Gründen annehmen zu müssen geglaubt, dass die zahlreichen Figuren von seinem Meister herrühren. Sie schienen für ihn zu gut. Doch dürfte sich vielleicht bei schärferer Vergleichung er- geben, dass der eigenthümliche Strich und die Farbe des Velaz- quez nicht mit voller Ueberzeugungskraft darin wiederzuerken- nen ist.
Unter einem tiefblauen Himmel, den dünne Wolkenstreifen und oben einige lichte Cumuli durchziehen, wälzt sich der mächtige dunkelgrüne Strom, der jetzt seinen sommerlichen Tiefstand hat, belebt von Barken mit violetten Zeltdächern und Segeln, aber ein Denkmal seiner Zerstörungsanwandlungen hat er zurückgelassen an der siebenbogigen alten Brücke, einem Bau des fünfzehnten Jahrhunderts (1437). Der gewaltige Mittel- bogen, 39 Meter Spannweite, war nämlich in der durch Thau- wetter veranlassten Ueberschwemmung vom 3. März 1643 zu- sammengebrochen, und die mit grossen Kosten vorgenommene Reparatur im Februar dieses Jahres von neuem zerstört worden. An die ins Leere starrenden Pfeiler der herabgestürzten Bogen lehnen sich Thurmbauten. Viele Häuser und Klöster waren verwüstet worden; die kahlen zerrissenen Ufer zeigen noch die Spuren. Diese Brücke ist der stärkste Accent in dem Bilde.
Jenseits des Stroms breitet die Stadt sich aus, vom west- lichen bis zum östlichen Ende, mit ihren schlanken Nadeln, wuchtigen Palästen mit hohen Galerien und Aussichtsthürmen, und den wie grosse Segler aus dem Häusermeer ragenden Kirchen; sehr verwandt mittelalterlich italienischen Städtebildern. Auch noch in dieser Zeit des Verfalls, deren Symbol der zer- brochene Brückenbogen, führt noch in den Steinen der Geist jener einst mächtigen, politisch begabtesten Rasse der Halbinsel, der Eroberer Neapels und Siciliens, eine beredte Sprache. Starr- sinnige Kraft und träge Vernachlässigung.
Die Brücke (puente de piedra), welche die Heerstrasse von Madrid nach Barcelona aufnimmt, führt auf die puerta del angel, eine von zwei Erkerthürmen flankirte Thorburg; zwischen zwei Balkonfenstern sieht man ein Gemälde des Engels. Auf sie zu bewegt sich eine sechsspännige Kutsche, der ein langer Zug Fussgänger folgt: der König, wie immer nur in der Ferne er- scheinend, kehrt in den Palast zurück. Dieser sieht hervor in jener Mauer mit Balkons und Tapisserien, und dem hohen mit azulejos gedeckten Dach links vom Thor. Es ist die alte Resi- denz der aragonesischen Könige, jetzt Palast des Erzbischofs
Die Ansicht von Saragossa.
Gründen annehmen zu müssen geglaubt, dass die zahlreichen Figuren von seinem Meister herrühren. Sie schienen für ihn zu gut. Doch dürfte sich vielleicht bei schärferer Vergleichung er- geben, dass der eigenthümliche Strich und die Farbe des Velaz- quez nicht mit voller Ueberzeugungskraft darin wiederzuerken- nen ist.
Unter einem tiefblauen Himmel, den dünne Wolkenstreifen und oben einige lichte Cumuli durchziehen, wälzt sich der mächtige dunkelgrüne Strom, der jetzt seinen sommerlichen Tiefstand hat, belebt von Barken mit violetten Zeltdächern und Segeln, aber ein Denkmal seiner Zerstörungsanwandlungen hat er zurückgelassen an der siebenbogigen alten Brücke, einem Bau des fünfzehnten Jahrhunderts (1437). Der gewaltige Mittel- bogen, 39 Meter Spannweite, war nämlich in der durch Thau- wetter veranlassten Ueberschwemmung vom 3. März 1643 zu- sammengebrochen, und die mit grossen Kosten vorgenommene Reparatur im Februar dieses Jahres von neuem zerstört worden. An die ins Leere starrenden Pfeiler der herabgestürzten Bogen lehnen sich Thurmbauten. Viele Häuser und Klöster waren verwüstet worden; die kahlen zerrissenen Ufer zeigen noch die Spuren. Diese Brücke ist der stärkste Accent in dem Bilde.
Jenseits des Stroms breitet die Stadt sich aus, vom west- lichen bis zum östlichen Ende, mit ihren schlanken Nadeln, wuchtigen Palästen mit hohen Galerien und Aussichtsthürmen, und den wie grosse Segler aus dem Häusermeer ragenden Kirchen; sehr verwandt mittelalterlich italienischen Städtebildern. Auch noch in dieser Zeit des Verfalls, deren Symbol der zer- brochene Brückenbogen, führt noch in den Steinen der Geist jener einst mächtigen, politisch begabtesten Rasse der Halbinsel, der Eroberer Neapels und Siciliens, eine beredte Sprache. Starr- sinnige Kraft und träge Vernachlässigung.
Die Brücke (puente de piedra), welche die Heerstrasse von Madrid nach Barcelona aufnimmt, führt auf die puerta del angel, eine von zwei Erkerthürmen flankirte Thorburg; zwischen zwei Balkonfenstern sieht man ein Gemälde des Engels. Auf sie zu bewegt sich eine sechsspännige Kutsche, der ein langer Zug Fussgänger folgt: der König, wie immer nur in der Ferne er- scheinend, kehrt in den Palast zurück. Dieser sieht hervor in jener Mauer mit Balkons und Tapisserien, und dem hohen mit azulejos gedeckten Dach links vom Thor. Es ist die alte Resi- denz der aragonesischen Könige, jetzt Palast des Erzbischofs
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0163"n="143"/><fwplace="top"type="header">Die Ansicht von Saragossa.</fw><lb/>
Gründen annehmen zu müssen geglaubt, dass die zahlreichen<lb/>
Figuren von seinem Meister herrühren. Sie schienen für ihn zu<lb/>
gut. Doch dürfte sich vielleicht bei schärferer Vergleichung er-<lb/>
geben, dass der eigenthümliche Strich und die Farbe des Velaz-<lb/>
quez nicht mit voller Ueberzeugungskraft darin wiederzuerken-<lb/>
nen ist.</p><lb/><p>Unter einem tiefblauen Himmel, den dünne Wolkenstreifen<lb/>
und oben einige lichte Cumuli durchziehen, wälzt sich der<lb/>
mächtige dunkelgrüne Strom, der jetzt seinen sommerlichen<lb/>
Tiefstand hat, belebt von Barken mit violetten Zeltdächern und<lb/>
Segeln, aber ein Denkmal seiner Zerstörungsanwandlungen hat<lb/>
er zurückgelassen an der siebenbogigen alten Brücke, einem<lb/>
Bau des fünfzehnten Jahrhunderts (1437). Der gewaltige Mittel-<lb/>
bogen, 39 Meter Spannweite, war nämlich in der durch Thau-<lb/>
wetter veranlassten Ueberschwemmung vom 3. März 1643 zu-<lb/>
sammengebrochen, und die mit grossen Kosten vorgenommene<lb/>
Reparatur im Februar dieses Jahres von neuem zerstört worden.<lb/>
An die ins Leere starrenden Pfeiler der herabgestürzten Bogen<lb/>
lehnen sich Thurmbauten. Viele Häuser und Klöster waren<lb/>
verwüstet worden; die kahlen zerrissenen Ufer zeigen noch die<lb/>
Spuren. Diese Brücke ist der stärkste Accent in dem Bilde.</p><lb/><p>Jenseits des Stroms breitet die Stadt sich aus, vom west-<lb/>
lichen bis zum östlichen Ende, mit ihren schlanken Nadeln,<lb/>
wuchtigen Palästen mit hohen Galerien und Aussichtsthürmen,<lb/>
und den wie grosse Segler aus dem Häusermeer ragenden<lb/>
Kirchen; sehr verwandt mittelalterlich italienischen Städtebildern.<lb/>
Auch noch in dieser Zeit des Verfalls, deren Symbol der zer-<lb/>
brochene Brückenbogen, führt noch in den Steinen der Geist<lb/>
jener einst mächtigen, politisch begabtesten Rasse der Halbinsel,<lb/>
der Eroberer Neapels und Siciliens, eine beredte Sprache. Starr-<lb/>
sinnige Kraft und träge Vernachlässigung.</p><lb/><p>Die Brücke (<hirendition="#i">puente de piedra</hi>), welche die Heerstrasse von<lb/>
Madrid nach Barcelona aufnimmt, führt auf die <hirendition="#i">puerta del angel</hi>,<lb/>
eine von zwei Erkerthürmen flankirte Thorburg; zwischen zwei<lb/>
Balkonfenstern sieht man ein Gemälde des Engels. Auf sie zu<lb/>
bewegt sich eine sechsspännige Kutsche, der ein langer Zug<lb/>
Fussgänger folgt: der König, wie immer nur in der Ferne er-<lb/>
scheinend, kehrt in den Palast zurück. Dieser sieht hervor in<lb/>
jener Mauer mit Balkons und Tapisserien, und dem hohen mit<lb/><hirendition="#i">azulejos</hi> gedeckten Dach links vom Thor. Es ist die alte Resi-<lb/>
denz der aragonesischen Könige, jetzt Palast des Erzbischofs<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[143/0163]
Die Ansicht von Saragossa.
Gründen annehmen zu müssen geglaubt, dass die zahlreichen
Figuren von seinem Meister herrühren. Sie schienen für ihn zu
gut. Doch dürfte sich vielleicht bei schärferer Vergleichung er-
geben, dass der eigenthümliche Strich und die Farbe des Velaz-
quez nicht mit voller Ueberzeugungskraft darin wiederzuerken-
nen ist.
Unter einem tiefblauen Himmel, den dünne Wolkenstreifen
und oben einige lichte Cumuli durchziehen, wälzt sich der
mächtige dunkelgrüne Strom, der jetzt seinen sommerlichen
Tiefstand hat, belebt von Barken mit violetten Zeltdächern und
Segeln, aber ein Denkmal seiner Zerstörungsanwandlungen hat
er zurückgelassen an der siebenbogigen alten Brücke, einem
Bau des fünfzehnten Jahrhunderts (1437). Der gewaltige Mittel-
bogen, 39 Meter Spannweite, war nämlich in der durch Thau-
wetter veranlassten Ueberschwemmung vom 3. März 1643 zu-
sammengebrochen, und die mit grossen Kosten vorgenommene
Reparatur im Februar dieses Jahres von neuem zerstört worden.
An die ins Leere starrenden Pfeiler der herabgestürzten Bogen
lehnen sich Thurmbauten. Viele Häuser und Klöster waren
verwüstet worden; die kahlen zerrissenen Ufer zeigen noch die
Spuren. Diese Brücke ist der stärkste Accent in dem Bilde.
Jenseits des Stroms breitet die Stadt sich aus, vom west-
lichen bis zum östlichen Ende, mit ihren schlanken Nadeln,
wuchtigen Palästen mit hohen Galerien und Aussichtsthürmen,
und den wie grosse Segler aus dem Häusermeer ragenden
Kirchen; sehr verwandt mittelalterlich italienischen Städtebildern.
Auch noch in dieser Zeit des Verfalls, deren Symbol der zer-
brochene Brückenbogen, führt noch in den Steinen der Geist
jener einst mächtigen, politisch begabtesten Rasse der Halbinsel,
der Eroberer Neapels und Siciliens, eine beredte Sprache. Starr-
sinnige Kraft und träge Vernachlässigung.
Die Brücke (puente de piedra), welche die Heerstrasse von
Madrid nach Barcelona aufnimmt, führt auf die puerta del angel,
eine von zwei Erkerthürmen flankirte Thorburg; zwischen zwei
Balkonfenstern sieht man ein Gemälde des Engels. Auf sie zu
bewegt sich eine sechsspännige Kutsche, der ein langer Zug
Fussgänger folgt: der König, wie immer nur in der Ferne er-
scheinend, kehrt in den Palast zurück. Dieser sieht hervor in
jener Mauer mit Balkons und Tapisserien, und dem hohen mit
azulejos gedeckten Dach links vom Thor. Es ist die alte Resi-
denz der aragonesischen Könige, jetzt Palast des Erzbischofs
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/163>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.