Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels. Königsberg u. a., 1755.

Bild:
<< vorherige Seite

Allgemeine Naturgeschichte
und daß daher eben derselbe Abstand, der vor ei-
ne Art grober Materie ein gemäßigtes Clima kan
genannt werden, subtilere Flüßigkeiten zerstreuen,
und vor sie von schädlicher Heftigkeit seyn würde;
mithin nur ein feinerer und aus beweglichern Ele-
menten bestehender Stoff dazu gehöret, um die Ent-
fernungen des Jupiters oder Saturns von der Son-
ne beyden zu einer glücklichen Stellung zu machen.

Endlich scheinet noch die Treflichkeit der Natu-
ren in diesen oberen Himmelsgegenden, durch einen
physischen Zusammenhang mit einer Dauerhaftig-
keit, deren sie würdig ist, verbunden zu seyn. Das
Verderben und der Tod können diesen treflichen Ge-
schöpfen nicht so viel, als uns niedrigen Naturen
anhaben. Eben dieselbe Trägheit der Materie
und Grobheit des Stoffes, die bey den unteren Stuf-
fen das specifische Principium ihrer Erniedrigung
ist, ist auch die Ursache desjenigen Hanges, den sie
zum Verderben haben. Wenn die Säfte, die das
Thier oder den Menschen nähren und wachsen ma-
chen, indem sie sich zwischen seine Fäserchen einver-
leiben und an seine Masse ansetzen, nicht mehr zu-
gleich dessen Gefässe und Canäle in der Raumes-
ausdehnung vergrössern können, wenn das Wachs-
thum schon vollendet ist; so müssen diese sich anse-
tzende Nahrungssäfte durch eben den mechanischen
Trieb, der das Thier zu nähren angewandt wird,
die Höle seiner Gefässe verengen und verstopfen,
und den Bau der ganzen Maschine, in einer nach
und nach zunehmenden Erstarrung, zu Grunde rich-
ten. Es ist zu glauben, daß, obgleich die Vergänglich-
keit auch an den vollkommensten Naturen naget,

den-

Allgemeine Naturgeſchichte
und daß daher eben derſelbe Abſtand, der vor ei-
ne Art grober Materie ein gemaͤßigtes Clima kan
genannt werden, ſubtilere Fluͤßigkeiten zerſtreuen,
und vor ſie von ſchaͤdlicher Heftigkeit ſeyn wuͤrde;
mithin nur ein feinerer und aus beweglichern Ele-
menten beſtehender Stoff dazu gehoͤret, um die Ent-
fernungen des Jupiters oder Saturns von der Son-
ne beyden zu einer gluͤcklichen Stellung zu machen.

Endlich ſcheinet noch die Treflichkeit der Natu-
ren in dieſen oberen Himmelsgegenden, durch einen
phyſiſchen Zuſammenhang mit einer Dauerhaftig-
keit, deren ſie wuͤrdig iſt, verbunden zu ſeyn. Das
Verderben und der Tod koͤnnen dieſen treflichen Ge-
ſchoͤpfen nicht ſo viel, als uns niedrigen Naturen
anhaben. Eben dieſelbe Traͤgheit der Materie
und Grobheit des Stoffes, die bey den unteren Stuf-
fen das ſpecifiſche Principium ihrer Erniedrigung
iſt, iſt auch die Urſache desjenigen Hanges, den ſie
zum Verderben haben. Wenn die Saͤfte, die das
Thier oder den Menſchen naͤhren und wachſen ma-
chen, indem ſie ſich zwiſchen ſeine Faͤſerchen einver-
leiben und an ſeine Maſſe anſetzen, nicht mehr zu-
gleich deſſen Gefaͤſſe und Canaͤle in der Raumes-
ausdehnung vergroͤſſern koͤnnen, wenn das Wachs-
thum ſchon vollendet iſt; ſo muͤſſen dieſe ſich anſe-
tzende Nahrungsſaͤfte durch eben den mechaniſchen
Trieb, der das Thier zu naͤhren angewandt wird,
die Hoͤle ſeiner Gefaͤſſe verengen und verſtopfen,
und den Bau der ganzen Maſchine, in einer nach
und nach zunehmenden Erſtarrung, zu Grunde rich-
ten. Es iſt zu glauben, daß, obgleich die Vergaͤnglich-
keit auch an den vollkommenſten Naturen naget,

den-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0260" n="192"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Allgemeine Naturge&#x017F;chichte</hi></fw><lb/>
und daß daher eben der&#x017F;elbe Ab&#x017F;tand, der vor ei-<lb/>
ne Art grober Materie ein gema&#x0364;ßigtes Clima kan<lb/>
genannt werden, &#x017F;ubtilere Flu&#x0364;ßigkeiten zer&#x017F;treuen,<lb/>
und vor &#x017F;ie von &#x017F;cha&#x0364;dlicher Heftigkeit &#x017F;eyn wu&#x0364;rde;<lb/>
mithin nur ein feinerer und aus beweglichern Ele-<lb/>
menten be&#x017F;tehender Stoff dazu geho&#x0364;ret, um die Ent-<lb/>
fernungen des Jupiters oder Saturns von der Son-<lb/>
ne beyden zu einer glu&#x0364;cklichen Stellung zu machen.</p><lb/>
          <p>Endlich &#x017F;cheinet noch die Treflichkeit der Natu-<lb/>
ren in die&#x017F;en oberen Himmelsgegenden, durch einen<lb/>
phy&#x017F;i&#x017F;chen Zu&#x017F;ammenhang mit einer Dauerhaftig-<lb/>
keit, deren &#x017F;ie wu&#x0364;rdig i&#x017F;t, verbunden zu &#x017F;eyn. Das<lb/>
Verderben und der Tod ko&#x0364;nnen die&#x017F;en treflichen Ge-<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;pfen nicht &#x017F;o viel, als uns niedrigen Naturen<lb/>
anhaben. Eben die&#x017F;elbe Tra&#x0364;gheit der Materie<lb/>
und Grobheit des Stoffes, die bey den unteren Stuf-<lb/>
fen das &#x017F;pecifi&#x017F;che Principium ihrer Erniedrigung<lb/>
i&#x017F;t, i&#x017F;t auch die Ur&#x017F;ache desjenigen Hanges, den &#x017F;ie<lb/>
zum Verderben haben. Wenn die Sa&#x0364;fte, die das<lb/>
Thier oder den Men&#x017F;chen na&#x0364;hren und wach&#x017F;en ma-<lb/>
chen, indem &#x017F;ie &#x017F;ich zwi&#x017F;chen &#x017F;eine Fa&#x0364;&#x017F;erchen einver-<lb/>
leiben und an &#x017F;eine Ma&#x017F;&#x017F;e an&#x017F;etzen, nicht mehr zu-<lb/>
gleich de&#x017F;&#x017F;en Gefa&#x0364;&#x017F;&#x017F;e und Cana&#x0364;le in der Raumes-<lb/>
ausdehnung vergro&#x0364;&#x017F;&#x017F;ern ko&#x0364;nnen, wenn das Wachs-<lb/>
thum &#x017F;chon vollendet i&#x017F;t; &#x017F;o mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en die&#x017F;e &#x017F;ich an&#x017F;e-<lb/>
tzende Nahrungs&#x017F;a&#x0364;fte durch eben den mechani&#x017F;chen<lb/>
Trieb, der das Thier zu na&#x0364;hren angewandt wird,<lb/>
die Ho&#x0364;le &#x017F;einer Gefa&#x0364;&#x017F;&#x017F;e verengen und ver&#x017F;topfen,<lb/>
und den Bau der ganzen Ma&#x017F;chine, in einer nach<lb/>
und nach zunehmenden Er&#x017F;tarrung, zu Grunde rich-<lb/>
ten. Es i&#x017F;t zu glauben, daß, obgleich die Verga&#x0364;nglich-<lb/>
keit auch an den vollkommen&#x017F;ten Naturen naget,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">den-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[192/0260] Allgemeine Naturgeſchichte und daß daher eben derſelbe Abſtand, der vor ei- ne Art grober Materie ein gemaͤßigtes Clima kan genannt werden, ſubtilere Fluͤßigkeiten zerſtreuen, und vor ſie von ſchaͤdlicher Heftigkeit ſeyn wuͤrde; mithin nur ein feinerer und aus beweglichern Ele- menten beſtehender Stoff dazu gehoͤret, um die Ent- fernungen des Jupiters oder Saturns von der Son- ne beyden zu einer gluͤcklichen Stellung zu machen. Endlich ſcheinet noch die Treflichkeit der Natu- ren in dieſen oberen Himmelsgegenden, durch einen phyſiſchen Zuſammenhang mit einer Dauerhaftig- keit, deren ſie wuͤrdig iſt, verbunden zu ſeyn. Das Verderben und der Tod koͤnnen dieſen treflichen Ge- ſchoͤpfen nicht ſo viel, als uns niedrigen Naturen anhaben. Eben dieſelbe Traͤgheit der Materie und Grobheit des Stoffes, die bey den unteren Stuf- fen das ſpecifiſche Principium ihrer Erniedrigung iſt, iſt auch die Urſache desjenigen Hanges, den ſie zum Verderben haben. Wenn die Saͤfte, die das Thier oder den Menſchen naͤhren und wachſen ma- chen, indem ſie ſich zwiſchen ſeine Faͤſerchen einver- leiben und an ſeine Maſſe anſetzen, nicht mehr zu- gleich deſſen Gefaͤſſe und Canaͤle in der Raumes- ausdehnung vergroͤſſern koͤnnen, wenn das Wachs- thum ſchon vollendet iſt; ſo muͤſſen dieſe ſich anſe- tzende Nahrungsſaͤfte durch eben den mechaniſchen Trieb, der das Thier zu naͤhren angewandt wird, die Hoͤle ſeiner Gefaͤſſe verengen und verſtopfen, und den Bau der ganzen Maſchine, in einer nach und nach zunehmenden Erſtarrung, zu Grunde rich- ten. Es iſt zu glauben, daß, obgleich die Vergaͤnglich- keit auch an den vollkommenſten Naturen naget, den-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_naturgeschichte_1755
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_naturgeschichte_1755/260
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels. Königsberg u. a., 1755, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_naturgeschichte_1755/260>, abgerufen am 24.11.2024.