Kant, Immanuel: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? In: Berlinische Monatsschrift, 1784, H. 12, S. 481-494.(naturaliter majorennes), dennoch gerne Zeitlebens Es ist also für jeden einzelnen Menschen schwer, mün¬
(naturaliter majorennes), dennoch gerne Zeitlebens Es iſt alſo für jeden einzelnen Menſchen ſchwer, mün¬
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0018" n="482"/><hi rendition="#aq">(naturaliter majorennes)</hi>, dennoch gerne Zeitlebens<lb/> unmündig bleiben; und warum es Anderen ſo leicht<lb/> wird, ſich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es<lb/> iſt ſo bequem, unmündig zu ſein. Habe ich ein<lb/> Buch, das für mich Verſtand hat, einen Seelſor¬<lb/> ger, der für mich Gewiſſen hat, einen Arzt der für<lb/> mich die Diät beurtheilt, u. ſ. w. ſo brauche ich mich<lb/> ja nicht ſelbſt zu bemühen. Ich habe nicht nöthig<lb/> zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere<lb/> werden das verdrießliche Geſchäft ſchon für mich<lb/> übernehmen. Daß der bei weitem größte Theil der<lb/> Menſchen (darunter das ganze ſchöne Geſchlecht)<lb/> den Schritt zur Mündigkeit, außer dem daß er be¬<lb/> ſchwerlich iſt, auch für ſehr gefährlich halte: dafür<lb/> ſorgen ſchon jene Vormünder, die die Oberaufſicht<lb/> über ſie gütigſt auf ſich genommen haben. Nach¬<lb/> dem ſie ihr Hausvieh zuerſt dumm gemacht haben,<lb/> und ſorgfältig verhüteten, daß dieſe ruhigen Ge¬<lb/> ſchöpfe ja keinen Schritt außer dem Gängelwagen,<lb/> darin ſie ſie einſperreten, wagen durften; ſo zeigen<lb/> ſie ihnen nachher die Gefahr, die ihnen drohet,<lb/> wenn ſie es verſuchen allein zu gehen. Nun iſt die¬<lb/> ſe Gefahr zwar eben ſo groß nicht, denn ſie würden<lb/> durch einigemahl Fallen wohl endlich gehen lernen;<lb/> allein ein Beiſpiel von der Art macht doch ſchüch¬<lb/> tern, und ſchrekt gemeiniglich von allen ferneren<lb/> Verſuchen ab.</p><lb/> <p>Es iſt alſo für jeden einzelnen Menſchen ſchwer,<lb/> ſich aus der ihm beinahe zur Natur, gewordenen Un¬<lb/> <fw place="bottom" type="catch">mün¬<lb/></fw> </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [482/0018]
(naturaliter majorennes), dennoch gerne Zeitlebens
unmündig bleiben; und warum es Anderen ſo leicht
wird, ſich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es
iſt ſo bequem, unmündig zu ſein. Habe ich ein
Buch, das für mich Verſtand hat, einen Seelſor¬
ger, der für mich Gewiſſen hat, einen Arzt der für
mich die Diät beurtheilt, u. ſ. w. ſo brauche ich mich
ja nicht ſelbſt zu bemühen. Ich habe nicht nöthig
zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere
werden das verdrießliche Geſchäft ſchon für mich
übernehmen. Daß der bei weitem größte Theil der
Menſchen (darunter das ganze ſchöne Geſchlecht)
den Schritt zur Mündigkeit, außer dem daß er be¬
ſchwerlich iſt, auch für ſehr gefährlich halte: dafür
ſorgen ſchon jene Vormünder, die die Oberaufſicht
über ſie gütigſt auf ſich genommen haben. Nach¬
dem ſie ihr Hausvieh zuerſt dumm gemacht haben,
und ſorgfältig verhüteten, daß dieſe ruhigen Ge¬
ſchöpfe ja keinen Schritt außer dem Gängelwagen,
darin ſie ſie einſperreten, wagen durften; ſo zeigen
ſie ihnen nachher die Gefahr, die ihnen drohet,
wenn ſie es verſuchen allein zu gehen. Nun iſt die¬
ſe Gefahr zwar eben ſo groß nicht, denn ſie würden
durch einigemahl Fallen wohl endlich gehen lernen;
allein ein Beiſpiel von der Art macht doch ſchüch¬
tern, und ſchrekt gemeiniglich von allen ferneren
Verſuchen ab.
Es iſt alſo für jeden einzelnen Menſchen ſchwer,
ſich aus der ihm beinahe zur Natur, gewordenen Un¬
mün¬
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