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Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 1. Lemgo, 1777.

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Kämpfers Geschichte von Japan. Drittes Buch.
runden Spiegel, in dem der Besucher seine Mängel und Flecken sehn und sich dabei erin-
nern sol, daß die Flecken und Tücke seines Herzens gleichsals den Göttern hier vorgestelt
werden. Selten hat man den Came des Tempels in einem ausgeschnittenen Götzenbilde
vorgestelt; und man bewahrt überhaupt kein Bild in den Tempeln auf, wenn es nicht durch
sein Alter, verübte Wunder oder auch durch die Heiligkeit seines Schnitzers dazu besonders
gewürdigt ist. Man hält in diesem Fal ein solches Bild in der Mitte und am obersten
Ende des Tempels in einem Hinterkämmerlein verborgen, das Fongu oder ächter Tem-
pel
heist. Der Anbäter darf nur die Thür des Fongu begrüßen, welches vor dem Tem-
pel oder in dessen Vorzimmer zu geschehen pflegt, das daher Faiden d. i. Reverenzhaus
genant wird. Denn Fai heist eine Reverenz, welche auf indianische Art mit zusammen-
gefalteten erhabenen Händen und Beugung der Knie abgelegt wird. Zur genaueren Besich-
tigung des Bildes aber wird Niemand zugelassen, als an dem großen Gedächtnis-und To-
destage des Heiligen, der nur alle hundert Jahre gefeiert wird.

Auf eben dem hohen Verwahrungsorte werden dann auch alle noch vorhandne Reli-
quien von Gebeinen, Kleidern, Säbeln, oder miraculöser Handarbeit des Gottes aufbe-
wahrt. -- Die vornehmste Mia jedes Orts hat allemahl ein oder mehrere Mikosi, d. i.
kleine vier-sechs-oder achteckige Tempelchens (sacella) die lakirt, und mit vergüldeten
Leisten, Spiegeln, Papier und allerlei andern Zierrathen ausgeschmükt sind. Sie ruhen
auf zwei Stangen, auf welchen sie am Jennitz d. i. am heiligsten Tage der Mia in einer
Procession der Cannusj (vornehmsten Tempelbedienten) zu der Matsuri d. i. der jährlichen
Götzenfeier getragen und aufgeführt werden. Jn diesem Tempel hängt auch weißes in
Riemen zerschnittenes Papier. Die in dem Fongu auf bewahrte heilige Reliquien werden
auch zuweilen in diesen kleinen Tempeln feierlich herumgeführt. Sie werden alsdenn von
dem vornehmsten Cannusj desselben Tempels aus dem heiligsten Tempel der Mia wegge-
nommen, und auf dem Rücken mit beiden Händen in die Mikokf getragen und rücklings
hineingesezt. Bei dieser Uebertragung mus jeder andre Laie abtreten, damit die heiligen
Geräthe nicht durch den unsaubern Blick sündiger Augen beflekt werden mögen.

Eine Mia ist allemal von aussen und in ihrer großen Antichambre, wenn diese of-
fen gehalten wird, oder sonst in einem besondern Vorzimmer, mit vielerlei Bildern, aus-
geschnizten Säbeln, Modellen von Schiffen und mehr dergleichen Zierrathen behangen,
deren Betrachtung denen müßigen Zuschauern und Anbätern an den Festtagen zum Zeitver-
treib dienet. Diese Zierrathen heissen Jemma, und sind meistens freiwillige Gaben an-
dächtiger Herzen oder Bezahlungen der Gelübde, welche bedrängte Personen in ihrem An-
liegen, Krankheit und Unglük für sich selbst und andre gethan haben. Diese Jemma die-

nen

Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Drittes Buch.
runden Spiegel, in dem der Beſucher ſeine Maͤngel und Flecken ſehn und ſich dabei erin-
nern ſol, daß die Flecken und Tuͤcke ſeines Herzens gleichſals den Goͤttern hier vorgeſtelt
werden. Selten hat man den Came des Tempels in einem ausgeſchnittenen Goͤtzenbilde
vorgeſtelt; und man bewahrt uͤberhaupt kein Bild in den Tempeln auf, wenn es nicht durch
ſein Alter, veruͤbte Wunder oder auch durch die Heiligkeit ſeines Schnitzers dazu beſonders
gewuͤrdigt iſt. Man haͤlt in dieſem Fal ein ſolches Bild in der Mitte und am oberſten
Ende des Tempels in einem Hinterkaͤmmerlein verborgen, das Fongu oder aͤchter Tem-
pel
heiſt. Der Anbaͤter darf nur die Thuͤr des Fongu begruͤßen, welches vor dem Tem-
pel oder in deſſen Vorzimmer zu geſchehen pflegt, das daher Faiden d. i. Reverenzhaus
genant wird. Denn Fai heiſt eine Reverenz, welche auf indianiſche Art mit zuſammen-
gefalteten erhabenen Haͤnden und Beugung der Knie abgelegt wird. Zur genaueren Beſich-
tigung des Bildes aber wird Niemand zugelaſſen, als an dem großen Gedaͤchtnis-und To-
destage des Heiligen, der nur alle hundert Jahre gefeiert wird.

Auf eben dem hohen Verwahrungsorte werden dann auch alle noch vorhandne Reli-
quien von Gebeinen, Kleidern, Saͤbeln, oder miraculoͤſer Handarbeit des Gottes aufbe-
wahrt. — Die vornehmſte Mia jedes Orts hat allemahl ein oder mehrere Mikoſi, d. i.
kleine vier-ſechs-oder achteckige Tempelchens (ſacella) die lakirt, und mit verguͤldeten
Leiſten, Spiegeln, Papier und allerlei andern Zierrathen ausgeſchmuͤkt ſind. Sie ruhen
auf zwei Stangen, auf welchen ſie am Jennitz d. i. am heiligſten Tage der Mia in einer
Proceſſion der Cannuſj (vornehmſten Tempelbedienten) zu der Matſuri d. i. der jaͤhrlichen
Goͤtzenfeier getragen und aufgefuͤhrt werden. Jn dieſem Tempel haͤngt auch weißes in
Riemen zerſchnittenes Papier. Die in dem Fongu auf bewahrte heilige Reliquien werden
auch zuweilen in dieſen kleinen Tempeln feierlich herumgefuͤhrt. Sie werden alsdenn von
dem vornehmſten Cannuſj deſſelben Tempels aus dem heiligſten Tempel der Mia wegge-
nommen, und auf dem Ruͤcken mit beiden Haͤnden in die Mikokf getragen und ruͤcklings
hineingeſezt. Bei dieſer Uebertragung mus jeder andre Laie abtreten, damit die heiligen
Geraͤthe nicht durch den unſaubern Blick ſuͤndiger Augen beflekt werden moͤgen.

Eine Mia iſt allemal von auſſen und in ihrer großen Antichambre, wenn dieſe of-
fen gehalten wird, oder ſonſt in einem beſondern Vorzimmer, mit vielerlei Bildern, aus-
geſchnizten Saͤbeln, Modellen von Schiffen und mehr dergleichen Zierrathen behangen,
deren Betrachtung denen muͤßigen Zuſchauern und Anbaͤtern an den Feſttagen zum Zeitver-
treib dienet. Dieſe Zierrathen heiſſen Jemma, und ſind meiſtens freiwillige Gaben an-
daͤchtiger Herzen oder Bezahlungen der Geluͤbde, welche bedraͤngte Perſonen in ihrem An-
liegen, Krankheit und Ungluͤk fuͤr ſich ſelbſt und andre gethan haben. Dieſe Jemma die-

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[260/0364] Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Drittes Buch. runden Spiegel, in dem der Beſucher ſeine Maͤngel und Flecken ſehn und ſich dabei erin- nern ſol, daß die Flecken und Tuͤcke ſeines Herzens gleichſals den Goͤttern hier vorgeſtelt werden. Selten hat man den Came des Tempels in einem ausgeſchnittenen Goͤtzenbilde vorgeſtelt; und man bewahrt uͤberhaupt kein Bild in den Tempeln auf, wenn es nicht durch ſein Alter, veruͤbte Wunder oder auch durch die Heiligkeit ſeines Schnitzers dazu beſonders gewuͤrdigt iſt. Man haͤlt in dieſem Fal ein ſolches Bild in der Mitte und am oberſten Ende des Tempels in einem Hinterkaͤmmerlein verborgen, das Fongu oder aͤchter Tem- pel heiſt. Der Anbaͤter darf nur die Thuͤr des Fongu begruͤßen, welches vor dem Tem- pel oder in deſſen Vorzimmer zu geſchehen pflegt, das daher Faiden d. i. Reverenzhaus genant wird. Denn Fai heiſt eine Reverenz, welche auf indianiſche Art mit zuſammen- gefalteten erhabenen Haͤnden und Beugung der Knie abgelegt wird. Zur genaueren Beſich- tigung des Bildes aber wird Niemand zugelaſſen, als an dem großen Gedaͤchtnis-und To- destage des Heiligen, der nur alle hundert Jahre gefeiert wird. Auf eben dem hohen Verwahrungsorte werden dann auch alle noch vorhandne Reli- quien von Gebeinen, Kleidern, Saͤbeln, oder miraculoͤſer Handarbeit des Gottes aufbe- wahrt. — Die vornehmſte Mia jedes Orts hat allemahl ein oder mehrere Mikoſi, d. i. kleine vier-ſechs-oder achteckige Tempelchens (ſacella) die lakirt, und mit verguͤldeten Leiſten, Spiegeln, Papier und allerlei andern Zierrathen ausgeſchmuͤkt ſind. Sie ruhen auf zwei Stangen, auf welchen ſie am Jennitz d. i. am heiligſten Tage der Mia in einer Proceſſion der Cannuſj (vornehmſten Tempelbedienten) zu der Matſuri d. i. der jaͤhrlichen Goͤtzenfeier getragen und aufgefuͤhrt werden. Jn dieſem Tempel haͤngt auch weißes in Riemen zerſchnittenes Papier. Die in dem Fongu auf bewahrte heilige Reliquien werden auch zuweilen in dieſen kleinen Tempeln feierlich herumgefuͤhrt. Sie werden alsdenn von dem vornehmſten Cannuſj deſſelben Tempels aus dem heiligſten Tempel der Mia wegge- nommen, und auf dem Ruͤcken mit beiden Haͤnden in die Mikokf getragen und ruͤcklings hineingeſezt. Bei dieſer Uebertragung mus jeder andre Laie abtreten, damit die heiligen Geraͤthe nicht durch den unſaubern Blick ſuͤndiger Augen beflekt werden moͤgen. Eine Mia iſt allemal von auſſen und in ihrer großen Antichambre, wenn dieſe of- fen gehalten wird, oder ſonſt in einem beſondern Vorzimmer, mit vielerlei Bildern, aus- geſchnizten Saͤbeln, Modellen von Schiffen und mehr dergleichen Zierrathen behangen, deren Betrachtung denen muͤßigen Zuſchauern und Anbaͤtern an den Feſttagen zum Zeitver- treib dienet. Dieſe Zierrathen heiſſen Jemma, und ſind meiſtens freiwillige Gaben an- daͤchtiger Herzen oder Bezahlungen der Geluͤbde, welche bedraͤngte Perſonen in ihrem An- liegen, Krankheit und Ungluͤk fuͤr ſich ſelbſt und andre gethan haben. Dieſe Jemma die- nen

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Zitationshilfe: Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 1. Lemgo, 1777, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan01_1777/364>, abgerufen am 24.11.2024.