Uebrigens war die manera golpeada bei Velazquez keines- wegs eine unveränderlich gleiche Handschrift. Es ist immer ein Mehr oder Weniger (poco piu e poco meno) darin, der Stoffmalerei gemäss, und hier und da verschwindet sie ganz. Diess unter- scheidet seine Art von der Altersmanier Tizians und von Franz Hals, bei denen die tokkirende Behandlung durch alle Arten der Textur hindurchgeht. Er hat die grossen Flächen des Nackten stets verschmolzen gemalt, ja kleinliche Theilung ist ihm so zuwider, dass er oft die Trennung und Artikulation der Extremi- täten nur andeutet. Ebenso hat er die Falten der Draperie selbst in flüchtigen Bildern (z. B. dem Barbarossa) sorgsam modellirend vollendet. Des skizzenhaften Strichs bedient er sich in allem was glänzt und leuchtet -- in Harnischen und Halsketten, in Spitzenbesatz und Brokat, in Locken und Wolken. Ja die borrones wirken erst recht durch den Kontrast mit jenen ebnen Flächen, in welche sie als Einschlag geworfen sind.
Diess unvermischte Nebeneinander von Flächen und Punk- ten, selbst bei ganz nahestehenden Tönen, erzeugt den Schein des Hintereinander, gleich als sähe man durch das Bild hindurch, obwohl die Farben nicht durchsichtig sind. Man denkt an die gläsernen Uhren, mit welchen Goethe Shakespeare's Charaktere verglich. --
Diess Kommando über den Pinsel hat man wohl im Auge gehabt, wenn man Velazquez den grössten Koloristen nannte 1). Versteht man indess unter diesem Ausdruck einen Maler, der das Hauptgewicht auf Kraft, Schönheit und Harmonie der Farbe legt, m. a. W. einen Idealisten der Farbe, wie es Tizian, Paolo und Rubens waren, so kann man ihn nicht wohl einen Koloristen nennen. Oft wird freilich diese Qualifikation Malern gegeben, die bloss keine Kontourzeichner waren und mit wenig gesättigten Farben arbeiteten. Auch ein Tonmaler im strengen Sinne des Worts ist er nicht gewesen, wenn er auch die Tonart immer streng durchführte. Schon der Umstand, dass er fast nur mit Deckfarben arbeitet, beweist dass die höchste Leuchtkraft der Farbe für ihn keinen Reiz hatte, vielleicht ihm antipathisch war.
Velazquez hat allerdings ein sehr bestimmtes Farbengefühl besessen. Gewisse Farbentöne und Farbenzusammenstellungen gehen durch seine Werke von den frühsten bis zu den letzten.
1) Si je ne me trompe, le plus grand des coloristes. Beule, Revue des deux mondes 1861. Juli.
Der dritte Stil.
Uebrigens war die manera golpeada bei Velazquez keines- wegs eine unveränderlich gleiche Handschrift. Es ist immer ein Mehr oder Weniger (poco più e poco meno) darin, der Stoffmalerei gemäss, und hier und da verschwindet sie ganz. Diess unter- scheidet seine Art von der Altersmanier Tizians und von Franz Hals, bei denen die tokkirende Behandlung durch alle Arten der Textur hindurchgeht. Er hat die grossen Flächen des Nackten stets verschmolzen gemalt, ja kleinliche Theilung ist ihm so zuwider, dass er oft die Trennung und Artikulation der Extremi- täten nur andeutet. Ebenso hat er die Falten der Draperie selbst in flüchtigen Bildern (z. B. dem Barbarossa) sorgsam modellirend vollendet. Des skizzenhaften Strichs bedient er sich in allem was glänzt und leuchtet — in Harnischen und Halsketten, in Spitzenbesatz und Brokat, in Locken und Wolken. Ja die borrones wirken erst recht durch den Kontrast mit jenen ebnen Flächen, in welche sie als Einschlag geworfen sind.
Diess unvermischte Nebeneinander von Flächen und Punk- ten, selbst bei ganz nahestehenden Tönen, erzeugt den Schein des Hintereinander, gleich als sähe man durch das Bild hindurch, obwohl die Farben nicht durchsichtig sind. Man denkt an die gläsernen Uhren, mit welchen Goethe Shakespeare’s Charaktere verglich. —
Diess Kommando über den Pinsel hat man wohl im Auge gehabt, wenn man Velazquez den grössten Koloristen nannte 1). Versteht man indess unter diesem Ausdruck einen Maler, der das Hauptgewicht auf Kraft, Schönheit und Harmonie der Farbe legt, m. a. W. einen Idealisten der Farbe, wie es Tizian, Paolo und Rubens waren, so kann man ihn nicht wohl einen Koloristen nennen. Oft wird freilich diese Qualifikation Malern gegeben, die bloss keine Kontourzeichner waren und mit wenig gesättigten Farben arbeiteten. Auch ein Tonmaler im strengen Sinne des Worts ist er nicht gewesen, wenn er auch die Tonart immer streng durchführte. Schon der Umstand, dass er fast nur mit Deckfarben arbeitet, beweist dass die höchste Leuchtkraft der Farbe für ihn keinen Reiz hatte, vielleicht ihm antipathisch war.
Velazquez hat allerdings ein sehr bestimmtes Farbengefühl besessen. Gewisse Farbentöne und Farbenzusammenstellungen gehen durch seine Werke von den frühsten bis zu den letzten.
1) Si je ne me trompe, le plus grand des coloristes. Beulé, Revue des deux mondes 1861. Juli.
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Der dritte Stil.
Uebrigens war die manera golpeada bei Velazquez keines-
wegs eine unveränderlich gleiche Handschrift. Es ist immer ein
Mehr oder Weniger (poco più e poco meno) darin, der Stoffmalerei
gemäss, und hier und da verschwindet sie ganz. Diess unter-
scheidet seine Art von der Altersmanier Tizians und von Franz
Hals, bei denen die tokkirende Behandlung durch alle Arten der
Textur hindurchgeht. Er hat die grossen Flächen des Nackten
stets verschmolzen gemalt, ja kleinliche Theilung ist ihm so
zuwider, dass er oft die Trennung und Artikulation der Extremi-
täten nur andeutet. Ebenso hat er die Falten der Draperie selbst
in flüchtigen Bildern (z. B. dem Barbarossa) sorgsam modellirend
vollendet. Des skizzenhaften Strichs bedient er sich in allem
was glänzt und leuchtet — in Harnischen und Halsketten, in
Spitzenbesatz und Brokat, in Locken und Wolken. Ja die borrones
wirken erst recht durch den Kontrast mit jenen ebnen Flächen,
in welche sie als Einschlag geworfen sind.
Diess unvermischte Nebeneinander von Flächen und Punk-
ten, selbst bei ganz nahestehenden Tönen, erzeugt den Schein
des Hintereinander, gleich als sähe man durch das Bild hindurch,
obwohl die Farben nicht durchsichtig sind. Man denkt an die
gläsernen Uhren, mit welchen Goethe Shakespeare’s Charaktere
verglich. —
Diess Kommando über den Pinsel hat man wohl im Auge
gehabt, wenn man Velazquez den grössten Koloristen nannte 1).
Versteht man indess unter diesem Ausdruck einen Maler, der
das Hauptgewicht auf Kraft, Schönheit und Harmonie der Farbe
legt, m. a. W. einen Idealisten der Farbe, wie es Tizian, Paolo
und Rubens waren, so kann man ihn nicht wohl einen Koloristen
nennen. Oft wird freilich diese Qualifikation Malern gegeben,
die bloss keine Kontourzeichner waren und mit wenig gesättigten
Farben arbeiteten. Auch ein Tonmaler im strengen Sinne des
Worts ist er nicht gewesen, wenn er auch die Tonart immer
streng durchführte. Schon der Umstand, dass er fast nur mit
Deckfarben arbeitet, beweist dass die höchste Leuchtkraft der
Farbe für ihn keinen Reiz hatte, vielleicht ihm antipathisch war.
Velazquez hat allerdings ein sehr bestimmtes Farbengefühl
besessen. Gewisse Farbentöne und Farbenzusammenstellungen
gehen durch seine Werke von den frühsten bis zu den letzten.
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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/299>, abgerufen am 22.11.2024.
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