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Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 2. Lemgo, 1779.

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oder das Stechen mit der Nadel.
dicin ist ungemein lieblich, und nicht fruchtbarer, als dasjenige, welches selbst vor den
Göttern des Landes abgebrant wird, nämlich die sanft zunehmende Flamme von der zusam-
mengerolten Pflanze mit dem königlichen Namen Artemisia. Und ihr Metall ist das kost-
barste und edelste unter allen, nämlich Gold und Silber. Die Japanischen Künstler ma-
chen aus demselben Nadeln von ganz ausnehmender Feinheit, die zum Stich in den mensch-
lichen Körper ungemein bequem sind, und werden deshalb so ausnehmend geschätzt, daß sie
die Japaner beständig im Busen in einem Kästchen (von denen sie große Liebhaber sind) neben
anderm eben so künstlichem Geräth tragen. Die beste Art, diese Mittel anzuwenden, ist eine
Sache von so großer Wichtigkeit, daß die Kentnis, welche Orte des Körpers gebrant und
gestochen werden müssen, einen ganz besondern Theil der Japanischen Chirurgie ausmacht.
Die Meister in derselben heißen Tensasj d. i. die Berührer, nämlich diejenigen, welche
die besten Orte auswählen, worin das Wesentlichste der ganzen Sache besteht. Diejenigen
aber, welche das Geschäft selbst mit der Hand ausüben, heißen Farittatte, d. i. mit der
Nadelstechende, sie mögen dies nun nach ihrer eignen Kentnis oder nach der Vorschrift ei-
nes Berührers verrichten. Zu einer volkommenen Nadel aber, die ohne Gefahr in den
menschlichen Körper gebracht werden sol, wird erfodert, daß sie ganz außerordentlich fein,
und aus einem der vorhergenanten Metalle und zwar von volkommener Reinigkeit und Dukti-
lität ohne den mindesten Zusatz von Kupfer verfertigt, auch mit ganz besondrer Geschick-
lichkeit gehärtet sey, weil die Weiche dem Gebrauch schaden kan. Daher besitzen auch nicht
alle Künstler im Japanischen Reich diese Geschiklichkeit, und die sie besitzen, dürfen doch
die Nadeln nicht ohne besondre Kaiserliche Erlaubnis verfertigen. Die Nadeln selbst sind
von doppelter Art. Die von der ersten werden ohne Unterschied aus einem der beiden edlen
Metalle verfertigt, und sind zwar nicht in Absicht der Größe, aber der Gestalt nach denen Grif-
feln ähnlich, deren sich unsre Schulknaben beim Aufsagen der Buchstaben und die Jndiane-
beim Schreiben bedienen. Sie sind etwa vier Zol lang, sehr dünn, endigen sich in eine sehr
zarte Spitze, und haben eine schneckenförmig gewundene Handhabe, damit sie bequem herr
umgedreht werden können. Zur Verwahrung der Nadel gebraucht man einen kleinen Ham-
mer, der so eingerichtet ist, daß man an jeder Seite der Handhabe eine Nadel anbringen
kan. Der Hammer ist ungemein fein aus dem Horn eines Auerochsen gemacht, etwas
länger als die Nadel selbst, hat oben einen runden zusammengedrückten Knopf, der durch
hineingelegtes Bley schwer gemacht wird. Diejenige Seite des Knopfes, die zum Schla-

gen
[Spaltenumbruch] und wo der Kranke selbst nach Ueberlegung sie wäh-
len würde, um durch einen heftigen kurzen Schmerz
dem Tode oder einem langen siechen Leben zu ent-[Spaltenumbruch]
gehn. Die Japanischen Mittel mögen sanfter seyn,
aber es kömt darauf an, welche die wirksamsten
sind?
Zweiter Band. H h h

oder das Stechen mit der Nadel.
dicin iſt ungemein lieblich, und nicht fruchtbarer, als dasjenige, welches ſelbſt vor den
Goͤttern des Landes abgebrant wird, naͤmlich die ſanft zunehmende Flamme von der zuſam-
mengerolten Pflanze mit dem koͤniglichen Namen Artemiſia. Und ihr Metall iſt das koſt-
barſte und edelſte unter allen, naͤmlich Gold und Silber. Die Japaniſchen Kuͤnſtler ma-
chen aus demſelben Nadeln von ganz ausnehmender Feinheit, die zum Stich in den menſch-
lichen Koͤrper ungemein bequem ſind, und werden deshalb ſo ausnehmend geſchaͤtzt, daß ſie
die Japaner beſtaͤndig im Buſen in einem Kaͤſtchen (von denen ſie große Liebhaber ſind) neben
anderm eben ſo kuͤnſtlichem Geraͤth tragen. Die beſte Art, dieſe Mittel anzuwenden, iſt eine
Sache von ſo großer Wichtigkeit, daß die Kentnis, welche Orte des Koͤrpers gebrant und
geſtochen werden muͤſſen, einen ganz beſondern Theil der Japaniſchen Chirurgie ausmacht.
Die Meiſter in derſelben heißen Tenſaſj d. i. die Beruͤhrer, naͤmlich diejenigen, welche
die beſten Orte auswaͤhlen, worin das Weſentlichſte der ganzen Sache beſteht. Diejenigen
aber, welche das Geſchaͤft ſelbſt mit der Hand ausuͤben, heißen Farittatte, d. i. mit der
Nadelſtechende, ſie moͤgen dies nun nach ihrer eignen Kentnis oder nach der Vorſchrift ei-
nes Beruͤhrers verrichten. Zu einer volkommenen Nadel aber, die ohne Gefahr in den
menſchlichen Koͤrper gebracht werden ſol, wird erfodert, daß ſie ganz außerordentlich fein,
und aus einem der vorhergenanten Metalle und zwar von volkommener Reinigkeit und Dukti-
litaͤt ohne den mindeſten Zuſatz von Kupfer verfertigt, auch mit ganz beſondrer Geſchick-
lichkeit gehaͤrtet ſey, weil die Weiche dem Gebrauch ſchaden kan. Daher beſitzen auch nicht
alle Kuͤnſtler im Japaniſchen Reich dieſe Geſchiklichkeit, und die ſie beſitzen, duͤrfen doch
die Nadeln nicht ohne beſondre Kaiſerliche Erlaubnis verfertigen. Die Nadeln ſelbſt ſind
von doppelter Art. Die von der erſten werden ohne Unterſchied aus einem der beiden edlen
Metalle verfertigt, und ſind zwar nicht in Abſicht der Groͤße, aber der Geſtalt nach denen Grif-
feln aͤhnlich, deren ſich unſre Schulknaben beim Aufſagen der Buchſtaben und die Jndiane-
beim Schreiben bedienen. Sie ſind etwa vier Zol lang, ſehr duͤnn, endigen ſich in eine ſehr
zarte Spitze, und haben eine ſchneckenfoͤrmig gewundene Handhabe, damit ſie bequem herr
umgedreht werden koͤnnen. Zur Verwahrung der Nadel gebraucht man einen kleinen Ham-
mer, der ſo eingerichtet iſt, daß man an jeder Seite der Handhabe eine Nadel anbringen
kan. Der Hammer iſt ungemein fein aus dem Horn eines Auerochſen gemacht, etwas
laͤnger als die Nadel ſelbſt, hat oben einen runden zuſammengedruͤckten Knopf, der durch
hineingelegtes Bley ſchwer gemacht wird. Diejenige Seite des Knopfes, die zum Schla-

gen
[Spaltenumbruch] und wo der Kranke ſelbſt nach Ueberlegung ſie waͤh-
len wuͤrde, um durch einen heftigen kurzen Schmerz
dem Tode oder einem langen ſiechen Leben zu ent-[Spaltenumbruch]
gehn. Die Japaniſchen Mittel moͤgen ſanfter ſeyn,
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Zweiter Band. H h h
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[425/0481] oder das Stechen mit der Nadel. dicin iſt ungemein lieblich, und nicht fruchtbarer, als dasjenige, welches ſelbſt vor den Goͤttern des Landes abgebrant wird, naͤmlich die ſanft zunehmende Flamme von der zuſam- mengerolten Pflanze mit dem koͤniglichen Namen Artemiſia. Und ihr Metall iſt das koſt- barſte und edelſte unter allen, naͤmlich Gold und Silber. Die Japaniſchen Kuͤnſtler ma- chen aus demſelben Nadeln von ganz ausnehmender Feinheit, die zum Stich in den menſch- lichen Koͤrper ungemein bequem ſind, und werden deshalb ſo ausnehmend geſchaͤtzt, daß ſie die Japaner beſtaͤndig im Buſen in einem Kaͤſtchen (von denen ſie große Liebhaber ſind) neben anderm eben ſo kuͤnſtlichem Geraͤth tragen. Die beſte Art, dieſe Mittel anzuwenden, iſt eine Sache von ſo großer Wichtigkeit, daß die Kentnis, welche Orte des Koͤrpers gebrant und geſtochen werden muͤſſen, einen ganz beſondern Theil der Japaniſchen Chirurgie ausmacht. Die Meiſter in derſelben heißen Tenſaſj d. i. die Beruͤhrer, naͤmlich diejenigen, welche die beſten Orte auswaͤhlen, worin das Weſentlichſte der ganzen Sache beſteht. Diejenigen aber, welche das Geſchaͤft ſelbſt mit der Hand ausuͤben, heißen Farittatte, d. i. mit der Nadelſtechende, ſie moͤgen dies nun nach ihrer eignen Kentnis oder nach der Vorſchrift ei- nes Beruͤhrers verrichten. Zu einer volkommenen Nadel aber, die ohne Gefahr in den menſchlichen Koͤrper gebracht werden ſol, wird erfodert, daß ſie ganz außerordentlich fein, und aus einem der vorhergenanten Metalle und zwar von volkommener Reinigkeit und Dukti- litaͤt ohne den mindeſten Zuſatz von Kupfer verfertigt, auch mit ganz beſondrer Geſchick- lichkeit gehaͤrtet ſey, weil die Weiche dem Gebrauch ſchaden kan. Daher beſitzen auch nicht alle Kuͤnſtler im Japaniſchen Reich dieſe Geſchiklichkeit, und die ſie beſitzen, duͤrfen doch die Nadeln nicht ohne beſondre Kaiſerliche Erlaubnis verfertigen. Die Nadeln ſelbſt ſind von doppelter Art. Die von der erſten werden ohne Unterſchied aus einem der beiden edlen Metalle verfertigt, und ſind zwar nicht in Abſicht der Groͤße, aber der Geſtalt nach denen Grif- feln aͤhnlich, deren ſich unſre Schulknaben beim Aufſagen der Buchſtaben und die Jndiane- beim Schreiben bedienen. Sie ſind etwa vier Zol lang, ſehr duͤnn, endigen ſich in eine ſehr zarte Spitze, und haben eine ſchneckenfoͤrmig gewundene Handhabe, damit ſie bequem herr umgedreht werden koͤnnen. Zur Verwahrung der Nadel gebraucht man einen kleinen Ham- mer, der ſo eingerichtet iſt, daß man an jeder Seite der Handhabe eine Nadel anbringen kan. Der Hammer iſt ungemein fein aus dem Horn eines Auerochſen gemacht, etwas laͤnger als die Nadel ſelbſt, hat oben einen runden zuſammengedruͤckten Knopf, der durch hineingelegtes Bley ſchwer gemacht wird. Diejenige Seite des Knopfes, die zum Schla- gen **) **) und wo der Kranke ſelbſt nach Ueberlegung ſie waͤh- len wuͤrde, um durch einen heftigen kurzen Schmerz dem Tode oder einem langen ſiechen Leben zu ent- gehn. Die Japaniſchen Mittel moͤgen ſanfter ſeyn, aber es koͤmt darauf an, welche die wirkſamſten ſind? Zweiter Band. H h h

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Zitationshilfe: Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 2. Lemgo, 1779, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan02_1779/481>, abgerufen am 24.11.2024.