Kafka, Franz: Der Prozess (Hg. Max Brod). Berlin, 1925.sich aber für Sie opfern können?" "Nein," sagte K., "sie ist weder sanft und freundlich, noch würde sie sich für mich opfern können. Auch habe ich bisher weder das eine noch das andere von ihr verlangt. Ja, ich habe noch nicht einmal das Bild so genau angesehn wie Sie." "Es liegt Ihnen also gar nicht viel an ihr," sagte Leni, "sie ist also gar nicht Ihre Geliebte." "Doch," sagte K. "Ich nehme mein Wort nicht zurück." "Mag sie also jetzt Ihre Geliebte sein," sagte Leni, "Sie würden sie aber nicht sehr vermissen, wenn Sie sie verlieren oder für jemand andern, z. B. für mich, eintauschen würden." "Gewiß," sagte K. lächelnd, "das wäre denkbar, aber sie hat einen großen Vorteil Ihnen gegenüber, sie weiß nichts von meinem Prozeß, und selbst wenn sie etwas davon wüßte, würde sie nicht daran denken. Sie würde mich nicht zur Nachgiebigkeit zu überreden suchen." "Das ist kein Vorteil," sagte Leni. "Wenn sie keine sonstigen Vorteile hat, verliere ich nicht den Mut. Hat sie irgendeinen körperlichen Fehler?" "Einen körperlichen Fehler?" fragte K. "Ja," sagte Leni, "ich habe nämlich einen solchen kleinen Fehler, sehen Sie." Sie spannte den Mittel- und Ringfinger sich aber für Sie opfern können?“ „Nein,“ sagte K., „sie ist weder sanft und freundlich, noch würde sie sich für mich opfern können. Auch habe ich bisher weder das eine noch das andere von ihr verlangt. Ja, ich habe noch nicht einmal das Bild so genau angesehn wie Sie.“ „Es liegt Ihnen also gar nicht viel an ihr,“ sagte Leni, „sie ist also gar nicht Ihre Geliebte.“ „Doch,“ sagte K. „Ich nehme mein Wort nicht zurück.“ „Mag sie also jetzt Ihre Geliebte sein,“ sagte Leni, „Sie würden sie aber nicht sehr vermissen, wenn Sie sie verlieren oder für jemand andern, z. B. für mich, eintauschen würden.“ „Gewiß,“ sagte K. lächelnd, „das wäre denkbar, aber sie hat einen großen Vorteil Ihnen gegenüber, sie weiß nichts von meinem Prozeß, und selbst wenn sie etwas davon wüßte, würde sie nicht daran denken. Sie würde mich nicht zur Nachgiebigkeit zu überreden suchen.“ „Das ist kein Vorteil,“ sagte Leni. „Wenn sie keine sonstigen Vorteile hat, verliere ich nicht den Mut. Hat sie irgendeinen körperlichen Fehler?“ „Einen körperlichen Fehler?“ fragte K. „Ja,“ sagte Leni, „ich habe nämlich einen solchen kleinen Fehler, sehen Sie.“ Sie spannte den Mittel- und Ringfinger <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0192" n="190"/> sich aber für Sie opfern können?“ „Nein,“ sagte K., „sie ist weder sanft und freundlich, noch würde sie sich für mich opfern können. Auch habe ich bisher weder das eine noch das andere von ihr verlangt. Ja, ich habe noch nicht einmal das Bild so genau angesehn wie Sie.“ „Es liegt Ihnen also gar nicht viel an ihr,“ sagte Leni, „sie ist also gar nicht Ihre Geliebte.“ „Doch,“ sagte K. „Ich nehme mein Wort nicht zurück.“ „Mag sie also jetzt Ihre Geliebte sein,“ sagte Leni, „Sie würden sie aber nicht sehr vermissen, wenn Sie sie verlieren oder für jemand andern, z. B. für mich, eintauschen würden.“ „Gewiß,“ sagte K. lächelnd, „das wäre denkbar, aber sie hat einen großen Vorteil Ihnen gegenüber, sie weiß nichts von meinem Prozeß, und selbst wenn sie etwas davon wüßte, würde sie nicht daran denken. Sie würde mich nicht zur Nachgiebigkeit zu überreden suchen.“ „Das ist kein Vorteil,“ sagte Leni. „Wenn sie keine sonstigen Vorteile hat, verliere ich nicht den Mut. Hat sie irgendeinen körperlichen Fehler?“ „Einen körperlichen Fehler?“ fragte K. „Ja,“ sagte Leni, „ich habe nämlich einen solchen kleinen Fehler, sehen Sie.“ Sie spannte den Mittel- und Ringfinger </p> </div> </body> </text> </TEI> [190/0192]
sich aber für Sie opfern können?“ „Nein,“ sagte K., „sie ist weder sanft und freundlich, noch würde sie sich für mich opfern können. Auch habe ich bisher weder das eine noch das andere von ihr verlangt. Ja, ich habe noch nicht einmal das Bild so genau angesehn wie Sie.“ „Es liegt Ihnen also gar nicht viel an ihr,“ sagte Leni, „sie ist also gar nicht Ihre Geliebte.“ „Doch,“ sagte K. „Ich nehme mein Wort nicht zurück.“ „Mag sie also jetzt Ihre Geliebte sein,“ sagte Leni, „Sie würden sie aber nicht sehr vermissen, wenn Sie sie verlieren oder für jemand andern, z. B. für mich, eintauschen würden.“ „Gewiß,“ sagte K. lächelnd, „das wäre denkbar, aber sie hat einen großen Vorteil Ihnen gegenüber, sie weiß nichts von meinem Prozeß, und selbst wenn sie etwas davon wüßte, würde sie nicht daran denken. Sie würde mich nicht zur Nachgiebigkeit zu überreden suchen.“ „Das ist kein Vorteil,“ sagte Leni. „Wenn sie keine sonstigen Vorteile hat, verliere ich nicht den Mut. Hat sie irgendeinen körperlichen Fehler?“ „Einen körperlichen Fehler?“ fragte K. „Ja,“ sagte Leni, „ich habe nämlich einen solchen kleinen Fehler, sehen Sie.“ Sie spannte den Mittel- und Ringfinger
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