sprechendes Porträt in Windsor, wie man hörte, zusammengerollt zum Vorschein gekommen und in einem Zimmer des Buckingham Palastes aufgehängt worden (39" x 221/2").
Diessmal ist es ein munterer, gesunder, aufgeweckter Knabe, voll vom Stolz seiner Ritterrüstung und der goldenen Sporen; die Stellung, mit weit vorgesetztem rechten Bein ist keck, unter- nehmend; in der Rechten hält er den Kommandostab, die Linke, im Stahlhandschuh, ruht an der Degenkoppel. Der breite, weisse, gestickte Kragen, die grosse goldgestickte, rothe Schärpe, der Metallglanz wirken prächtig auf dunklem Grund zwischen dem Karmesin von Sessel, Vorhang und Tisch. Ein Gegenstück zu dem Reiterbildniss, dort der kühle, gleichmässig verbreitete Schimmer der freien Luft, hier der warme gesättigte Ton des Innenraums, mit dem Spiel breiter, silberner und goldener Reflexlichter der Metalle und Stickereien.
Eine Wiederholung vertritt den Meister in der Galerie des Haag, sie stammt aus der Sammlung König Wilhelm II und lässt sich bis zum Cabinet Rainer zurückverfolgen (1821). Ueber das Verhältniss beider gleichzeitig aus dem Obrador des Velaz- quez hervorgegangenen Werke lässt sich ohne Konfrontirung kaum ein sicheres Urtheil geben; besonders da in dem eng- lischen Exemplar der Firniss in Abzug gebracht werden muss. In dem holländischen Exemplar verstimmt eine gewisse Härte und Trockenheit, auch im Antlitz. Der Grund ist hellgrau mit Stich in grün. Die Figur hat viel Platz um sich; sie steht in der Mitte einer Diagonale, die von dem Sessel hinten links nach dem Tisch vorn rechts geht, dessen rothe Decke über die Bildfläche hinaus- zureichen scheint; der kleine General will Elnbogenraum haben. Der Maler hat den Vorhang dicht an den Rand geschoben, oben wieder der dreieckige Zipfel.
Endlich, in seinem fünfzehnten Jahre, schien man sich zu erinnern, dass der einstige "grösste König der Welt" auch eine Vorstellung davon bekommen müsse, dass es Regierungsgeschäfte gebe: man liess ihn an den Consulten theilnehmen. Und um ihm ein begeisterndes Bild von dem Sinn seines staatsklugen Grossvaters (el prudente) zu geben, nahm ihn der Vater zum erstenmal mit nach dem Escorial, und zeigte ihm an einem Tage das "einzige Wunder der Welt". Er erhielt nun seinen Hof- staat (familia), und lebte auf, frei von der "Clausur des Palastes". Als bald darauf im Juni 1646 seine Vermählung mit Marianne von Oesterreich veröffentlicht wurde und der Bräutigam seinen
Der Prinz Balthasar Carlos.
sprechendes Porträt in Windsor, wie man hörte, zusammengerollt zum Vorschein gekommen und in einem Zimmer des Buckingham Palastes aufgehängt worden (39″ × 22½″).
Diessmal ist es ein munterer, gesunder, aufgeweckter Knabe, voll vom Stolz seiner Ritterrüstung und der goldenen Sporen; die Stellung, mit weit vorgesetztem rechten Bein ist keck, unter- nehmend; in der Rechten hält er den Kommandostab, die Linke, im Stahlhandschuh, ruht an der Degenkoppel. Der breite, weisse, gestickte Kragen, die grosse goldgestickte, rothe Schärpe, der Metallglanz wirken prächtig auf dunklem Grund zwischen dem Karmesin von Sessel, Vorhang und Tisch. Ein Gegenstück zu dem Reiterbildniss, dort der kühle, gleichmässig verbreitete Schimmer der freien Luft, hier der warme gesättigte Ton des Innenraums, mit dem Spiel breiter, silberner und goldener Reflexlichter der Metalle und Stickereien.
Eine Wiederholung vertritt den Meister in der Galerie des Haag, sie stammt aus der Sammlung König Wilhelm II und lässt sich bis zum Cabinet Rainer zurückverfolgen (1821). Ueber das Verhältniss beider gleichzeitig aus dem Obrador des Velaz- quez hervorgegangenen Werke lässt sich ohne Konfrontirung kaum ein sicheres Urtheil geben; besonders da in dem eng- lischen Exemplar der Firniss in Abzug gebracht werden muss. In dem holländischen Exemplar verstimmt eine gewisse Härte und Trockenheit, auch im Antlitz. Der Grund ist hellgrau mit Stich in grün. Die Figur hat viel Platz um sich; sie steht in der Mitte einer Diagonale, die von dem Sessel hinten links nach dem Tisch vorn rechts geht, dessen rothe Decke über die Bildfläche hinaus- zureichen scheint; der kleine General will Elnbogenraum haben. Der Maler hat den Vorhang dicht an den Rand geschoben, oben wieder der dreieckige Zipfel.
Endlich, in seinem fünfzehnten Jahre, schien man sich zu erinnern, dass der einstige „grösste König der Welt“ auch eine Vorstellung davon bekommen müsse, dass es Regierungsgeschäfte gebe: man liess ihn an den Consulten theilnehmen. Und um ihm ein begeisterndes Bild von dem Sinn seines staatsklugen Grossvaters (el prudente) zu geben, nahm ihn der Vater zum erstenmal mit nach dem Escorial, und zeigte ihm an einem Tage das „einzige Wunder der Welt“. Er erhielt nun seinen Hof- staat (familia), und lebte auf, frei von der „Clausur des Palastes“. Als bald darauf im Juni 1646 seine Vermählung mit Marianne von Oesterreich veröffentlicht wurde und der Bräutigam seinen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0159"n="139"/><fwplace="top"type="header">Der Prinz Balthasar Carlos.</fw><lb/>
sprechendes Porträt in Windsor, wie man hörte, zusammengerollt<lb/>
zum Vorschein gekommen und in einem Zimmer des Buckingham<lb/>
Palastes aufgehängt worden (39″ × 22½″).</p><lb/><p>Diessmal ist es ein munterer, gesunder, aufgeweckter Knabe,<lb/>
voll vom Stolz seiner Ritterrüstung und der goldenen Sporen;<lb/>
die Stellung, mit weit vorgesetztem rechten Bein ist keck, unter-<lb/>
nehmend; in der Rechten hält er den Kommandostab, die Linke,<lb/>
im Stahlhandschuh, ruht an der Degenkoppel. Der breite, weisse,<lb/>
gestickte Kragen, die grosse goldgestickte, rothe Schärpe, der<lb/>
Metallglanz wirken prächtig auf dunklem Grund zwischen dem<lb/>
Karmesin von Sessel, Vorhang und Tisch. Ein Gegenstück zu dem<lb/>
Reiterbildniss, dort der kühle, gleichmässig verbreitete Schimmer<lb/>
der freien Luft, hier der warme gesättigte Ton des Innenraums,<lb/>
mit dem Spiel breiter, silberner und goldener Reflexlichter der<lb/>
Metalle und Stickereien.</p><lb/><p>Eine Wiederholung vertritt den Meister in der Galerie des<lb/>
Haag, sie stammt aus der Sammlung König Wilhelm II und<lb/>
lässt sich bis zum Cabinet Rainer zurückverfolgen (1821). Ueber<lb/>
das Verhältniss beider gleichzeitig aus dem Obrador des Velaz-<lb/>
quez hervorgegangenen Werke lässt sich ohne Konfrontirung<lb/>
kaum ein sicheres Urtheil geben; besonders da in dem eng-<lb/>
lischen Exemplar der Firniss in Abzug gebracht werden muss.<lb/>
In dem holländischen Exemplar verstimmt eine gewisse Härte und<lb/>
Trockenheit, auch im Antlitz. Der Grund ist hellgrau mit Stich<lb/>
in grün. Die Figur hat viel Platz um sich; sie steht in der Mitte<lb/>
einer Diagonale, die von dem Sessel hinten links nach dem Tisch<lb/>
vorn rechts geht, dessen rothe Decke über die Bildfläche hinaus-<lb/>
zureichen scheint; der kleine General will Elnbogenraum haben.<lb/>
Der Maler hat den Vorhang dicht an den Rand geschoben, oben<lb/>
wieder der dreieckige Zipfel.</p><lb/><p>Endlich, in seinem fünfzehnten Jahre, schien man sich zu<lb/>
erinnern, dass der einstige „grösste König der Welt“ auch eine<lb/>
Vorstellung davon bekommen müsse, dass es Regierungsgeschäfte<lb/>
gebe: man liess ihn an den Consulten theilnehmen. Und um<lb/>
ihm ein begeisterndes Bild von dem Sinn seines staatsklugen<lb/>
Grossvaters (<hirendition="#i">el prudente</hi>) zu geben, nahm ihn der Vater zum<lb/>
erstenmal mit nach dem Escorial, und zeigte ihm an einem Tage<lb/>
das „einzige Wunder der Welt“. Er erhielt nun seinen Hof-<lb/>
staat (<hirendition="#i">familia</hi>), und lebte auf, frei von der „Clausur des Palastes“.<lb/>
Als bald darauf im Juni 1646 seine Vermählung mit Marianne<lb/>
von Oesterreich veröffentlicht wurde und der Bräutigam seinen<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[139/0159]
Der Prinz Balthasar Carlos.
sprechendes Porträt in Windsor, wie man hörte, zusammengerollt
zum Vorschein gekommen und in einem Zimmer des Buckingham
Palastes aufgehängt worden (39″ × 22½″).
Diessmal ist es ein munterer, gesunder, aufgeweckter Knabe,
voll vom Stolz seiner Ritterrüstung und der goldenen Sporen;
die Stellung, mit weit vorgesetztem rechten Bein ist keck, unter-
nehmend; in der Rechten hält er den Kommandostab, die Linke,
im Stahlhandschuh, ruht an der Degenkoppel. Der breite, weisse,
gestickte Kragen, die grosse goldgestickte, rothe Schärpe, der
Metallglanz wirken prächtig auf dunklem Grund zwischen dem
Karmesin von Sessel, Vorhang und Tisch. Ein Gegenstück zu dem
Reiterbildniss, dort der kühle, gleichmässig verbreitete Schimmer
der freien Luft, hier der warme gesättigte Ton des Innenraums,
mit dem Spiel breiter, silberner und goldener Reflexlichter der
Metalle und Stickereien.
Eine Wiederholung vertritt den Meister in der Galerie des
Haag, sie stammt aus der Sammlung König Wilhelm II und
lässt sich bis zum Cabinet Rainer zurückverfolgen (1821). Ueber
das Verhältniss beider gleichzeitig aus dem Obrador des Velaz-
quez hervorgegangenen Werke lässt sich ohne Konfrontirung
kaum ein sicheres Urtheil geben; besonders da in dem eng-
lischen Exemplar der Firniss in Abzug gebracht werden muss.
In dem holländischen Exemplar verstimmt eine gewisse Härte und
Trockenheit, auch im Antlitz. Der Grund ist hellgrau mit Stich
in grün. Die Figur hat viel Platz um sich; sie steht in der Mitte
einer Diagonale, die von dem Sessel hinten links nach dem Tisch
vorn rechts geht, dessen rothe Decke über die Bildfläche hinaus-
zureichen scheint; der kleine General will Elnbogenraum haben.
Der Maler hat den Vorhang dicht an den Rand geschoben, oben
wieder der dreieckige Zipfel.
Endlich, in seinem fünfzehnten Jahre, schien man sich zu
erinnern, dass der einstige „grösste König der Welt“ auch eine
Vorstellung davon bekommen müsse, dass es Regierungsgeschäfte
gebe: man liess ihn an den Consulten theilnehmen. Und um
ihm ein begeisterndes Bild von dem Sinn seines staatsklugen
Grossvaters (el prudente) zu geben, nahm ihn der Vater zum
erstenmal mit nach dem Escorial, und zeigte ihm an einem Tage
das „einzige Wunder der Welt“. Er erhielt nun seinen Hof-
staat (familia), und lebte auf, frei von der „Clausur des Palastes“.
Als bald darauf im Juni 1646 seine Vermählung mit Marianne
von Oesterreich veröffentlicht wurde und der Bräutigam seinen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/159>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.