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Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788.

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I. Th. I. B. III. Hauptst. Von den Triebfedern
ges Betragen, dessen er sich erinnert, sich als unvor-
setzliches Versehen, als bloße Unbehutsamkeit, die man
niemals gänzlich vermeiden kann, folglich als etwas,
worin er vom Strom der Naturnothwendigkeit fort-
gerissen wäre, vorzumalen und sich darüber für schuld-
frey zu erklären, so findet er doch, daß der Advocat,
der zu seinem Vortheil spricht, den Ankläger in ihm
keinesweges zum Verstummen bringen könne, wenn er
sich bewußt ist, daß er zu der Zeit, als er das Un-
recht verübte, nur bey Sinnen, d. i. im Gebrauche sei-
ner Freyheit war, und gleichwol erklärt er sich sein
Vergehen, aus gewisser übeln, durch allmälige Ver-
nachlässigung der Achtsamkeit auf sich selbst zugezogener
Gewohnheit, bis auf den Grad, daß er es als eine
natürliche Folge derselben ansehen kann, ohne daß die-
ses ihn gleichwol wider den Selbsttadel und den Ver-
weis sichern kann, den er sich selbst macht. Darauf
gründet sich denn auch die Reue über eine längst began-
gene That bey jeder Erinnerung derselben; eine schmerz-
hafte, durch moralische Gesinnung gewirkte Empfin-
dung, die so fern practisch leer ist, als sie nicht dazu
dienen kann, das Geschehene ungeschehen zu machen,
und sogar ungereimt seyn würde, (wie Priestley, als
ein ächter, consequent verfahrender Fatalist, sie auch
dafür erklärt, und in Ansehung welcher Offenherzig-
keit er mehr Beyfall verdient, als diejenige, welche,
indem sie den Mechanism des Willens in der That, die

Frey-

I. Th. I. B. III. Hauptſt. Von den Triebfedern
ges Betragen, deſſen er ſich erinnert, ſich als unvor-
ſetzliches Verſehen, als bloße Unbehutſamkeit, die man
niemals gaͤnzlich vermeiden kann, folglich als etwas,
worin er vom Strom der Naturnothwendigkeit fort-
geriſſen waͤre, vorzumalen und ſich daruͤber fuͤr ſchuld-
frey zu erklaͤren, ſo findet er doch, daß der Advocat,
der zu ſeinem Vortheil ſpricht, den Anklaͤger in ihm
keinesweges zum Verſtummen bringen koͤnne, wenn er
ſich bewußt iſt, daß er zu der Zeit, als er das Un-
recht veruͤbte, nur bey Sinnen, d. i. im Gebrauche ſei-
ner Freyheit war, und gleichwol erklaͤrt er ſich ſein
Vergehen, aus gewiſſer uͤbeln, durch allmaͤlige Ver-
nachlaͤſſigung der Achtſamkeit auf ſich ſelbſt zugezogener
Gewohnheit, bis auf den Grad, daß er es als eine
natuͤrliche Folge derſelben anſehen kann, ohne daß die-
ſes ihn gleichwol wider den Selbſttadel und den Ver-
weis ſichern kann, den er ſich ſelbſt macht. Darauf
gruͤndet ſich denn auch die Reue uͤber eine laͤngſt began-
gene That bey jeder Erinnerung derſelben; eine ſchmerz-
hafte, durch moraliſche Geſinnung gewirkte Empfin-
dung, die ſo fern practiſch leer iſt, als ſie nicht dazu
dienen kann, das Geſchehene ungeſchehen zu machen,
und ſogar ungereimt ſeyn wuͤrde, (wie Prieſtley, als
ein aͤchter, conſequent verfahrender Fataliſt, ſie auch
dafuͤr erklaͤrt, und in Anſehung welcher Offenherzig-
keit er mehr Beyfall verdient, als diejenige, welche,
indem ſie den Mechanism des Willens in der That, die

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[176/0184] I. Th. I. B. III. Hauptſt. Von den Triebfedern ges Betragen, deſſen er ſich erinnert, ſich als unvor- ſetzliches Verſehen, als bloße Unbehutſamkeit, die man niemals gaͤnzlich vermeiden kann, folglich als etwas, worin er vom Strom der Naturnothwendigkeit fort- geriſſen waͤre, vorzumalen und ſich daruͤber fuͤr ſchuld- frey zu erklaͤren, ſo findet er doch, daß der Advocat, der zu ſeinem Vortheil ſpricht, den Anklaͤger in ihm keinesweges zum Verſtummen bringen koͤnne, wenn er ſich bewußt iſt, daß er zu der Zeit, als er das Un- recht veruͤbte, nur bey Sinnen, d. i. im Gebrauche ſei- ner Freyheit war, und gleichwol erklaͤrt er ſich ſein Vergehen, aus gewiſſer uͤbeln, durch allmaͤlige Ver- nachlaͤſſigung der Achtſamkeit auf ſich ſelbſt zugezogener Gewohnheit, bis auf den Grad, daß er es als eine natuͤrliche Folge derſelben anſehen kann, ohne daß die- ſes ihn gleichwol wider den Selbſttadel und den Ver- weis ſichern kann, den er ſich ſelbſt macht. Darauf gruͤndet ſich denn auch die Reue uͤber eine laͤngſt began- gene That bey jeder Erinnerung derſelben; eine ſchmerz- hafte, durch moraliſche Geſinnung gewirkte Empfin- dung, die ſo fern practiſch leer iſt, als ſie nicht dazu dienen kann, das Geſchehene ungeſchehen zu machen, und ſogar ungereimt ſeyn wuͤrde, (wie Prieſtley, als ein aͤchter, conſequent verfahrender Fataliſt, ſie auch dafuͤr erklaͤrt, und in Anſehung welcher Offenherzig- keit er mehr Beyfall verdient, als diejenige, welche, indem ſie den Mechanism des Willens in der That, die Frey-

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/184>, abgerufen am 24.11.2024.