Kähler, Ludwig August: Die drei Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [1]–57. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Ich gestehe, der Morgen, wo ich den Uebergang von genialischer Unordnung zu weiser Regelmäßigkeit machen sollte, war mir sehr peinlich. So schön, reich und geistvoll Angelique war, so bedachte ich, daß der erste Vorzug bald vergehen würde, der zweite mir wenig nützte, und der dritte mehr Dornen als Rosen gewähren könnte. Und wo blieben jene lustigen Stunden, wo ich mich so oft mit Vorsatz der Ausgelassenheit und Thorheit überlassen hatte? D'Argenet kam, umarmte mich als seinen Schwager und führte mich in das Zimmer, wo die Trauung geschehen sollte. Der Vater, die beiden Schwestern, der Onkel und Cousin, nebst dem Geistlichen, waren da. Victoire fehlte. Sie putzt sich noch, sagte Angelique. Sie gönnt keiner ehelichen Braut, selbst am Hochzeittage nicht, die Freude, schöner zu sein. Ein großer Fehler, nicht Wahr, mon cher? Ich bejahte ihre Frage lächelnd; sie war ungemein reizend in dieser Lebhaftigkeit. Nun, danken Sie Gott, daß ich solider bin. Jetzt traten zwei Damen durch eine Nebenthüre ein -- und ich erstaunte gewiß lebhafter, als der Leser, der es längst errathen hat, als ich in Beiden die Tante von Paris mit ihrer schönen Nichte erblickte. Ich gestehe, der Morgen, wo ich den Uebergang von genialischer Unordnung zu weiser Regelmäßigkeit machen sollte, war mir sehr peinlich. So schön, reich und geistvoll Angelique war, so bedachte ich, daß der erste Vorzug bald vergehen würde, der zweite mir wenig nützte, und der dritte mehr Dornen als Rosen gewähren könnte. Und wo blieben jene lustigen Stunden, wo ich mich so oft mit Vorsatz der Ausgelassenheit und Thorheit überlassen hatte? D'Argenet kam, umarmte mich als seinen Schwager und führte mich in das Zimmer, wo die Trauung geschehen sollte. Der Vater, die beiden Schwestern, der Onkel und Cousin, nebst dem Geistlichen, waren da. Victoire fehlte. Sie putzt sich noch, sagte Angelique. Sie gönnt keiner ehelichen Braut, selbst am Hochzeittage nicht, die Freude, schöner zu sein. Ein großer Fehler, nicht Wahr, mon cher? Ich bejahte ihre Frage lächelnd; sie war ungemein reizend in dieser Lebhaftigkeit. Nun, danken Sie Gott, daß ich solider bin. Jetzt traten zwei Damen durch eine Nebenthüre ein — und ich erstaunte gewiß lebhafter, als der Leser, der es längst errathen hat, als ich in Beiden die Tante von Paris mit ihrer schönen Nichte erblickte. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="16"> <pb facs="#f0056"/> <p>Ich gestehe, der Morgen, wo ich den Uebergang von genialischer Unordnung zu weiser Regelmäßigkeit machen sollte, war mir sehr peinlich. So schön, reich und geistvoll Angelique war, so bedachte ich, daß der erste Vorzug bald vergehen würde, der zweite mir wenig nützte, und der dritte mehr Dornen als Rosen gewähren könnte. Und wo blieben jene lustigen Stunden, wo ich mich so oft mit Vorsatz der Ausgelassenheit und Thorheit überlassen hatte?</p><lb/> <p>D'Argenet kam, umarmte mich als seinen Schwager und führte mich in das Zimmer, wo die Trauung geschehen sollte. Der Vater, die beiden Schwestern, der Onkel und Cousin, nebst dem Geistlichen, waren da. Victoire fehlte.</p><lb/> <p>Sie putzt sich noch, sagte Angelique. Sie gönnt keiner ehelichen Braut, selbst am Hochzeittage nicht, die Freude, schöner zu sein. Ein großer Fehler, nicht Wahr, mon cher?</p><lb/> <p>Ich bejahte ihre Frage lächelnd; sie war ungemein reizend in dieser Lebhaftigkeit.</p><lb/> <p>Nun, danken Sie Gott, daß ich solider bin.</p><lb/> <p>Jetzt traten zwei Damen durch eine Nebenthüre ein — und ich erstaunte gewiß lebhafter, als der Leser, der es längst errathen hat, als ich in Beiden die Tante von Paris mit ihrer schönen Nichte erblickte.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0056]
Ich gestehe, der Morgen, wo ich den Uebergang von genialischer Unordnung zu weiser Regelmäßigkeit machen sollte, war mir sehr peinlich. So schön, reich und geistvoll Angelique war, so bedachte ich, daß der erste Vorzug bald vergehen würde, der zweite mir wenig nützte, und der dritte mehr Dornen als Rosen gewähren könnte. Und wo blieben jene lustigen Stunden, wo ich mich so oft mit Vorsatz der Ausgelassenheit und Thorheit überlassen hatte?
D'Argenet kam, umarmte mich als seinen Schwager und führte mich in das Zimmer, wo die Trauung geschehen sollte. Der Vater, die beiden Schwestern, der Onkel und Cousin, nebst dem Geistlichen, waren da. Victoire fehlte.
Sie putzt sich noch, sagte Angelique. Sie gönnt keiner ehelichen Braut, selbst am Hochzeittage nicht, die Freude, schöner zu sein. Ein großer Fehler, nicht Wahr, mon cher?
Ich bejahte ihre Frage lächelnd; sie war ungemein reizend in dieser Lebhaftigkeit.
Nun, danken Sie Gott, daß ich solider bin.
Jetzt traten zwei Damen durch eine Nebenthüre ein — und ich erstaunte gewiß lebhafter, als der Leser, der es längst errathen hat, als ich in Beiden die Tante von Paris mit ihrer schönen Nichte erblickte.
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Zitationshilfe: | Kähler, Ludwig August: Die drei Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [1]–57. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaehler_schwestern_1910/56>, abgerufen am 16.02.2025. |