Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels. Königsberg u. a., 1755.

Bild:
<< vorherige Seite

Allgemeine Naturgeschichte
lauf der Säfte nur dicke Säfte in dem Körper ko-
chet, wenn die Beugsamkeit der Fasern, und die
Behendigkeit in allen Bewegungen abnimmt, so
erstarren die Kräfte des Geistes in einer gleichen
Ermattung. Die Hurtigkeit der Gedanken, die
Klarheit der Vorstellung, die Lebhaftigkeit des
Witzes und das Erinnerungsvermögen werden
kraftlos und erkalten. Die durch lange Erfah-
rung eingepfropften Begriffe ersetzen noch einigermas-
sen den Abgang dieser Kräfte und der Verstand
würde sein Unvermögen noch deutlicher verrathen,
wenn die Heftigkeit der Leidenschaften, die dessen Zü-
gel nöthig haben, nicht zugleich, und noch eher als
er, ebnehmen möchten.

Es erhellet demnach hieraus deutlich, daß die
Kräfte der menschlichen Seele von den Hindernis-
sen einer groben Materie, an die sie innigst verbun-
den werden, eingeschränket und gehemmet werden;
aber es ist etwas noch merkwürdigers, daß diese
specifische Beschaffenheit des Stoffes eine wesentli-
che Beziehung zu dem Grade des Hinflusses hat,
womit die Sonne nach dem Masse ihres Abstan-
des sie belebet, und zu den Verrichtungen der ani-
malischen Oeconomie tüchtig macht. Diese noth-
wendige Beziehung zu dem Feuer, welches sich aus
dem Mittelpunkte des Weltsystems verbreitet, um
die Materie in der nöthigen Regung zu erhalten, |ist
der Grund einer Analogie, die eben hieraus, zwischen
den verschiedenen Bewohnern der Planeten, vest
gesetzet wird: und eine jede Classe derselben ist ver-
möge dieser Verhältniß an den Ort durch die Noth-

wen-

Allgemeine Naturgeſchichte
lauf der Saͤfte nur dicke Saͤfte in dem Koͤrper ko-
chet, wenn die Beugſamkeit der Faſern, und die
Behendigkeit in allen Bewegungen abnimmt, ſo
erſtarren die Kraͤfte des Geiſtes in einer gleichen
Ermattung. Die Hurtigkeit der Gedanken, die
Klarheit der Vorſtellung, die Lebhaftigkeit des
Witzes und das Erinnerungsvermoͤgen werden
kraftlos und erkalten. Die durch lange Erfah-
rung eingepfropften Begriffe erſetzen noch einigermaſ-
ſen den Abgang dieſer Kraͤfte und der Verſtand
wuͤrde ſein Unvermoͤgen noch deutlicher verrathen,
wenn die Heftigkeit der Leidenſchaften, die deſſen Zuͤ-
gel noͤthig haben, nicht zugleich, und noch eher als
er, ebnehmen moͤchten.

Es erhellet demnach hieraus deutlich, daß die
Kraͤfte der menſchlichen Seele von den Hinderniſ-
ſen einer groben Materie, an die ſie innigſt verbun-
den werden, eingeſchraͤnket und gehemmet werden;
aber es iſt etwas noch merkwuͤrdigers, daß dieſe
ſpecifiſche Beſchaffenheit des Stoffes eine weſentli-
che Beziehung zu dem Grade des Hinfluſſes hat,
womit die Sonne nach dem Maſſe ihres Abſtan-
des ſie belebet, und zu den Verrichtungen der ani-
maliſchen Oeconomie tuͤchtig macht. Dieſe noth-
wendige Beziehung zu dem Feuer, welches ſich aus
dem Mittelpunkte des Weltſyſtems verbreitet, um
die Materie in der noͤthigen Regung zu erhalten, |iſt
der Grund einer Analogie, die eben hieraus, zwiſchen
den verſchiedenen Bewohnern der Planeten, veſt
geſetzet wird: und eine jede Claſſe derſelben iſt ver-
moͤge dieſer Verhaͤltniß an den Ort durch die Noth-

wen-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0252" n="184"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Allgemeine Naturge&#x017F;chichte</hi></fw><lb/>
lauf der Sa&#x0364;fte nur dicke Sa&#x0364;fte in dem Ko&#x0364;rper ko-<lb/>
chet, wenn die Beug&#x017F;amkeit der Fa&#x017F;ern, und die<lb/>
Behendigkeit in allen Bewegungen abnimmt, &#x017F;o<lb/>
er&#x017F;tarren die Kra&#x0364;fte des Gei&#x017F;tes in einer gleichen<lb/>
Ermattung. Die Hurtigkeit der Gedanken, die<lb/>
Klarheit der Vor&#x017F;tellung, die Lebhaftigkeit des<lb/>
Witzes und das Erinnerungsvermo&#x0364;gen werden<lb/>
kraftlos und erkalten. Die durch lange Erfah-<lb/>
rung eingepfropften Begriffe er&#x017F;etzen noch einigerma&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en den Abgang die&#x017F;er Kra&#x0364;fte und der Ver&#x017F;tand<lb/>
wu&#x0364;rde &#x017F;ein Unvermo&#x0364;gen noch deutlicher verrathen,<lb/>
wenn die Heftigkeit der Leiden&#x017F;chaften, die de&#x017F;&#x017F;en Zu&#x0364;-<lb/>
gel no&#x0364;thig haben, nicht zugleich, und noch eher als<lb/>
er, ebnehmen mo&#x0364;chten.</p><lb/>
          <p>Es erhellet demnach hieraus deutlich, daß die<lb/>
Kra&#x0364;fte der men&#x017F;chlichen Seele von den Hinderni&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en einer groben Materie, an die &#x017F;ie innig&#x017F;t verbun-<lb/>
den werden, einge&#x017F;chra&#x0364;nket und gehemmet werden;<lb/>
aber es i&#x017F;t etwas noch merkwu&#x0364;rdigers, daß die&#x017F;e<lb/>
&#x017F;pecifi&#x017F;che Be&#x017F;chaffenheit des Stoffes eine we&#x017F;entli-<lb/>
che Beziehung zu dem Grade des Hinflu&#x017F;&#x017F;es hat,<lb/>
womit die Sonne nach dem Ma&#x017F;&#x017F;e ihres Ab&#x017F;tan-<lb/>
des &#x017F;ie belebet, und zu den Verrichtungen der ani-<lb/>
mali&#x017F;chen Oeconomie tu&#x0364;chtig macht. Die&#x017F;e noth-<lb/>
wendige Beziehung zu dem Feuer, welches &#x017F;ich aus<lb/>
dem Mittelpunkte des Welt&#x017F;y&#x017F;tems verbreitet, um<lb/>
die Materie in der no&#x0364;thigen Regung zu erhalten, |i&#x017F;t<lb/>
der Grund einer Analogie, die eben hieraus, zwi&#x017F;chen<lb/>
den ver&#x017F;chiedenen Bewohnern der Planeten, ve&#x017F;t<lb/>
ge&#x017F;etzet wird: und eine jede Cla&#x017F;&#x017F;e der&#x017F;elben i&#x017F;t ver-<lb/>
mo&#x0364;ge die&#x017F;er Verha&#x0364;ltniß an den Ort durch die Noth-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">wen-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[184/0252] Allgemeine Naturgeſchichte lauf der Saͤfte nur dicke Saͤfte in dem Koͤrper ko- chet, wenn die Beugſamkeit der Faſern, und die Behendigkeit in allen Bewegungen abnimmt, ſo erſtarren die Kraͤfte des Geiſtes in einer gleichen Ermattung. Die Hurtigkeit der Gedanken, die Klarheit der Vorſtellung, die Lebhaftigkeit des Witzes und das Erinnerungsvermoͤgen werden kraftlos und erkalten. Die durch lange Erfah- rung eingepfropften Begriffe erſetzen noch einigermaſ- ſen den Abgang dieſer Kraͤfte und der Verſtand wuͤrde ſein Unvermoͤgen noch deutlicher verrathen, wenn die Heftigkeit der Leidenſchaften, die deſſen Zuͤ- gel noͤthig haben, nicht zugleich, und noch eher als er, ebnehmen moͤchten. Es erhellet demnach hieraus deutlich, daß die Kraͤfte der menſchlichen Seele von den Hinderniſ- ſen einer groben Materie, an die ſie innigſt verbun- den werden, eingeſchraͤnket und gehemmet werden; aber es iſt etwas noch merkwuͤrdigers, daß dieſe ſpecifiſche Beſchaffenheit des Stoffes eine weſentli- che Beziehung zu dem Grade des Hinfluſſes hat, womit die Sonne nach dem Maſſe ihres Abſtan- des ſie belebet, und zu den Verrichtungen der ani- maliſchen Oeconomie tuͤchtig macht. Dieſe noth- wendige Beziehung zu dem Feuer, welches ſich aus dem Mittelpunkte des Weltſyſtems verbreitet, um die Materie in der noͤthigen Regung zu erhalten, |iſt der Grund einer Analogie, die eben hieraus, zwiſchen den verſchiedenen Bewohnern der Planeten, veſt geſetzet wird: und eine jede Claſſe derſelben iſt ver- moͤge dieſer Verhaͤltniß an den Ort durch die Noth- wen-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_naturgeschichte_1755
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_naturgeschichte_1755/252
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels. Königsberg u. a., 1755, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_naturgeschichte_1755/252>, abgerufen am 17.05.2024.