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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Siebentes Buch.
stellung vom holländischem Nationaltypus geben. Auch das hat
man ihnen zum Vorwurf gemacht, dass ihre Sittenbilder nicht
nur platt und trivial, sondern auch wenig sittlich rein und erfreu-
lich sind, selten schöne menschliche Züge enthalten, die doch, wie
die Kunst zu allen Zeiten bewiesen hat, auch in der Sphäre der
Armuth und Niedrigkeit wol zu finden sind. Ist es also nur der
Geschmack einer in sinnlichem Wolleben versumpfenden Gesell-
schaft, welchem diese Vorliebe für Scenen der Ausgelassenheit und
Corruption, des Tavernen- und Courtisanenlebens entsprungen ist?

Die Antwort ist längst gegeben: es ist das Geheimniss des
Pinsels, was in der Wirklichkeit unbedeutend und abstossend wäre,
bedeutend und erfreulich zu machen. Der Kontrast des Gemeinen
und Hässlichen mit der daran gewandten Feinheit einer höchst
ausgebildeten Kunst -- die sich doch verbirgt -- m. a. W. die
malerische Behandlung, das ist es was diesen Schöpfungen Recht
auf Existenz giebt. David Hume meinte1), die Ueberwindung
des Widerstands des an sich Abstossenden verstärke den Reiz
des Schönen, der hier allein in der Darstellung liegt, wie ein
beissendes Gewürz, wie die Fäulnisszugabe den Wolgeschmack
eines Gerichts. Die Probe der Richtigkeit dieser Erklärung
liegt darin, dass die, welche das Sittenbild durch Einführung
des Reinerfreulichen in Form und Gestalt zu veredeln suchten,
keineswegs den Erfolg gehabt haben, den man hätte erwarten
sollen.

Mythologien.

Auch die letzten Stücke dieser Klasse scheinen auf beson-
dern Wunsch des Königs gemalt zu sein; wenigstens waren sie
für zwei von ihm selbst geschaffene oder neu eingerichtete Räum-
lichkeiten bestimmt: die Torre de la parada und den Spiegelsaal
des Schlosses. Dort befand sich neben Aesop und Menippus ein
Bild des Kriegsgotts Mars; hier vier Scenen mit Venus und
Mercur. Der Saal führte seinen Namen von acht gleichen Spie-
geln, deren Grösse indess nach unsern Begriffen eine bescheidene
war, mit Rahmen von Ebenholz und einer Bekrönung von ver-
goldeter Bronze in Gestalt eines Adlers, der den Spiegel mit
seinen Fittigen umfängt. Man sieht solche Spiegel auf Carrenno's
Bildnissen Carl II und der Königin-Witwe. Den Rang dieses

1) David Hume, Essay 22 of Tragedy.

Siebentes Buch.
stellung vom holländischem Nationaltypus geben. Auch das hat
man ihnen zum Vorwurf gemacht, dass ihre Sittenbilder nicht
nur platt und trivial, sondern auch wenig sittlich rein und erfreu-
lich sind, selten schöne menschliche Züge enthalten, die doch, wie
die Kunst zu allen Zeiten bewiesen hat, auch in der Sphäre der
Armuth und Niedrigkeit wol zu finden sind. Ist es also nur der
Geschmack einer in sinnlichem Wolleben versumpfenden Gesell-
schaft, welchem diese Vorliebe für Scenen der Ausgelassenheit und
Corruption, des Tavernen- und Courtisanenlebens entsprungen ist?

Die Antwort ist längst gegeben: es ist das Geheimniss des
Pinsels, was in der Wirklichkeit unbedeutend und abstossend wäre,
bedeutend und erfreulich zu machen. Der Kontrast des Gemeinen
und Hässlichen mit der daran gewandten Feinheit einer höchst
ausgebildeten Kunst — die sich doch verbirgt — m. a. W. die
malerische Behandlung, das ist es was diesen Schöpfungen Recht
auf Existenz giebt. David Hume meinte1), die Ueberwindung
des Widerstands des an sich Abstossenden verstärke den Reiz
des Schönen, der hier allein in der Darstellung liegt, wie ein
beissendes Gewürz, wie die Fäulnisszugabe den Wolgeschmack
eines Gerichts. Die Probe der Richtigkeit dieser Erklärung
liegt darin, dass die, welche das Sittenbild durch Einführung
des Reinerfreulichen in Form und Gestalt zu veredeln suchten,
keineswegs den Erfolg gehabt haben, den man hätte erwarten
sollen.

Mythologien.

Auch die letzten Stücke dieser Klasse scheinen auf beson-
dern Wunsch des Königs gemalt zu sein; wenigstens waren sie
für zwei von ihm selbst geschaffene oder neu eingerichtete Räum-
lichkeiten bestimmt: die Torre de la parada und den Spiegelsaal
des Schlosses. Dort befand sich neben Aesop und Menippus ein
Bild des Kriegsgotts Mars; hier vier Scenen mit Venus und
Mercur. Der Saal führte seinen Namen von acht gleichen Spie-
geln, deren Grösse indess nach unsern Begriffen eine bescheidene
war, mit Rahmen von Ebenholz und einer Bekrönung von ver-
goldeter Bronze in Gestalt eines Adlers, der den Spiegel mit
seinen Fittigen umfängt. Man sieht solche Spiegel auf Carreño’s
Bildnissen Carl II und der Königin-Witwe. Den Rang dieses

1) David Hume, Essay 22 of Tragedy.
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[362/0386] Siebentes Buch. stellung vom holländischem Nationaltypus geben. Auch das hat man ihnen zum Vorwurf gemacht, dass ihre Sittenbilder nicht nur platt und trivial, sondern auch wenig sittlich rein und erfreu- lich sind, selten schöne menschliche Züge enthalten, die doch, wie die Kunst zu allen Zeiten bewiesen hat, auch in der Sphäre der Armuth und Niedrigkeit wol zu finden sind. Ist es also nur der Geschmack einer in sinnlichem Wolleben versumpfenden Gesell- schaft, welchem diese Vorliebe für Scenen der Ausgelassenheit und Corruption, des Tavernen- und Courtisanenlebens entsprungen ist? Die Antwort ist längst gegeben: es ist das Geheimniss des Pinsels, was in der Wirklichkeit unbedeutend und abstossend wäre, bedeutend und erfreulich zu machen. Der Kontrast des Gemeinen und Hässlichen mit der daran gewandten Feinheit einer höchst ausgebildeten Kunst — die sich doch verbirgt — m. a. W. die malerische Behandlung, das ist es was diesen Schöpfungen Recht auf Existenz giebt. David Hume meinte 1), die Ueberwindung des Widerstands des an sich Abstossenden verstärke den Reiz des Schönen, der hier allein in der Darstellung liegt, wie ein beissendes Gewürz, wie die Fäulnisszugabe den Wolgeschmack eines Gerichts. Die Probe der Richtigkeit dieser Erklärung liegt darin, dass die, welche das Sittenbild durch Einführung des Reinerfreulichen in Form und Gestalt zu veredeln suchten, keineswegs den Erfolg gehabt haben, den man hätte erwarten sollen. Mythologien. Auch die letzten Stücke dieser Klasse scheinen auf beson- dern Wunsch des Königs gemalt zu sein; wenigstens waren sie für zwei von ihm selbst geschaffene oder neu eingerichtete Räum- lichkeiten bestimmt: die Torre de la parada und den Spiegelsaal des Schlosses. Dort befand sich neben Aesop und Menippus ein Bild des Kriegsgotts Mars; hier vier Scenen mit Venus und Mercur. Der Saal führte seinen Namen von acht gleichen Spie- geln, deren Grösse indess nach unsern Begriffen eine bescheidene war, mit Rahmen von Ebenholz und einer Bekrönung von ver- goldeter Bronze in Gestalt eines Adlers, der den Spiegel mit seinen Fittigen umfängt. Man sieht solche Spiegel auf Carreño’s Bildnissen Carl II und der Königin-Witwe. Den Rang dieses 1) David Hume, Essay 22 of Tragedy.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/386>, abgerufen am 27.11.2024.