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Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 1. Lemgo, 1777.

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Sechst. K. Von den Budsdo, oder der ausländis. heidnis. Religion.
dessen Nachfolger Tee Sjün*) d. i. Kaiser Sjün bekommen haben. Dieser war ein
volständiger, wohldenkender und moralisch lebender Bauer, den der Kaiser Gjo seinen zwölf
Kindern (von denen zwei Töchter und zehn Söhne waren) vorzog und ihm die Regierung
des Reichs auftrug.

Diese beiden großen Kaiser waren die ersten Sesin, wodurch im eigentlichen Sin
solche Philosophen verstanden werden, die ohne fremde Hülfe allein durch eigne Bemühung
die Weisheit und Wahrheit ausfinden. Es ist ein Misbrauch dieses edlen Worts, wenn
man es nachher auch den ersten Theologen beigelegt hat.

Erst viele Jahrhunderte nachher entstand die erste einheimische Theologie des gro-
ßen Lehrers Roos. Jn Sokokf d. i. in der Provinz So, den 14ten Tag des neunten
Monats im 346sten Jahre nach Sjaka, oder im 603ten vor Christi Geburt wurde Roos
geboren. Er hat 81 Jahre im Mutterleibe zugebracht, kam daher als ein greishaarigt
Kind zur Welt und erhielt den Namen Roosi d. i. Altkind. Nach seiner Geburt lebte
er noch 84 Jahre. Jn ihm (glaubt man) wohnte durch die Metempsychose der Kasso
Bosatz
d. i. der Gott oder heilige Kasso, welcher des Saka ältester Schüler war. Da-
her konte es denn diesem erleuchteten Geiste natürlich nicht sehr schwer werden, von der Na-
tur und Beschaffenheit der Götter und Geister Vieles zu offenbaren, und das neugierige
und zur Bewunderung so geneigte Volk mit der unerhörten neuen Lehre von übernatürlichen
Dingen an sich zu ziehn.**)

Diese Lehre wurde gleich anfangs und noch in ihrem ersten Wachsthum wunder-
thätig unterstüzt, durch die scharfsinnige Weltweisheit eines unvergleichlichen Sesin, des
Koosj, dessen Geburt in das 399ste Jahr nach Saka und in das 53ste nach der Geburt
des Roos (der also damals noch am Leben war) einfält. Diese Geburt geschah am vierten
Tage des eilften Monats,***) nicht ohne besondre Merkmaale eines durchlauchtigen Ver-
standes und eines künftigen Sesin. Denn man fand an seinem Haupte einige Mahlzeichen,
die auch der Kaiser Gjo hatte; und die Figur seiner Stirn war eben wie bey dem Kaiser
Sjün. Wie er geboren wurde, hörte man im Himmel Musik; und der ersten Abwaschung
dieses Kindes wohnten zwei Drachen bey. Seine Größe war neun Sako, neun Sun;
seine Gestalt ansehnlich und nach der Größe seines Verstandes proportionirt.

Alle Fabeln abgerechnet, die sich in die Geschichte des Konfuzius (wie wir Eu-
ropäer ihn nennen) eingeschlichen haben; so bleibt doch soviel gewis und ausgemacht, daß

er
*) Der Versasser hat von diesen beiden Kai-
sern schon oben (S. 169) Mehrers beigebracht.
Dort heist nur der Kaiser Gjo, Tai Gio.
**) Man vergleiche oben S. 187.
***) Hier fehlt das Jahr, nemlich 551 vor
Christo. Siehe oben S. 188.
P p 3

Sechſt. K. Von den Budsdo, oder der auslaͤndiſ. heidniſ. Religion.
deſſen Nachfolger Tee Sjuͤn*) d. i. Kaiſer Sjuͤn bekommen haben. Dieſer war ein
volſtaͤndiger, wohldenkender und moraliſch lebender Bauer, den der Kaiſer Gjo ſeinen zwoͤlf
Kindern (von denen zwei Toͤchter und zehn Soͤhne waren) vorzog und ihm die Regierung
des Reichs auftrug.

Dieſe beiden großen Kaiſer waren die erſten Seſin, wodurch im eigentlichen Sin
ſolche Philoſophen verſtanden werden, die ohne fremde Huͤlfe allein durch eigne Bemuͤhung
die Weisheit und Wahrheit ausfinden. Es iſt ein Misbrauch dieſes edlen Worts, wenn
man es nachher auch den erſten Theologen beigelegt hat.

Erſt viele Jahrhunderte nachher entſtand die erſte einheimiſche Theologie des gro-
ßen Lehrers Roos. Jn Sokokf d. i. in der Provinz So, den 14ten Tag des neunten
Monats im 346ſten Jahre nach Sjaka, oder im 603ten vor Chriſti Geburt wurde Roos
geboren. Er hat 81 Jahre im Mutterleibe zugebracht, kam daher als ein greishaarigt
Kind zur Welt und erhielt den Namen Rooſi d. i. Altkind. Nach ſeiner Geburt lebte
er noch 84 Jahre. Jn ihm (glaubt man) wohnte durch die Metempſychoſe der Kaſſo
Boſatz
d. i. der Gott oder heilige Kaſſo, welcher des Saka aͤlteſter Schuͤler war. Da-
her konte es denn dieſem erleuchteten Geiſte natuͤrlich nicht ſehr ſchwer werden, von der Na-
tur und Beſchaffenheit der Goͤtter und Geiſter Vieles zu offenbaren, und das neugierige
und zur Bewunderung ſo geneigte Volk mit der unerhoͤrten neuen Lehre von uͤbernatuͤrlichen
Dingen an ſich zu ziehn.**)

Dieſe Lehre wurde gleich anfangs und noch in ihrem erſten Wachsthum wunder-
thaͤtig unterſtuͤzt, durch die ſcharfſinnige Weltweisheit eines unvergleichlichen Seſin, des
Kooſj, deſſen Geburt in das 399ſte Jahr nach Saka und in das 53ſte nach der Geburt
des Roos (der alſo damals noch am Leben war) einfaͤlt. Dieſe Geburt geſchah am vierten
Tage des eilften Monats,***) nicht ohne beſondre Merkmaale eines durchlauchtigen Ver-
ſtandes und eines kuͤnftigen Seſin. Denn man fand an ſeinem Haupte einige Mahlzeichen,
die auch der Kaiſer Gjo hatte; und die Figur ſeiner Stirn war eben wie bey dem Kaiſer
Sjuͤn. Wie er geboren wurde, hoͤrte man im Himmel Muſik; und der erſten Abwaſchung
dieſes Kindes wohnten zwei Drachen bey. Seine Groͤße war neun Sako, neun Sun;
ſeine Geſtalt anſehnlich und nach der Groͤße ſeines Verſtandes proportionirt.

Alle Fabeln abgerechnet, die ſich in die Geſchichte des Konfuzius (wie wir Eu-
ropaͤer ihn nennen) eingeſchlichen haben; ſo bleibt doch ſoviel gewis und ausgemacht, daß

er
*) Der Verſaſſer hat von dieſen beiden Kai-
ſern ſchon oben (S. 169) Mehrers beigebracht.
Dort heiſt nur der Kaiſer Gjo, Tai Gio.
**) Man vergleiche oben S. 187.
***) Hier fehlt das Jahr, nemlich 551 vor
Chriſto. Siehe oben S. 188.
P p 3
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[301/0409] Sechſt. K. Von den Budsdo, oder der auslaͤndiſ. heidniſ. Religion. deſſen Nachfolger Tee Sjuͤn *) d. i. Kaiſer Sjuͤn bekommen haben. Dieſer war ein volſtaͤndiger, wohldenkender und moraliſch lebender Bauer, den der Kaiſer Gjo ſeinen zwoͤlf Kindern (von denen zwei Toͤchter und zehn Soͤhne waren) vorzog und ihm die Regierung des Reichs auftrug. Dieſe beiden großen Kaiſer waren die erſten Seſin, wodurch im eigentlichen Sin ſolche Philoſophen verſtanden werden, die ohne fremde Huͤlfe allein durch eigne Bemuͤhung die Weisheit und Wahrheit ausfinden. Es iſt ein Misbrauch dieſes edlen Worts, wenn man es nachher auch den erſten Theologen beigelegt hat. Erſt viele Jahrhunderte nachher entſtand die erſte einheimiſche Theologie des gro- ßen Lehrers Roos. Jn Sokokf d. i. in der Provinz So, den 14ten Tag des neunten Monats im 346ſten Jahre nach Sjaka, oder im 603ten vor Chriſti Geburt wurde Roos geboren. Er hat 81 Jahre im Mutterleibe zugebracht, kam daher als ein greishaarigt Kind zur Welt und erhielt den Namen Rooſi d. i. Altkind. Nach ſeiner Geburt lebte er noch 84 Jahre. Jn ihm (glaubt man) wohnte durch die Metempſychoſe der Kaſſo Boſatz d. i. der Gott oder heilige Kaſſo, welcher des Saka aͤlteſter Schuͤler war. Da- her konte es denn dieſem erleuchteten Geiſte natuͤrlich nicht ſehr ſchwer werden, von der Na- tur und Beſchaffenheit der Goͤtter und Geiſter Vieles zu offenbaren, und das neugierige und zur Bewunderung ſo geneigte Volk mit der unerhoͤrten neuen Lehre von uͤbernatuͤrlichen Dingen an ſich zu ziehn. **) Dieſe Lehre wurde gleich anfangs und noch in ihrem erſten Wachsthum wunder- thaͤtig unterſtuͤzt, durch die ſcharfſinnige Weltweisheit eines unvergleichlichen Seſin, des Kooſj, deſſen Geburt in das 399ſte Jahr nach Saka und in das 53ſte nach der Geburt des Roos (der alſo damals noch am Leben war) einfaͤlt. Dieſe Geburt geſchah am vierten Tage des eilften Monats, ***) nicht ohne beſondre Merkmaale eines durchlauchtigen Ver- ſtandes und eines kuͤnftigen Seſin. Denn man fand an ſeinem Haupte einige Mahlzeichen, die auch der Kaiſer Gjo hatte; und die Figur ſeiner Stirn war eben wie bey dem Kaiſer Sjuͤn. Wie er geboren wurde, hoͤrte man im Himmel Muſik; und der erſten Abwaſchung dieſes Kindes wohnten zwei Drachen bey. Seine Groͤße war neun Sako, neun Sun; ſeine Geſtalt anſehnlich und nach der Groͤße ſeines Verſtandes proportionirt. Alle Fabeln abgerechnet, die ſich in die Geſchichte des Konfuzius (wie wir Eu- ropaͤer ihn nennen) eingeſchlichen haben; ſo bleibt doch ſoviel gewis und ausgemacht, daß er *) Der Verſaſſer hat von dieſen beiden Kai- ſern ſchon oben (S. 169) Mehrers beigebracht. Dort heiſt nur der Kaiſer Gjo, Tai Gio. **) Man vergleiche oben S. 187. ***) Hier fehlt das Jahr, nemlich 551 vor Chriſto. Siehe oben S. 188. P p 3

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Zitationshilfe: Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 1. Lemgo, 1777, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan01_1777/409>, abgerufen am 25.11.2024.