leibhund in Menschengestalt trägt einen ausge- arteten Kinderkopf, mit stierartig vordringender Stirn, Glotz- augen, kurzer Stülpnase und wulstigen Lippen; braune Schatten geben starkes Relief. So war der Geschmack in der Wahl gleichaltrigen Umgangs. Wenn ihn die Olivares mit in ihren 1) In my opinion, judging from conception, colouring and treatment, an admirable picture by Velazquez. Treasures III, 323. Waagen war damals noch nicht in Spanien gewesen. II. 9

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/149>, abgerufen am 04.12.2024.