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Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 2. Lemgo, 1779.

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Nacherinnerungen des Herausgebers.
erzählt, geben dem Leser gar nicht die Jdee eines Volks, dessen meiste Glieder wenigstens
sehr glüklich sind. Der weltliche Kaiser hat den kleinen Regenten des Landes ihre ehmali-
gen Rechte genommen, und sie seiner unumschränkten Gewalt unterworfen, er trennt sie
sogar einen großen Theil des Lebens von ihren Familien, er macht sie arm und zwingt sie
das Volk zu drücken. Diese ehmaligen kleinen Könige fühlen das Unglük ihres Zustan-
des, ertragen es mit schmerzvoller Ungeduld, sind in beständiger Gefahr, und gehören also
wohl nicht zu den glüklichsten Menschen. Das gemeine Volk sieht auf allen Landstraßen
Befehle, die ihm den Tod drohn, und zwar für Verbrechen, die nur durch die Wilkühr
des Herrn dazu gestempelt worden. Man erinnere sich der wegen des unbedeutendsten
Schleichhandels erfolgten Todesstrafen. Das Volk ist unaufhörlich mit Policeiaufsehern
umgeben, die seine kleinsten Handlungen ausspähen, in das Jnnerste der Häuser dringen;
noch mehr, ein Mensch mus nicht nur für sich, sondern auch für alle seine Angehörige, und
für alle, welche in seiner Gasse wohnen, stehn, und im Fal des Vergehens büßen. Es
ist wahr, diese Einrichtung kan vielleicht die Wirkung haben, daß die Befehle sehr strenge
beobachtet werden, und seltener, als in andern Ländern, dagegen gesündigt wird. Aber wie
unglüklich müssen Menschen seyn, die unauf hörlich allen ihren Freunden auflauern müssen,
und wissen, daß ihnen auch von jedem andern aufgelauert werde. Dabei hängen sie von
Richtern ab, deren Wilkühr fast allein ihr Leben und ihr Vermögen überlassen ist, und ge-
gen die sie keinen Schuz finden. Sie geben starke Abgaben, und werden von den Gou-
verneurs unterdrükt. Sie sind arm, denn sie benutzen alle mögliche Dinge zur Nahrung,
treiben alle erdenkliche Gewerbe, und drängen sich mit hungriger Gierigkeit zu dem Gewin,
den sie den Holländern abnehmen. Sie dürfen nie ihr Land verlassen, mit keinen Frem-
den Umgang haben, der Genus aller ausländischen Dinge ist ihnen versagt. Können
Menschen in dieser Lage beneidenswürdig glücklich seyn? Sie sind es nicht, dies beweißt
auch die Leichtigkeit, mit der die Japaner den Tod empfangen oder sich selbst geben, und
dies nicht aus kühner Standhaftigkeit, sondern aus überdrüssigem Ekel vor einem unglük-
lichen Leben.

Ob die Japaner in ihrem ehmaligen Zustande vor der Revolution des Taico glük-
licher waren, als izt, läßt sich schwer bestimmen, da uns ihr innerer Zustand in dieser
Zeit so wenig bekant ist. Aber verschiedne Umstände machen es wahrscheinlich. Von den
kleinen Regenten leidet es keinen Zweifel. Aber auch das Volk befand sich wahrscheinlich
besser, da es noch unter vielen kleinen, beschränkten Herrn lebte, und wenn deren einer
die Tyrannei zu weit trieb, bei dem andern Zuflucht fand, auch die Freiheit hatte, sich
außerhalb des Reichs zu begeben, und noch nicht so strengen Klostergesetzen unterworfen
war. Die bürgerlichen Kriege brachten unstreitig auch viel Unglük hervor, aber sie gaben

auch

Nacherinnerungen des Herausgebers.
erzaͤhlt, geben dem Leſer gar nicht die Jdee eines Volks, deſſen meiſte Glieder wenigſtens
ſehr gluͤklich ſind. Der weltliche Kaiſer hat den kleinen Regenten des Landes ihre ehmali-
gen Rechte genommen, und ſie ſeiner unumſchraͤnkten Gewalt unterworfen, er trennt ſie
ſogar einen großen Theil des Lebens von ihren Familien, er macht ſie arm und zwingt ſie
das Volk zu druͤcken. Dieſe ehmaligen kleinen Koͤnige fuͤhlen das Ungluͤk ihres Zuſtan-
des, ertragen es mit ſchmerzvoller Ungeduld, ſind in beſtaͤndiger Gefahr, und gehoͤren alſo
wohl nicht zu den gluͤklichſten Menſchen. Das gemeine Volk ſieht auf allen Landſtraßen
Befehle, die ihm den Tod drohn, und zwar fuͤr Verbrechen, die nur durch die Wilkuͤhr
des Herrn dazu geſtempelt worden. Man erinnere ſich der wegen des unbedeutendſten
Schleichhandels erfolgten Todesſtrafen. Das Volk iſt unaufhoͤrlich mit Policeiaufſehern
umgeben, die ſeine kleinſten Handlungen ausſpaͤhen, in das Jnnerſte der Haͤuſer dringen;
noch mehr, ein Menſch mus nicht nur fuͤr ſich, ſondern auch fuͤr alle ſeine Angehoͤrige, und
fuͤr alle, welche in ſeiner Gaſſe wohnen, ſtehn, und im Fal des Vergehens buͤßen. Es
iſt wahr, dieſe Einrichtung kan vielleicht die Wirkung haben, daß die Befehle ſehr ſtrenge
beobachtet werden, und ſeltener, als in andern Laͤndern, dagegen geſuͤndigt wird. Aber wie
ungluͤklich muͤſſen Menſchen ſeyn, die unauf hoͤrlich allen ihren Freunden auflauern muͤſſen,
und wiſſen, daß ihnen auch von jedem andern aufgelauert werde. Dabei haͤngen ſie von
Richtern ab, deren Wilkuͤhr faſt allein ihr Leben und ihr Vermoͤgen uͤberlaſſen iſt, und ge-
gen die ſie keinen Schuz finden. Sie geben ſtarke Abgaben, und werden von den Gou-
verneurs unterdruͤkt. Sie ſind arm, denn ſie benutzen alle moͤgliche Dinge zur Nahrung,
treiben alle erdenkliche Gewerbe, und draͤngen ſich mit hungriger Gierigkeit zu dem Gewin,
den ſie den Hollaͤndern abnehmen. Sie duͤrfen nie ihr Land verlaſſen, mit keinen Frem-
den Umgang haben, der Genus aller auslaͤndiſchen Dinge iſt ihnen verſagt. Koͤnnen
Menſchen in dieſer Lage beneidenswuͤrdig gluͤcklich ſeyn? Sie ſind es nicht, dies beweißt
auch die Leichtigkeit, mit der die Japaner den Tod empfangen oder ſich ſelbſt geben, und
dies nicht aus kuͤhner Standhaftigkeit, ſondern aus uͤberdruͤſſigem Ekel vor einem ungluͤk-
lichen Leben.

Ob die Japaner in ihrem ehmaligen Zuſtande vor der Revolution des Taico gluͤk-
licher waren, als izt, laͤßt ſich ſchwer beſtimmen, da uns ihr innerer Zuſtand in dieſer
Zeit ſo wenig bekant iſt. Aber verſchiedne Umſtaͤnde machen es wahrſcheinlich. Von den
kleinen Regenten leidet es keinen Zweifel. Aber auch das Volk befand ſich wahrſcheinlich
beſſer, da es noch unter vielen kleinen, beſchraͤnkten Herrn lebte, und wenn deren einer
die Tyrannei zu weit trieb, bei dem andern Zuflucht fand, auch die Freiheit hatte, ſich
außerhalb des Reichs zu begeben, und noch nicht ſo ſtrengen Kloſtergeſetzen unterworfen
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[418/0474] Nacherinnerungen des Herausgebers. erzaͤhlt, geben dem Leſer gar nicht die Jdee eines Volks, deſſen meiſte Glieder wenigſtens ſehr gluͤklich ſind. Der weltliche Kaiſer hat den kleinen Regenten des Landes ihre ehmali- gen Rechte genommen, und ſie ſeiner unumſchraͤnkten Gewalt unterworfen, er trennt ſie ſogar einen großen Theil des Lebens von ihren Familien, er macht ſie arm und zwingt ſie das Volk zu druͤcken. Dieſe ehmaligen kleinen Koͤnige fuͤhlen das Ungluͤk ihres Zuſtan- des, ertragen es mit ſchmerzvoller Ungeduld, ſind in beſtaͤndiger Gefahr, und gehoͤren alſo wohl nicht zu den gluͤklichſten Menſchen. Das gemeine Volk ſieht auf allen Landſtraßen Befehle, die ihm den Tod drohn, und zwar fuͤr Verbrechen, die nur durch die Wilkuͤhr des Herrn dazu geſtempelt worden. Man erinnere ſich der wegen des unbedeutendſten Schleichhandels erfolgten Todesſtrafen. Das Volk iſt unaufhoͤrlich mit Policeiaufſehern umgeben, die ſeine kleinſten Handlungen ausſpaͤhen, in das Jnnerſte der Haͤuſer dringen; noch mehr, ein Menſch mus nicht nur fuͤr ſich, ſondern auch fuͤr alle ſeine Angehoͤrige, und fuͤr alle, welche in ſeiner Gaſſe wohnen, ſtehn, und im Fal des Vergehens buͤßen. Es iſt wahr, dieſe Einrichtung kan vielleicht die Wirkung haben, daß die Befehle ſehr ſtrenge beobachtet werden, und ſeltener, als in andern Laͤndern, dagegen geſuͤndigt wird. Aber wie ungluͤklich muͤſſen Menſchen ſeyn, die unauf hoͤrlich allen ihren Freunden auflauern muͤſſen, und wiſſen, daß ihnen auch von jedem andern aufgelauert werde. Dabei haͤngen ſie von Richtern ab, deren Wilkuͤhr faſt allein ihr Leben und ihr Vermoͤgen uͤberlaſſen iſt, und ge- gen die ſie keinen Schuz finden. Sie geben ſtarke Abgaben, und werden von den Gou- verneurs unterdruͤkt. Sie ſind arm, denn ſie benutzen alle moͤgliche Dinge zur Nahrung, treiben alle erdenkliche Gewerbe, und draͤngen ſich mit hungriger Gierigkeit zu dem Gewin, den ſie den Hollaͤndern abnehmen. Sie duͤrfen nie ihr Land verlaſſen, mit keinen Frem- den Umgang haben, der Genus aller auslaͤndiſchen Dinge iſt ihnen verſagt. Koͤnnen Menſchen in dieſer Lage beneidenswuͤrdig gluͤcklich ſeyn? Sie ſind es nicht, dies beweißt auch die Leichtigkeit, mit der die Japaner den Tod empfangen oder ſich ſelbſt geben, und dies nicht aus kuͤhner Standhaftigkeit, ſondern aus uͤberdruͤſſigem Ekel vor einem ungluͤk- lichen Leben. Ob die Japaner in ihrem ehmaligen Zuſtande vor der Revolution des Taico gluͤk- licher waren, als izt, laͤßt ſich ſchwer beſtimmen, da uns ihr innerer Zuſtand in dieſer Zeit ſo wenig bekant iſt. Aber verſchiedne Umſtaͤnde machen es wahrſcheinlich. Von den kleinen Regenten leidet es keinen Zweifel. Aber auch das Volk befand ſich wahrſcheinlich beſſer, da es noch unter vielen kleinen, beſchraͤnkten Herrn lebte, und wenn deren einer die Tyrannei zu weit trieb, bei dem andern Zuflucht fand, auch die Freiheit hatte, ſich außerhalb des Reichs zu begeben, und noch nicht ſo ſtrengen Kloſtergeſetzen unterworfen war. Die buͤrgerlichen Kriege brachten unſtreitig auch viel Ungluͤk hervor, aber ſie gaben auch

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Zitationshilfe: Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 2. Lemgo, 1779, S. 418. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan02_1779/474>, abgerufen am 24.11.2024.