Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788.I. Th. I. B. I. Hauptst. Von den Grundsätzen Widerstreit ist aber nicht blos logisch, wie der zwischen empi-risch-bedingten Regeln, die man doch zu nothwendigen Er- kenntnißprincipien erheben wollte, sondern practisch, und würde, wäre nicht die Stimme der Vernunft in Beziehung auf den Willen so deutlich, so unüberschreybar, selbst für den gemein- sten Menschen so vernehmlich, die Sittlichkeit gänzlich zu Grunde richten; so aber kann sie sich nur noch in den Kopf- verwirrenden Speculationen der Schulen erhalten, die dreist genug seyn, sich gegen jene himmlische Stimme taub zu ma- chen, um eine Theorie, die kein Kopfbrechen kostet, aufrecht zu erhalten. Wenn ein dir sonst beliebter Umgangsfreund sich bey dir auch
I. Th. I. B. I. Hauptſt. Von den Grundſaͤtzen Widerſtreit iſt aber nicht blos logiſch, wie der zwiſchen empi-riſch-bedingten Regeln, die man doch zu nothwendigen Er- kenntnißprincipien erheben wollte, ſondern practiſch, und wuͤrde, waͤre nicht die Stimme der Vernunft in Beziehung auf den Willen ſo deutlich, ſo unuͤberſchreybar, ſelbſt fuͤr den gemein- ſten Menſchen ſo vernehmlich, die Sittlichkeit gaͤnzlich zu Grunde richten; ſo aber kann ſie ſich nur noch in den Kopf- verwirrenden Speculationen der Schulen erhalten, die dreiſt genug ſeyn, ſich gegen jene himmliſche Stimme taub zu ma- chen, um eine Theorie, die kein Kopfbrechen koſtet, aufrecht zu erhalten. Wenn ein dir ſonſt beliebter Umgangsfreund ſich bey dir auch
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I. Th. I. B. I. Hauptſt. Von den Grundſaͤtzen
Widerſtreit iſt aber nicht blos logiſch, wie der zwiſchen empi-
riſch-bedingten Regeln, die man doch zu nothwendigen Er-
kenntnißprincipien erheben wollte, ſondern practiſch, und wuͤrde,
waͤre nicht die Stimme der Vernunft in Beziehung auf den
Willen ſo deutlich, ſo unuͤberſchreybar, ſelbſt fuͤr den gemein-
ſten Menſchen ſo vernehmlich, die Sittlichkeit gaͤnzlich zu
Grunde richten; ſo aber kann ſie ſich nur noch in den Kopf-
verwirrenden Speculationen der Schulen erhalten, die dreiſt
genug ſeyn, ſich gegen jene himmliſche Stimme taub zu ma-
chen, um eine Theorie, die kein Kopfbrechen koſtet, aufrecht
zu erhalten.
Wenn ein dir ſonſt beliebter Umgangsfreund ſich bey dir
wegen eines falſchen abgelegten Zeugniſſes dadurch zu rechtfer-
tigen vermeynete, daß er zuerſt die, ſeinem Vorgeben nach,
heilige Pflicht der eigenen Gluͤekſeligkeit vorſchuͤtzte, alsdenn
die Vortheile herzaͤhlte, die er ſich alle dadurch erworben, die
Klugheit namhaft machte, die er beobachtet, um wider alle
Entdeckung ſicher zu ſeyn, ſelbſt wider die von Seiten deiner
ſelbſt, dem er das Geheimniß darum allein offenbaret, damit
er es zu aller Zeit ableugnen koͤnne; dann aber im ganzen Ernſt
vorgaͤbe, er habe eine wahre Menſchenpflicht ausgeuͤbt: ſo
wuͤrdeſt du ihm entweder gerade ins Geſicht lachen, oder mit
Abſcheu davon zuruͤckbeben, ob du gleich, wenn jemand blos
auf eigene Vortheile ſeine Grundſaͤtze geſteuert hat, wider
dieſe Maaßregeln nicht das mindeſte einzuwenden haͤtteſt. Oder
ſetzet, es empfehle euch jemand einen Mann zum Haushalter,
dem ihr alle eure Angelegenheiten blindlings anvertrauen koͤn-
net, und, um euch Zutrauen einzufloͤßen, ruͤhmete er ihn als
einen klugen Menſchen, der ſich auf ſeinen eigenen Vortheil
meiſterhaft verſtehe, auch als einen raſtlos wirkſamen, der keine
Gelegenheit dazu ungenutzt vorbeygehen ließe, endlich, damit
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