Wenn wir nun damit den analytischen Theil der Critik der reinen speculativen Vernunft vergleichen, so zeigt sich ein merkwürdiger Contrast beider gegen ein- ander. Nicht Grundsätze, sondern reine sinnliche An- schauung (Raum und Zeit) war daselbst das erste Datum, welches Erkenntniß a priori und zwar nur für Gegenstände der Sinne möglich machte. -- Synthe- tische Grundsätze aus bloßen Begriffen ohne Anschauung waren unmöglich, vielmehr konnten diese nur in Be- ziehung auf jene, welche sinnlich war, mithin auch nur auf Gegenstände möglicher Erfahrung stattfinden, weil die Begriffe des Verstandes, mit dieser Anschauung ver- bunden, allein dasjenige Erkenntniß möglich machen, welches wir Erfahrung nennen. -- Ueber die Erfah- rungsgegenstände hinaus, also von Dingen als Nou- menen, wurde der speculativen Vernunft alles Positive einer Erkenntniß mit völligem Rechte abgesprochen. -- Doch leistete diese so viel, daß sie den Begriff der Nou- menen, d. i. die Möglichkeit, ja Nothwendigkeit der- gleichen zu denken, in Sicherheit setzte, und z. B. die Freyheit, negativ betrachtet, anzunehmen, als ganz verträglich mit jenen Grundsätzen und Einschränkungen der reinen theoretischen Vernunft, wider alle Einwürfe rettete, ohne doch von solchen Gegenständen irgend et- was bestimmtes und erweiterndes zu erkennen zu geben, indem sie vielmehr alle Aussicht dahin gänzlich ab- schnitt.
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der reinen practiſchen Vernunft.
Wenn wir nun damit den analytiſchen Theil der Critik der reinen ſpeculativen Vernunft vergleichen, ſo zeigt ſich ein merkwuͤrdiger Contraſt beider gegen ein- ander. Nicht Grundſaͤtze, ſondern reine ſinnliche An- ſchauung (Raum und Zeit) war daſelbſt das erſte Datum, welches Erkenntniß a priori und zwar nur fuͤr Gegenſtaͤnde der Sinne moͤglich machte. — Synthe- tiſche Grundſaͤtze aus bloßen Begriffen ohne Anſchauung waren unmoͤglich, vielmehr konnten dieſe nur in Be- ziehung auf jene, welche ſinnlich war, mithin auch nur auf Gegenſtaͤnde moͤglicher Erfahrung ſtattfinden, weil die Begriffe des Verſtandes, mit dieſer Anſchauung ver- bunden, allein dasjenige Erkenntniß moͤglich machen, welches wir Erfahrung nennen. — Ueber die Erfah- rungsgegenſtaͤnde hinaus, alſo von Dingen als Nou- menen, wurde der ſpeculativen Vernunft alles Poſitive einer Erkenntniß mit voͤlligem Rechte abgeſprochen. — Doch leiſtete dieſe ſo viel, daß ſie den Begriff der Nou- menen, d. i. die Moͤglichkeit, ja Nothwendigkeit der- gleichen zu denken, in Sicherheit ſetzte, und z. B. die Freyheit, negativ betrachtet, anzunehmen, als ganz vertraͤglich mit jenen Grundſaͤtzen und Einſchraͤnkungen der reinen theoretiſchen Vernunft, wider alle Einwuͤrfe rettete, ohne doch von ſolchen Gegenſtaͤnden irgend et- was beſtimmtes und erweiterndes zu erkennen zu geben, indem ſie vielmehr alle Ausſicht dahin gaͤnzlich ab- ſchnitt.
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der reinen practiſchen Vernunft.
Wenn wir nun damit den analytiſchen Theil der
Critik der reinen ſpeculativen Vernunft vergleichen, ſo
zeigt ſich ein merkwuͤrdiger Contraſt beider gegen ein-
ander. Nicht Grundſaͤtze, ſondern reine ſinnliche An-
ſchauung (Raum und Zeit) war daſelbſt das erſte
Datum, welches Erkenntniß a priori und zwar nur fuͤr
Gegenſtaͤnde der Sinne moͤglich machte. — Synthe-
tiſche Grundſaͤtze aus bloßen Begriffen ohne Anſchauung
waren unmoͤglich, vielmehr konnten dieſe nur in Be-
ziehung auf jene, welche ſinnlich war, mithin auch nur
auf Gegenſtaͤnde moͤglicher Erfahrung ſtattfinden, weil
die Begriffe des Verſtandes, mit dieſer Anſchauung ver-
bunden, allein dasjenige Erkenntniß moͤglich machen,
welches wir Erfahrung nennen. — Ueber die Erfah-
rungsgegenſtaͤnde hinaus, alſo von Dingen als Nou-
menen, wurde der ſpeculativen Vernunft alles Poſitive
einer Erkenntniß mit voͤlligem Rechte abgeſprochen. —
Doch leiſtete dieſe ſo viel, daß ſie den Begriff der Nou-
menen, d. i. die Moͤglichkeit, ja Nothwendigkeit der-
gleichen zu denken, in Sicherheit ſetzte, und z. B. die
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vertraͤglich mit jenen Grundſaͤtzen und Einſchraͤnkungen
der reinen theoretiſchen Vernunft, wider alle Einwuͤrfe
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Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/81>, abgerufen am 17.02.2025.
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