III. Von der bei den Japanern üblichen Kur der Kolik durch die Akupunktur oder das Stechen mit der Nadel.
Die Japaner nennen die Kolik Senki. Diese Krankheit ist auf den volkreichen Japa- nischen Jnseln endemisch und so häufig, daß sich unter zehn Erwachsenen kaum einer findet, der nicht einmal von ihr wäre befallen worden. Die sonst so gesunde Luft dieses Landes, das hiesige Wasser, die Speisen, die Getränke, und die übliche Lebensart verbinden sich insgesamt, diese Krankheit zu erzeugen. Auch die Fremden werden von ihr an- gefallen, wenn sie die Getränke dieses Landes genießen, wie wir selbst zu unserm Schaden erfahren haben, da wir bei unsrer Landung, nach der Weise der Seefahrer, in dem kalten Japanischen Bier, (das man Sacki nent,) das viele erlittene Ungemach unsrer Reise zu vergessen suchten. Dies Sacki wird aus Reis gebrauet, und ist so stark und consistent, wie spanischer Wein. Es darf nach Japanischer Sitte nicht kalt getrunken werden, sondern wird etwas erwärmet, aus Schaalen geschlurft.
Nicht jede Art von Leibschmerzen wird in Japan mit dem Namen Senki belegt, sondern nur diejenige, die zugleich die Därme angreift und auch in den Weichen unsers Kör- pers convulsivische Bewegungen erregt. Auch greift diese Kolik die Muskeln und Häute des Unterleibes an. Die Ursache und Materie dieses Schmerzens so wie aller Bauchkrankhei- ten überhaupt suchen die Japaner nicht in der Höhle der Därme, welchen sie wenigstens nur die geringern Grade beimessen. Sie sey, behaupten sie, in der häutigen Substanz irgend eines Theils des Bauchs zu finden, als in den Muskeln, der Haut, die die Gedärme um- giebt, (peritoneo,) dem Netz, dem Gekröse und den Därmen selbst. Wenn diese Ma- terie sich an einem der Orte etwas aufgehalten hat, so wird sie in einen Durst, oder viel- mehr, wie die Japaner sagen, in einen sehr scharfen Geist verwandelt, der dann jene Häute ausdehnt, durchstöst und zerreibt. Wenn also, folgern sie nun, der Kerker dieses Geistes zerbrochen, und er aus dem engen Behältnisse, in dem er verschlossen war, befreyet wird;
so
III. Von der bei den Japanern uͤblichen Kur der Kolik durch die Akupunktur oder das Stechen mit der Nadel.
Die Japaner nennen die Kolik Senki. Dieſe Krankheit iſt auf den volkreichen Japa- niſchen Jnſeln endemiſch und ſo haͤufig, daß ſich unter zehn Erwachſenen kaum einer findet, der nicht einmal von ihr waͤre befallen worden. Die ſonſt ſo geſunde Luft dieſes Landes, das hieſige Waſſer, die Speiſen, die Getraͤnke, und die uͤbliche Lebensart verbinden ſich insgeſamt, dieſe Krankheit zu erzeugen. Auch die Fremden werden von ihr an- gefallen, wenn ſie die Getraͤnke dieſes Landes genießen, wie wir ſelbſt zu unſerm Schaden erfahren haben, da wir bei unſrer Landung, nach der Weiſe der Seefahrer, in dem kalten Japaniſchen Bier, (das man Sacki nent,) das viele erlittene Ungemach unſrer Reiſe zu vergeſſen ſuchten. Dies Sacki wird aus Reis gebrauet, und iſt ſo ſtark und conſiſtent, wie ſpaniſcher Wein. Es darf nach Japaniſcher Sitte nicht kalt getrunken werden, ſondern wird etwas erwaͤrmet, aus Schaalen geſchlurft.
Nicht jede Art von Leibſchmerzen wird in Japan mit dem Namen Senki belegt, ſondern nur diejenige, die zugleich die Daͤrme angreift und auch in den Weichen unſers Koͤr- pers convulſiviſche Bewegungen erregt. Auch greift dieſe Kolik die Muskeln und Haͤute des Unterleibes an. Die Urſache und Materie dieſes Schmerzens ſo wie aller Bauchkrankhei- ten uͤberhaupt ſuchen die Japaner nicht in der Hoͤhle der Daͤrme, welchen ſie wenigſtens nur die geringern Grade beimeſſen. Sie ſey, behaupten ſie, in der haͤutigen Subſtanz irgend eines Theils des Bauchs zu finden, als in den Muskeln, der Haut, die die Gedaͤrme um- giebt, (peritoneo,) dem Netz, dem Gekroͤſe und den Daͤrmen ſelbſt. Wenn dieſe Ma- terie ſich an einem der Orte etwas aufgehalten hat, ſo wird ſie in einen Durſt, oder viel- mehr, wie die Japaner ſagen, in einen ſehr ſcharfen Geiſt verwandelt, der dann jene Haͤute ausdehnt, durchſtoͤſt und zerreibt. Wenn alſo, folgern ſie nun, der Kerker dieſes Geiſtes zerbrochen, und er aus dem engen Behaͤltniſſe, in dem er verſchloſſen war, befreyet wird;
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III.
Von der bei den Japanern uͤblichen Kur der Kolik
durch die Akupunktur oder das Stechen mit der Nadel.
Die Japaner nennen die Kolik Senki. Dieſe Krankheit iſt auf den volkreichen Japa-
niſchen Jnſeln endemiſch und ſo haͤufig, daß ſich unter zehn Erwachſenen kaum einer
findet, der nicht einmal von ihr waͤre befallen worden. Die ſonſt ſo geſunde Luft
dieſes Landes, das hieſige Waſſer, die Speiſen, die Getraͤnke, und die uͤbliche Lebensart
verbinden ſich insgeſamt, dieſe Krankheit zu erzeugen. Auch die Fremden werden von ihr an-
gefallen, wenn ſie die Getraͤnke dieſes Landes genießen, wie wir ſelbſt zu unſerm Schaden
erfahren haben, da wir bei unſrer Landung, nach der Weiſe der Seefahrer, in dem kalten
Japaniſchen Bier, (das man Sacki nent,) das viele erlittene Ungemach unſrer Reiſe zu
vergeſſen ſuchten. Dies Sacki wird aus Reis gebrauet, und iſt ſo ſtark und conſiſtent,
wie ſpaniſcher Wein. Es darf nach Japaniſcher Sitte nicht kalt getrunken werden, ſondern
wird etwas erwaͤrmet, aus Schaalen geſchlurft.
Nicht jede Art von Leibſchmerzen wird in Japan mit dem Namen Senki belegt,
ſondern nur diejenige, die zugleich die Daͤrme angreift und auch in den Weichen unſers Koͤr-
pers convulſiviſche Bewegungen erregt. Auch greift dieſe Kolik die Muskeln und Haͤute des
Unterleibes an. Die Urſache und Materie dieſes Schmerzens ſo wie aller Bauchkrankhei-
ten uͤberhaupt ſuchen die Japaner nicht in der Hoͤhle der Daͤrme, welchen ſie wenigſtens nur
die geringern Grade beimeſſen. Sie ſey, behaupten ſie, in der haͤutigen Subſtanz irgend
eines Theils des Bauchs zu finden, als in den Muskeln, der Haut, die die Gedaͤrme um-
giebt, (peritoneo,) dem Netz, dem Gekroͤſe und den Daͤrmen ſelbſt. Wenn dieſe Ma-
terie ſich an einem der Orte etwas aufgehalten hat, ſo wird ſie in einen Durſt, oder viel-
mehr, wie die Japaner ſagen, in einen ſehr ſcharfen Geiſt verwandelt, der dann jene Haͤute
ausdehnt, durchſtoͤſt und zerreibt. Wenn alſo, folgern ſie nun, der Kerker dieſes Geiſtes
zerbrochen, und er aus dem engen Behaͤltniſſe, in dem er verſchloſſen war, befreyet wird;
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Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 2. Lemgo, 1779, S. 423. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan02_1779/479>, abgerufen am 24.11.2024.
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