Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite

der reinen practischen Vernunft.
dige, verworfene Menschen erscheinen müssen, wenn
wir uns gleich für diese Kränkung vor dem inneren
Richterstuhl dadurch schadlos zu halten versuchten, daß
wir uns an denen Vergnügen ergötzten, die ein von
uns angenommenes natürliches oder göttliches Gesetz, un-
serem Wahne nach, mit dem Maschinenwesen ihrer
Policey, die sich blos nach dem richtete, was man thut,
ohne sich um die Bewegungsgründe, warum man es
thut, zu bekümmern, verbunden hätte.

Zwar kann man nicht in Abrede seyn, daß, um
ein entweder noch ungebildetes, oder auch verwildertes
Gemüth zuerst ins Gleis des moralisch-Guten zu brin-
gen, es einiger vorbereitenden Anleitungen bedürfe, es
durch seinen eigenen Vortheil zu locken, oder durch den
Schaden zu schrecken; allein, so bald dieses Maschinen-
werk, dieses Gängelband nur einige Wirkung gethan hat,
so muß durchaus der reine moralische Bewegungsgrund
an die Seele gebracht werden, der nicht allein dadurch,
daß er der einzige ist, welcher einen Character (practi-
sche consequente Denkungsart nach unveränderlichen
Maximen) gründet, sondern auch darum, weil er den
Menschen seine eigene Würde fühlen lehrt, dem Ge-
müthe eine ihm selbst unerwartete Kraft giebt, sich von
aller sinnlichen Anhänglichkeit, so fern sie herrschend
werden will, loszureißen, und in der Unabhängigkeit
seiner intelligibelen Natur und der Seelengröße, dazu

er

der reinen practiſchen Vernunft.
dige, verworfene Menſchen erſcheinen muͤſſen, wenn
wir uns gleich fuͤr dieſe Kraͤnkung vor dem inneren
Richterſtuhl dadurch ſchadlos zu halten verſuchten, daß
wir uns an denen Vergnuͤgen ergoͤtzten, die ein von
uns angenommenes natuͤrliches oder goͤttliches Geſetz, un-
ſerem Wahne nach, mit dem Maſchinenweſen ihrer
Policey, die ſich blos nach dem richtete, was man thut,
ohne ſich um die Bewegungsgruͤnde, warum man es
thut, zu bekuͤmmern, verbunden haͤtte.

Zwar kann man nicht in Abrede ſeyn, daß, um
ein entweder noch ungebildetes, oder auch verwildertes
Gemuͤth zuerſt ins Gleis des moraliſch-Guten zu brin-
gen, es einiger vorbereitenden Anleitungen beduͤrfe, es
durch ſeinen eigenen Vortheil zu locken, oder durch den
Schaden zu ſchrecken; allein, ſo bald dieſes Maſchinen-
werk, dieſes Gaͤngelband nur einige Wirkung gethan hat,
ſo muß durchaus der reine moraliſche Bewegungsgrund
an die Seele gebracht werden, der nicht allein dadurch,
daß er der einzige iſt, welcher einen Character (practi-
ſche conſequente Denkungsart nach unveraͤnderlichen
Maximen) gruͤndet, ſondern auch darum, weil er den
Menſchen ſeine eigene Wuͤrde fuͤhlen lehrt, dem Ge-
muͤthe eine ihm ſelbſt unerwartete Kraft giebt, ſich von
aller ſinnlichen Anhaͤnglichkeit, ſo fern ſie herrſchend
werden will, loszureißen, und in der Unabhaͤngigkeit
ſeiner intelligibelen Natur und der Seelengroͤße, dazu

er
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0279" n="271"/><fw place="top" type="header">der reinen practi&#x017F;chen Vernunft.</fw><lb/>
dige, verworfene Men&#x017F;chen er&#x017F;cheinen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, wenn<lb/>
wir uns gleich fu&#x0364;r die&#x017F;e Kra&#x0364;nkung vor dem inneren<lb/>
Richter&#x017F;tuhl dadurch &#x017F;chadlos zu halten ver&#x017F;uchten, daß<lb/>
wir uns an denen Vergnu&#x0364;gen ergo&#x0364;tzten, die ein von<lb/>
uns angenommenes natu&#x0364;rliches oder go&#x0364;ttliches Ge&#x017F;etz, un-<lb/>
&#x017F;erem Wahne nach, mit dem Ma&#x017F;chinenwe&#x017F;en ihrer<lb/>
Policey, die &#x017F;ich blos nach dem richtete, was man thut,<lb/>
ohne &#x017F;ich um die Bewegungsgru&#x0364;nde, warum man es<lb/>
thut, zu beku&#x0364;mmern, verbunden ha&#x0364;tte.</p><lb/>
        <p>Zwar kann man nicht in Abrede &#x017F;eyn, daß, um<lb/>
ein entweder noch ungebildetes, oder auch verwildertes<lb/>
Gemu&#x0364;th zuer&#x017F;t ins Gleis des morali&#x017F;ch-Guten zu brin-<lb/>
gen, es einiger vorbereitenden Anleitungen bedu&#x0364;rfe, es<lb/>
durch &#x017F;einen eigenen Vortheil zu locken, oder durch den<lb/>
Schaden zu &#x017F;chrecken; allein, &#x017F;o bald die&#x017F;es Ma&#x017F;chinen-<lb/>
werk, die&#x017F;es Ga&#x0364;ngelband nur einige Wirkung gethan hat,<lb/>
&#x017F;o muß durchaus der reine morali&#x017F;che Bewegungsgrund<lb/>
an die Seele gebracht werden, der nicht allein dadurch,<lb/>
daß er der einzige i&#x017F;t, welcher einen Character (practi-<lb/>
&#x017F;che con&#x017F;equente Denkungsart nach unvera&#x0364;nderlichen<lb/>
Maximen) gru&#x0364;ndet, &#x017F;ondern auch darum, weil er den<lb/>
Men&#x017F;chen &#x017F;eine eigene Wu&#x0364;rde fu&#x0364;hlen lehrt, dem Ge-<lb/>
mu&#x0364;the eine ihm &#x017F;elb&#x017F;t unerwartete Kraft giebt, &#x017F;ich von<lb/>
aller &#x017F;innlichen Anha&#x0364;nglichkeit, &#x017F;o fern &#x017F;ie herr&#x017F;chend<lb/>
werden will, loszureißen, und in der Unabha&#x0364;ngigkeit<lb/>
&#x017F;einer intelligibelen Natur und der Seelengro&#x0364;ße, dazu<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">er</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[271/0279] der reinen practiſchen Vernunft. dige, verworfene Menſchen erſcheinen muͤſſen, wenn wir uns gleich fuͤr dieſe Kraͤnkung vor dem inneren Richterſtuhl dadurch ſchadlos zu halten verſuchten, daß wir uns an denen Vergnuͤgen ergoͤtzten, die ein von uns angenommenes natuͤrliches oder goͤttliches Geſetz, un- ſerem Wahne nach, mit dem Maſchinenweſen ihrer Policey, die ſich blos nach dem richtete, was man thut, ohne ſich um die Bewegungsgruͤnde, warum man es thut, zu bekuͤmmern, verbunden haͤtte. Zwar kann man nicht in Abrede ſeyn, daß, um ein entweder noch ungebildetes, oder auch verwildertes Gemuͤth zuerſt ins Gleis des moraliſch-Guten zu brin- gen, es einiger vorbereitenden Anleitungen beduͤrfe, es durch ſeinen eigenen Vortheil zu locken, oder durch den Schaden zu ſchrecken; allein, ſo bald dieſes Maſchinen- werk, dieſes Gaͤngelband nur einige Wirkung gethan hat, ſo muß durchaus der reine moraliſche Bewegungsgrund an die Seele gebracht werden, der nicht allein dadurch, daß er der einzige iſt, welcher einen Character (practi- ſche conſequente Denkungsart nach unveraͤnderlichen Maximen) gruͤndet, ſondern auch darum, weil er den Menſchen ſeine eigene Wuͤrde fuͤhlen lehrt, dem Ge- muͤthe eine ihm ſelbſt unerwartete Kraft giebt, ſich von aller ſinnlichen Anhaͤnglichkeit, ſo fern ſie herrſchend werden will, loszureißen, und in der Unabhaͤngigkeit ſeiner intelligibelen Natur und der Seelengroͤße, dazu er

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/279
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/279>, abgerufen am 22.11.2024.