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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Der dritte Stil.
Malerei ist, desto feinfühliger und fixer muss die Hand sein,
welche das innere Bild niederschlägt und festmacht. Daher
die Breite des Vortrags, weil man aus der Uebersicht des
Totaleindrucks arbeitet, die Unberechenbarkeit der vom subtil-
sten optischen Gefühl des Augenblicks eingegebenen Manipu-
lationen.

Von allen Eigenschaften seiner Gemälde ist keine so früh
und so oft geschildert worden als der lockere, unverschmolzene
Pinselstrich. Schon der Venezianer Boschini bemerkte an dem
Pabstporträt el vero colpo venetian, und Richardson la grande
variete de teintes couchees separement sans etre noyees ensemble
.
Mengs meinte dies, wenn er von einem Bilde sagte, es scheine
mit dem blossen Willen gemalt, Lehninger im Abrege der Dres-
dener Galerie 1) nannte es die touche fiere, Yriarte deren noblesse 2).
Uebertreibend hat man gesagt, die Pinselstriche liessen sich
zählen, und nicht ganz zutreffend, in der Nähe sei es ein Chaos,
Formen, Körper und Pläne kämen erst in der Entfernung hervor.
Man nennt es auch den Geist seines Pinsels. Was ist aber Geist
in der Malerei? Geist fehlt in den bildenden Künsten denen
meist ganz und gar, welche den Geist in Worten und Ideen
haben. Ideen in jenem Sinn, wo Allegorien und Karikaturen,
oder Programmmalereien vorzugsweise Ideen hätten 3). "Traut
denen nicht, sagt Diderot 4), die den Sack voll Geist haben
und ihn bei jedem Anlass ausstreuen. Sie haben den Dämon
nicht". Rembrandt, Correggio, Tizian, Murillo sind geistreiche
Maler gewesen, nicht weil sie geistreiche Einfälle gehabt haben
und Literaten Stoff zu Deklamationen und Abhandlungen
gaben, sondern weil sie Geist in Blick und Fingern hatten. Geist
ist prägnanter und überraschender Ausdruck, von dem auch der
Meister gesteht, dass ihm das nicht eingefallen wäre, Geist haben
die, welche sehn was wir andern nicht sehn, die bei denen man
nicht vorhersagen kann, wie sie einen Stoff behandeln werden,
die also, wie Kant sagt, Dinge machen, die nicht auf Regeln
zurückzuführen sind. Geistlos langweilig pflegen Maler zu sein,
welchen die Sichtbarkeit bloss als Sprache Werth hat, zu
der sich die Idee, wenn auch noch so gefällig, herablässt. In

1) Abrege der Dresdener Galerie 1782. p. 215.
2) Il est noble de coeur et noble de touche, caballero dans la pose et dans
l'execution. Yriarte, Goya 70.
3) Detmold, Anleitung zur Kunstkennerschaft, Hannover 1834. 68.
4) Im Salon bei Gelegenheit Vanloo's.
II. 18

Der dritte Stil.
Malerei ist, desto feinfühliger und fixer muss die Hand sein,
welche das innere Bild niederschlägt und festmacht. Daher
die Breite des Vortrags, weil man aus der Uebersicht des
Totaleindrucks arbeitet, die Unberechenbarkeit der vom subtil-
sten optischen Gefühl des Augenblicks eingegebenen Manipu-
lationen.

Von allen Eigenschaften seiner Gemälde ist keine so früh
und so oft geschildert worden als der lockere, unverschmolzene
Pinselstrich. Schon der Venezianer Boschini bemerkte an dem
Pabstporträt el vero colpo venetian, und Richardson la grande
variété de teintes couchées séparément sans être noyées ensemble
.
Mengs meinte dies, wenn er von einem Bilde sagte, es scheine
mit dem blossen Willen gemalt, Lehninger im Abrégé der Dres-
dener Galerie 1) nannte es die touche fière, Yriarte deren noblesse 2).
Uebertreibend hat man gesagt, die Pinselstriche liessen sich
zählen, und nicht ganz zutreffend, in der Nähe sei es ein Chaos,
Formen, Körper und Pläne kämen erst in der Entfernung hervor.
Man nennt es auch den Geist seines Pinsels. Was ist aber Geist
in der Malerei? Geist fehlt in den bildenden Künsten denen
meist ganz und gar, welche den Geist in Worten und Ideen
haben. Ideen in jenem Sinn, wo Allegorien und Karikaturen,
oder Programmmalereien vorzugsweise Ideen hätten 3). „Traut
denen nicht, sagt Diderot 4), die den Sack voll Geist haben
und ihn bei jedem Anlass ausstreuen. Sie haben den Dämon
nicht“. Rembrandt, Correggio, Tizian, Murillo sind geistreiche
Maler gewesen, nicht weil sie geistreiche Einfälle gehabt haben
und Literaten Stoff zu Deklamationen und Abhandlungen
gaben, sondern weil sie Geist in Blick und Fingern hatten. Geist
ist prägnanter und überraschender Ausdruck, von dem auch der
Meister gesteht, dass ihm das nicht eingefallen wäre, Geist haben
die, welche sehn was wir andern nicht sehn, die bei denen man
nicht vorhersagen kann, wie sie einen Stoff behandeln werden,
die also, wie Kant sagt, Dinge machen, die nicht auf Regeln
zurückzuführen sind. Geistlos langweilig pflegen Maler zu sein,
welchen die Sichtbarkeit bloss als Sprache Werth hat, zu
der sich die Idee, wenn auch noch so gefällig, herablässt. In

1) Abrégé der Dresdener Galerie 1782. p. 215.
2) Il est noble de cœur et noble de touche, caballero dans la pose et dans
l’exécution. Yriarte, Goya 70.
3) Detmold, Anleitung zur Kunstkennerschaft, Hannover 1834. 68.
4) Im Salon bei Gelegenheit Vanloo’s.
II. 18
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[273/0293] Der dritte Stil. Malerei ist, desto feinfühliger und fixer muss die Hand sein, welche das innere Bild niederschlägt und festmacht. Daher die Breite des Vortrags, weil man aus der Uebersicht des Totaleindrucks arbeitet, die Unberechenbarkeit der vom subtil- sten optischen Gefühl des Augenblicks eingegebenen Manipu- lationen. Von allen Eigenschaften seiner Gemälde ist keine so früh und so oft geschildert worden als der lockere, unverschmolzene Pinselstrich. Schon der Venezianer Boschini bemerkte an dem Pabstporträt el vero colpo venetian, und Richardson la grande variété de teintes couchées séparément sans être noyées ensemble. Mengs meinte dies, wenn er von einem Bilde sagte, es scheine mit dem blossen Willen gemalt, Lehninger im Abrégé der Dres- dener Galerie 1) nannte es die touche fière, Yriarte deren noblesse 2). Uebertreibend hat man gesagt, die Pinselstriche liessen sich zählen, und nicht ganz zutreffend, in der Nähe sei es ein Chaos, Formen, Körper und Pläne kämen erst in der Entfernung hervor. Man nennt es auch den Geist seines Pinsels. Was ist aber Geist in der Malerei? Geist fehlt in den bildenden Künsten denen meist ganz und gar, welche den Geist in Worten und Ideen haben. Ideen in jenem Sinn, wo Allegorien und Karikaturen, oder Programmmalereien vorzugsweise Ideen hätten 3). „Traut denen nicht, sagt Diderot 4), die den Sack voll Geist haben und ihn bei jedem Anlass ausstreuen. Sie haben den Dämon nicht“. Rembrandt, Correggio, Tizian, Murillo sind geistreiche Maler gewesen, nicht weil sie geistreiche Einfälle gehabt haben und Literaten Stoff zu Deklamationen und Abhandlungen gaben, sondern weil sie Geist in Blick und Fingern hatten. Geist ist prägnanter und überraschender Ausdruck, von dem auch der Meister gesteht, dass ihm das nicht eingefallen wäre, Geist haben die, welche sehn was wir andern nicht sehn, die bei denen man nicht vorhersagen kann, wie sie einen Stoff behandeln werden, die also, wie Kant sagt, Dinge machen, die nicht auf Regeln zurückzuführen sind. Geistlos langweilig pflegen Maler zu sein, welchen die Sichtbarkeit bloss als Sprache Werth hat, zu der sich die Idee, wenn auch noch so gefällig, herablässt. In 1) Abrégé der Dresdener Galerie 1782. p. 215. 2) Il est noble de cœur et noble de touche, caballero dans la pose et dans l’exécution. Yriarte, Goya 70. 3) Detmold, Anleitung zur Kunstkennerschaft, Hannover 1834. 68. 4) Im Salon bei Gelegenheit Vanloo’s. II. 18

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/293>, abgerufen am 27.11.2024.