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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Die lustigen Personen.
ist" (Don Quixote II, 18). "Sein Zwillingsgestirn der Thorheit
steht über dem ganzen Menschengeschlecht" (Jean Paul). Alte
Formen, an denen sonst der Geschmack sich verlor, erfuhren
damals eine Wiederbelebung. Die Verknüpfung des Ernsten und
Burlesken, des Erhabenen und Gemeinen, der Schwärmerei und
Blasphemie ist nirgends in Dichtung, Kunst und Kultus so un-
befangen gepflegt worden. Paul Tiepolo (in der Relation von 1563)
fand mit Erstaunen die Carnevalsgebräuche Italiens als Bestand-
theile der feierlichsten spanischen Kirchenfeste wieder: Masken,
Tanz, Moresken, Comödien, Liebschaft machen und Narrens-
possen. "Die Autos des Calderon, sagt Flögel, übertreffen an
ungeheurer Vermischung von Heiligem und Profanem fast alles,
was man je Ausschweifendes im Fach der Comödie erdacht hat."

Wie nun die platten Spässe der graciosos im pathetischen
Drama, wie die fratzenhaften Ungeheuer in jeder Fronleichnams-
procession unentbehrlich waren, so fand sich auch unter den Auf-
gaben der Maler Seiner Majestät das Narrenporträt, es war eine
herkömmliche Ausstattung gewisser Räume der königlichen
Schlösser. In der Galerie des Prado sind sie jetzt von ihren
Treppenwänden und aus den Landhäusern emporgestiegen neben
die stolzen und kalten Gestalten ihrer früheren Herren, von denen
sie ja freilich im Leben unzertrennlich gewesen waren. Rechnet
man die angestellten lustigen Personen (hombres de placer), die
Zwerge und Idioten, die Narren auf eigne Hand und die in
andern Bildern als Nebenfiguren angebrachten zusammen, so
kommt mehr als ein Dutzend erhaltener (mehrere sind verschol-
len) Originalporträts dieser Art von Velazquez Hand heraus, eine
in ihrer Art einzige Sammlung -- die unterste Staffel der Pyramide
der alten spanischen Gesellschaft.

Zu Leo X Zeit -- der goldnen Zeit auch der Hofnarren --
wurde von ihnen, wie im Mittelalter, noch dichterische Fertig-
keit verlangt. Durch sie empfahl sich jener Erzdichter Camillo
Querno, der zur Poetenkrönung im Kapitol auf dem Elephant
ritt, und mit dem der Pabst selbst improvisirte Verse wechselte.
In unserm Zeitalter war hier längst Trennung der Arbeit einge-
treten. Nur in prompter Improvisation nach allerhöchsten Win-
ken erinnern die Hofdichter noch an die Jongleurs. Da die
Dichter einmal in diesem Zusammenhang genannt sind, so muss
man doch bedauern, dass nicht irgendwo im Alcazar auch eine
Escalera oder eine Bobeda als Poetenwinkel geweiht war. Peter
Aretino warf die Frage auf, ob Leo X die virtau de' dotti, oder

Die lustigen Personen.
ist“ (Don Quixote II, 18). „Sein Zwillingsgestirn der Thorheit
steht über dem ganzen Menschengeschlecht“ (Jean Paul). Alte
Formen, an denen sonst der Geschmack sich verlor, erfuhren
damals eine Wiederbelebung. Die Verknüpfung des Ernsten und
Burlesken, des Erhabenen und Gemeinen, der Schwärmerei und
Blasphemie ist nirgends in Dichtung, Kunst und Kultus so un-
befangen gepflegt worden. Paul Tiepolo (in der Relation von 1563)
fand mit Erstaunen die Carnevalsgebräuche Italiens als Bestand-
theile der feierlichsten spanischen Kirchenfeste wieder: Masken,
Tanz, Moresken, Comödien, Liebschaft machen und Narrens-
possen. „Die Autos des Calderon, sagt Flögel, übertreffen an
ungeheurer Vermischung von Heiligem und Profanem fast alles,
was man je Ausschweifendes im Fach der Comödie erdacht hat.“

Wie nun die platten Spässe der graciosos im pathetischen
Drama, wie die fratzenhaften Ungeheuer in jeder Fronleichnams-
procession unentbehrlich waren, so fand sich auch unter den Auf-
gaben der Maler Seiner Majestät das Narrenporträt, es war eine
herkömmliche Ausstattung gewisser Räume der königlichen
Schlösser. In der Galerie des Prado sind sie jetzt von ihren
Treppenwänden und aus den Landhäusern emporgestiegen neben
die stolzen und kalten Gestalten ihrer früheren Herren, von denen
sie ja freilich im Leben unzertrennlich gewesen waren. Rechnet
man die angestellten lustigen Personen (hombres de placer), die
Zwerge und Idioten, die Narren auf eigne Hand und die in
andern Bildern als Nebenfiguren angebrachten zusammen, so
kommt mehr als ein Dutzend erhaltener (mehrere sind verschol-
len) Originalporträts dieser Art von Velazquez Hand heraus, eine
in ihrer Art einzige Sammlung — die unterste Staffel der Pyramide
der alten spanischen Gesellschaft.

Zu Leo X Zeit — der goldnen Zeit auch der Hofnarren —
wurde von ihnen, wie im Mittelalter, noch dichterische Fertig-
keit verlangt. Durch sie empfahl sich jener Erzdichter Camillo
Querno, der zur Poetenkrönung im Kapitol auf dem Elephant
ritt, und mit dem der Pabst selbst improvisirte Verse wechselte.
In unserm Zeitalter war hier längst Trennung der Arbeit einge-
treten. Nur in prompter Improvisation nach allerhöchsten Win-
ken erinnern die Hofdichter noch an die Jongleurs. Da die
Dichter einmal in diesem Zusammenhang genannt sind, so muss
man doch bedauern, dass nicht irgendwo im Alcazar auch eine
Escalera oder eine Bóbeda als Poetenwinkel geweiht war. Peter
Aretino warf die Frage auf, ob Leo X die virtû de’ dotti, oder

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[335/0359] Die lustigen Personen. ist“ (Don Quixote II, 18). „Sein Zwillingsgestirn der Thorheit steht über dem ganzen Menschengeschlecht“ (Jean Paul). Alte Formen, an denen sonst der Geschmack sich verlor, erfuhren damals eine Wiederbelebung. Die Verknüpfung des Ernsten und Burlesken, des Erhabenen und Gemeinen, der Schwärmerei und Blasphemie ist nirgends in Dichtung, Kunst und Kultus so un- befangen gepflegt worden. Paul Tiepolo (in der Relation von 1563) fand mit Erstaunen die Carnevalsgebräuche Italiens als Bestand- theile der feierlichsten spanischen Kirchenfeste wieder: Masken, Tanz, Moresken, Comödien, Liebschaft machen und Narrens- possen. „Die Autos des Calderon, sagt Flögel, übertreffen an ungeheurer Vermischung von Heiligem und Profanem fast alles, was man je Ausschweifendes im Fach der Comödie erdacht hat.“ Wie nun die platten Spässe der graciosos im pathetischen Drama, wie die fratzenhaften Ungeheuer in jeder Fronleichnams- procession unentbehrlich waren, so fand sich auch unter den Auf- gaben der Maler Seiner Majestät das Narrenporträt, es war eine herkömmliche Ausstattung gewisser Räume der königlichen Schlösser. In der Galerie des Prado sind sie jetzt von ihren Treppenwänden und aus den Landhäusern emporgestiegen neben die stolzen und kalten Gestalten ihrer früheren Herren, von denen sie ja freilich im Leben unzertrennlich gewesen waren. Rechnet man die angestellten lustigen Personen (hombres de placer), die Zwerge und Idioten, die Narren auf eigne Hand und die in andern Bildern als Nebenfiguren angebrachten zusammen, so kommt mehr als ein Dutzend erhaltener (mehrere sind verschol- len) Originalporträts dieser Art von Velazquez Hand heraus, eine in ihrer Art einzige Sammlung — die unterste Staffel der Pyramide der alten spanischen Gesellschaft. Zu Leo X Zeit — der goldnen Zeit auch der Hofnarren — wurde von ihnen, wie im Mittelalter, noch dichterische Fertig- keit verlangt. Durch sie empfahl sich jener Erzdichter Camillo Querno, der zur Poetenkrönung im Kapitol auf dem Elephant ritt, und mit dem der Pabst selbst improvisirte Verse wechselte. In unserm Zeitalter war hier längst Trennung der Arbeit einge- treten. Nur in prompter Improvisation nach allerhöchsten Win- ken erinnern die Hofdichter noch an die Jongleurs. Da die Dichter einmal in diesem Zusammenhang genannt sind, so muss man doch bedauern, dass nicht irgendwo im Alcazar auch eine Escalera oder eine Bóbeda als Poetenwinkel geweiht war. Peter Aretino warf die Frage auf, ob Leo X die virtû de’ dotti, oder

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/359>, abgerufen am 26.11.2024.