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Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 1. Lemgo, 1777.

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Vorrede des Verfassers.
pan einzuziehn. Die Japaner sind ausnehmend beherzt, herrisch und klug und
lassen sich durchaus nicht durch einen Eid binden, den sie zu denen ihnen selbst unbe-
kanten, und von ihnen nicht geglaubten Göttern und Geistern schwören. Nur
allein die obrigkeitliche Strafe des Eidbruchs, wenn er verrathen würde, kan sie
zurükhalten. Und nun ist diese Nation, ohngeachtet ihres Stolzes und kriegrischen
Geistes, doch ausnehmend freundlich, umgänglich und besonders so neugierig,
als nur irgend eine Nation auf der Welt seyn kan. Besonders sind die Japaner
sehr begierig, von den Geschichten, Verfassungen, Künsten und Wissenschaften
fremder Völker etwas zu erfahren.

Da wir Holländer aber nur Kaufleute sind, welche in Japan den unter-
sten und verächtlichsten Rang haben; da wir überdem unter ihnen als verdächtige
Gäste angesehn werden und beständig im Verhaft leben; so mus man nothwendig
sein ganzes Betragen so einrichten, daß man dem Stolz und Eigennuz der Japa-
ner schmeichelt und befriedigt; ihren Wünschen sich gefällig und zuvorkommend
bezeugt, wenn man diese so stolze Menschenart sich verbindlich machen, und et-
was von ihr erhalten wil. Diese Mittel habe ich angewandt und dadurch die
Vertraulichkeit unsrer Vorgesezten und Dolmetscher mir erworben. Diese Leute
besuchten den Wohnplaz unserer Nation Desima und besonders mein Haus täglich;
und ich bin so glüklich gewesen, mit ihnen in eine so genaue Verbindung zu kom-
men, als, glaube ich, noch kein Europäer, seit der jetzigen vieljährigen Einrich-
tung unsers Handels, sich rühmen kan.

Jch bezeugte mich nemlich von Anfang an ungemein wilfährig, diesen vor-
nehmern Japanern mit meiner Profession, der Arzneiwissenschaft, und einem zwar
geringem Unterricht in der Astronomie und Mathesi nach ihrem Wunsch und ohne
Entgeld zu dienen; und (welches nicht zu vergessen) theilte ihnen dann auch ganz
cordial bey diesem Unterricht beliebte europäische Liqueurs mit. Dies machte sie
mir so gewogen, daß ich mit aller möglichen Freiheit und ganz genau und umständ-

lich

Vorrede des Verfaſſers.
pan einzuziehn. Die Japaner ſind ausnehmend beherzt, herriſch und klug und
laſſen ſich durchaus nicht durch einen Eid binden, den ſie zu denen ihnen ſelbſt unbe-
kanten, und von ihnen nicht geglaubten Goͤttern und Geiſtern ſchwoͤren. Nur
allein die obrigkeitliche Strafe des Eidbruchs, wenn er verrathen wuͤrde, kan ſie
zuruͤkhalten. Und nun iſt dieſe Nation, ohngeachtet ihres Stolzes und kriegriſchen
Geiſtes, doch ausnehmend freundlich, umgaͤnglich und beſonders ſo neugierig,
als nur irgend eine Nation auf der Welt ſeyn kan. Beſonders ſind die Japaner
ſehr begierig, von den Geſchichten, Verfaſſungen, Kuͤnſten und Wiſſenſchaften
fremder Voͤlker etwas zu erfahren.

Da wir Hollaͤnder aber nur Kaufleute ſind, welche in Japan den unter-
ſten und veraͤchtlichſten Rang haben; da wir uͤberdem unter ihnen als verdaͤchtige
Gaͤſte angeſehn werden und beſtaͤndig im Verhaft leben; ſo mus man nothwendig
ſein ganzes Betragen ſo einrichten, daß man dem Stolz und Eigennuz der Japa-
ner ſchmeichelt und befriedigt; ihren Wuͤnſchen ſich gefaͤllig und zuvorkommend
bezeugt, wenn man dieſe ſo ſtolze Menſchenart ſich verbindlich machen, und et-
was von ihr erhalten wil. Dieſe Mittel habe ich angewandt und dadurch die
Vertraulichkeit unſrer Vorgeſezten und Dolmetſcher mir erworben. Dieſe Leute
beſuchten den Wohnplaz unſerer Nation Deſima und beſonders mein Haus taͤglich;
und ich bin ſo gluͤklich geweſen, mit ihnen in eine ſo genaue Verbindung zu kom-
men, als, glaube ich, noch kein Europaͤer, ſeit der jetzigen vieljaͤhrigen Einrich-
tung unſers Handels, ſich ruͤhmen kan.

Jch bezeugte mich nemlich von Anfang an ungemein wilfaͤhrig, dieſen vor-
nehmern Japanern mit meiner Profeſſion, der Arzneiwiſſenſchaft, und einem zwar
geringem Unterricht in der Aſtronomie und Matheſi nach ihrem Wunſch und ohne
Entgeld zu dienen; und (welches nicht zu vergeſſen) theilte ihnen dann auch ganz
cordial bey dieſem Unterricht beliebte europaͤiſche Liqueurs mit. Dies machte ſie
mir ſo gewogen, daß ich mit aller moͤglichen Freiheit und ganz genau und umſtaͤnd-

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[LXVI/0070] Vorrede des Verfaſſers. pan einzuziehn. Die Japaner ſind ausnehmend beherzt, herriſch und klug und laſſen ſich durchaus nicht durch einen Eid binden, den ſie zu denen ihnen ſelbſt unbe- kanten, und von ihnen nicht geglaubten Goͤttern und Geiſtern ſchwoͤren. Nur allein die obrigkeitliche Strafe des Eidbruchs, wenn er verrathen wuͤrde, kan ſie zuruͤkhalten. Und nun iſt dieſe Nation, ohngeachtet ihres Stolzes und kriegriſchen Geiſtes, doch ausnehmend freundlich, umgaͤnglich und beſonders ſo neugierig, als nur irgend eine Nation auf der Welt ſeyn kan. Beſonders ſind die Japaner ſehr begierig, von den Geſchichten, Verfaſſungen, Kuͤnſten und Wiſſenſchaften fremder Voͤlker etwas zu erfahren. Da wir Hollaͤnder aber nur Kaufleute ſind, welche in Japan den unter- ſten und veraͤchtlichſten Rang haben; da wir uͤberdem unter ihnen als verdaͤchtige Gaͤſte angeſehn werden und beſtaͤndig im Verhaft leben; ſo mus man nothwendig ſein ganzes Betragen ſo einrichten, daß man dem Stolz und Eigennuz der Japa- ner ſchmeichelt und befriedigt; ihren Wuͤnſchen ſich gefaͤllig und zuvorkommend bezeugt, wenn man dieſe ſo ſtolze Menſchenart ſich verbindlich machen, und et- was von ihr erhalten wil. Dieſe Mittel habe ich angewandt und dadurch die Vertraulichkeit unſrer Vorgeſezten und Dolmetſcher mir erworben. Dieſe Leute beſuchten den Wohnplaz unſerer Nation Deſima und beſonders mein Haus taͤglich; und ich bin ſo gluͤklich geweſen, mit ihnen in eine ſo genaue Verbindung zu kom- men, als, glaube ich, noch kein Europaͤer, ſeit der jetzigen vieljaͤhrigen Einrich- tung unſers Handels, ſich ruͤhmen kan. Jch bezeugte mich nemlich von Anfang an ungemein wilfaͤhrig, dieſen vor- nehmern Japanern mit meiner Profeſſion, der Arzneiwiſſenſchaft, und einem zwar geringem Unterricht in der Aſtronomie und Matheſi nach ihrem Wunſch und ohne Entgeld zu dienen; und (welches nicht zu vergeſſen) theilte ihnen dann auch ganz cordial bey dieſem Unterricht beliebte europaͤiſche Liqueurs mit. Dies machte ſie mir ſo gewogen, daß ich mit aller moͤglichen Freiheit und ganz genau und umſtaͤnd- lich

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Zitationshilfe: Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 1. Lemgo, 1777, S. LXVI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan01_1777/70>, abgerufen am 26.11.2024.