Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.Der dritte Stil. Malerei ist, desto feinfühliger und fixer muss die Hand sein,welche das innere Bild niederschlägt und festmacht. Daher die Breite des Vortrags, weil man aus der Uebersicht des Totaleindrucks arbeitet, die Unberechenbarkeit der vom subtil- sten optischen Gefühl des Augenblicks eingegebenen Manipu- lationen. Von allen Eigenschaften seiner Gemälde ist keine so früh 1) Abrege der Dresdener Galerie 1782. p. 215. 2) Il est noble de coeur et noble de touche, caballero dans la pose et dans l'execution. Yriarte, Goya 70. 3) Detmold, Anleitung zur Kunstkennerschaft, Hannover 1834. 68. 4) Im Salon bei Gelegenheit Vanloo's. II. 18
Der dritte Stil. Malerei ist, desto feinfühliger und fixer muss die Hand sein,welche das innere Bild niederschlägt und festmacht. Daher die Breite des Vortrags, weil man aus der Uebersicht des Totaleindrucks arbeitet, die Unberechenbarkeit der vom subtil- sten optischen Gefühl des Augenblicks eingegebenen Manipu- lationen. Von allen Eigenschaften seiner Gemälde ist keine so früh 1) Abrégé der Dresdener Galerie 1782. p. 215. 2) Il est noble de cœur et noble de touche, caballero dans la pose et dans l’exécution. Yriarte, Goya 70. 3) Detmold, Anleitung zur Kunstkennerschaft, Hannover 1834. 68. 4) Im Salon bei Gelegenheit Vanloo’s. II. 18
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0293" n="273"/><fw place="top" type="header">Der dritte Stil.</fw><lb/> Malerei ist, desto feinfühliger und fixer muss die Hand sein,<lb/> welche das innere Bild niederschlägt und festmacht. Daher<lb/> die Breite des Vortrags, weil man aus der Uebersicht des<lb/> Totaleindrucks arbeitet, die Unberechenbarkeit der vom subtil-<lb/> sten optischen Gefühl des Augenblicks eingegebenen Manipu-<lb/> lationen.</p><lb/> <p>Von allen Eigenschaften seiner Gemälde ist keine so früh<lb/> und so oft geschildert worden als der lockere, unverschmolzene<lb/> Pinselstrich. Schon der Venezianer Boschini bemerkte an dem<lb/> Pabstporträt <hi rendition="#i">el vero colpo venetian</hi>, und Richardson <hi rendition="#i">la grande<lb/> variété de teintes couchées séparément sans être noyées ensemble</hi>.<lb/> Mengs meinte dies, wenn er von einem Bilde sagte, es scheine<lb/> mit dem blossen Willen gemalt, Lehninger im Abrégé der Dres-<lb/> dener Galerie <note place="foot" n="1)">Abrégé der Dresdener Galerie 1782. p. 215.</note> nannte es die <hi rendition="#i">touche fière</hi>, Yriarte deren <hi rendition="#i">noblesse</hi> <note place="foot" n="2)">Il est noble de cœur et noble de touche, caballero dans la pose et dans<lb/> l’exécution. Yriarte, Goya 70.</note>.<lb/> Uebertreibend hat man gesagt, die Pinselstriche liessen sich<lb/> zählen, und nicht ganz zutreffend, in der Nähe sei es ein Chaos,<lb/> Formen, Körper und Pläne kämen erst in der Entfernung hervor.<lb/> Man nennt es auch den Geist seines Pinsels. Was ist aber Geist<lb/> in der Malerei? Geist fehlt in den bildenden Künsten denen<lb/> meist ganz und gar, welche den Geist in Worten und Ideen<lb/> haben. Ideen in jenem Sinn, wo Allegorien und Karikaturen,<lb/> oder Programmmalereien vorzugsweise Ideen hätten <note place="foot" n="3)">Detmold, Anleitung zur Kunstkennerschaft, Hannover 1834. 68.</note>. „Traut<lb/> denen nicht, sagt Diderot <note place="foot" n="4)">Im Salon bei Gelegenheit Vanloo’s.</note>, die den Sack voll Geist haben<lb/> und ihn bei jedem Anlass ausstreuen. Sie haben den Dämon<lb/> nicht“. Rembrandt, Correggio, Tizian, Murillo sind geistreiche<lb/> Maler gewesen, nicht weil sie geistreiche Einfälle gehabt haben<lb/> und Literaten Stoff zu Deklamationen und Abhandlungen<lb/> gaben, sondern weil sie Geist in Blick und Fingern hatten. Geist<lb/> ist prägnanter und überraschender Ausdruck, von dem auch der<lb/> Meister gesteht, dass ihm das nicht eingefallen wäre, Geist haben<lb/> die, welche sehn was wir andern nicht sehn, die bei denen man<lb/> nicht vorhersagen kann, wie sie einen Stoff behandeln werden,<lb/> die also, wie Kant sagt, Dinge machen, die nicht auf Regeln<lb/> zurückzuführen sind. Geistlos langweilig pflegen Maler zu sein,<lb/> welchen die Sichtbarkeit bloss als Sprache Werth hat, zu<lb/> der sich die Idee, wenn auch noch so gefällig, herablässt. In<lb/> <fw place="bottom" type="sig">II. 18</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [273/0293]
Der dritte Stil.
Malerei ist, desto feinfühliger und fixer muss die Hand sein,
welche das innere Bild niederschlägt und festmacht. Daher
die Breite des Vortrags, weil man aus der Uebersicht des
Totaleindrucks arbeitet, die Unberechenbarkeit der vom subtil-
sten optischen Gefühl des Augenblicks eingegebenen Manipu-
lationen.
Von allen Eigenschaften seiner Gemälde ist keine so früh
und so oft geschildert worden als der lockere, unverschmolzene
Pinselstrich. Schon der Venezianer Boschini bemerkte an dem
Pabstporträt el vero colpo venetian, und Richardson la grande
variété de teintes couchées séparément sans être noyées ensemble.
Mengs meinte dies, wenn er von einem Bilde sagte, es scheine
mit dem blossen Willen gemalt, Lehninger im Abrégé der Dres-
dener Galerie 1) nannte es die touche fière, Yriarte deren noblesse 2).
Uebertreibend hat man gesagt, die Pinselstriche liessen sich
zählen, und nicht ganz zutreffend, in der Nähe sei es ein Chaos,
Formen, Körper und Pläne kämen erst in der Entfernung hervor.
Man nennt es auch den Geist seines Pinsels. Was ist aber Geist
in der Malerei? Geist fehlt in den bildenden Künsten denen
meist ganz und gar, welche den Geist in Worten und Ideen
haben. Ideen in jenem Sinn, wo Allegorien und Karikaturen,
oder Programmmalereien vorzugsweise Ideen hätten 3). „Traut
denen nicht, sagt Diderot 4), die den Sack voll Geist haben
und ihn bei jedem Anlass ausstreuen. Sie haben den Dämon
nicht“. Rembrandt, Correggio, Tizian, Murillo sind geistreiche
Maler gewesen, nicht weil sie geistreiche Einfälle gehabt haben
und Literaten Stoff zu Deklamationen und Abhandlungen
gaben, sondern weil sie Geist in Blick und Fingern hatten. Geist
ist prägnanter und überraschender Ausdruck, von dem auch der
Meister gesteht, dass ihm das nicht eingefallen wäre, Geist haben
die, welche sehn was wir andern nicht sehn, die bei denen man
nicht vorhersagen kann, wie sie einen Stoff behandeln werden,
die also, wie Kant sagt, Dinge machen, die nicht auf Regeln
zurückzuführen sind. Geistlos langweilig pflegen Maler zu sein,
welchen die Sichtbarkeit bloss als Sprache Werth hat, zu
der sich die Idee, wenn auch noch so gefällig, herablässt. In
1) Abrégé der Dresdener Galerie 1782. p. 215.
2) Il est noble de cœur et noble de touche, caballero dans la pose et dans
l’exécution. Yriarte, Goya 70.
3) Detmold, Anleitung zur Kunstkennerschaft, Hannover 1834. 68.
4) Im Salon bei Gelegenheit Vanloo’s.
II. 18
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |