Aesthetik ihr darbietet, um zu den reinen Verstandesbe- griffen einen Stoff zu geben, ohne den sie ohne allen In- halt, mithin völlig leer seyn würde. Raum und Zeit ent- halten nun ein Mannigfaltiges der reinen Anschauung a priori, gehören aber gleichwohl zu den Bedingungen der Receptivität unseres Gemüths, unter denen es allein Vorstellungen von Gegenständen empfangen kan, die mit- hin auch den Begriff derselben iederzeit afficiren müssen. Allein die Spontaneität unseres Denkens erfordert es, daß dieses Mannigfaltige zuerst auf gewisse Weise durchgegan- gen, aufgenommen, und verbunden werde, um daraus eine Erkentniß zu machen. Diese Handlung nenne ich Synthesis.
Ich verstehe aber unter Synthesis in der allgemein- sten Bedeutung die Handlung, verschiedene Vorstellungen zu einander hinzuzuthun, und ihre Mannigfaltigkeit in ei- ner Erkentniß zu begreifen. Eine solche Synthesis ist rein, wenn das Mannigfaltige nicht empirisch, sondern a priori gegeben ist (wie das im Raum und der Zeit.). Vor aller Analysis unserer Vorstellungen müssen diese zuvor gege- ben seyn, und es können keine Begriffe dem Inhalte nach analytisch entspringen. Die Synthesis eines Mannigfal- tigen aber (es sey empirisch oder a priori gegeben) bringt zuerst eine Erkentniß hervor, die zwar anfänglich noch roh und verworren seyn kan, und also der Analysis bedarf; allein die Synthesis ist doch dasienige, was eigentlich die Elemente zu Erkentnissen sammlet, und zu einem gewissen
In-
III. Abſch. Von den reinen Verſtbegr. oder Categ.
Aeſthetik ihr darbietet, um zu den reinen Verſtandesbe- griffen einen Stoff zu geben, ohne den ſie ohne allen In- halt, mithin voͤllig leer ſeyn wuͤrde. Raum und Zeit ent- halten nun ein Mannigfaltiges der reinen Anſchauung a priori, gehoͤren aber gleichwohl zu den Bedingungen der Receptivitaͤt unſeres Gemuͤths, unter denen es allein Vorſtellungen von Gegenſtaͤnden empfangen kan, die mit- hin auch den Begriff derſelben iederzeit afficiren muͤſſen. Allein die Spontaneitaͤt unſeres Denkens erfordert es, daß dieſes Mannigfaltige zuerſt auf gewiſſe Weiſe durchgegan- gen, aufgenommen, und verbunden werde, um daraus eine Erkentniß zu machen. Dieſe Handlung nenne ich Syntheſis.
Ich verſtehe aber unter Syntheſis in der allgemein- ſten Bedeutung die Handlung, verſchiedene Vorſtellungen zu einander hinzuzuthun, und ihre Mannigfaltigkeit in ei- ner Erkentniß zu begreifen. Eine ſolche Syntheſis iſt rein, wenn das Mannigfaltige nicht empiriſch, ſondern a priori gegeben iſt (wie das im Raum und der Zeit.). Vor aller Analyſis unſerer Vorſtellungen muͤſſen dieſe zuvor gege- ben ſeyn, und es koͤnnen keine Begriffe dem Inhalte nach analytiſch entſpringen. Die Syntheſis eines Mannigfal- tigen aber (es ſey empiriſch oder a priori gegeben) bringt zuerſt eine Erkentniß hervor, die zwar anfaͤnglich noch roh und verworren ſeyn kan, und alſo der Analyſis bedarf; allein die Syntheſis iſt doch dasienige, was eigentlich die Elemente zu Erkentniſſen ſammlet, und zu einem gewiſſen
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III. Abſch. Von den reinen Verſtbegr. oder Categ.
Aeſthetik ihr darbietet, um zu den reinen Verſtandesbe-
griffen einen Stoff zu geben, ohne den ſie ohne allen In-
halt, mithin voͤllig leer ſeyn wuͤrde. Raum und Zeit ent-
halten nun ein Mannigfaltiges der reinen Anſchauung
a priori, gehoͤren aber gleichwohl zu den Bedingungen
der Receptivitaͤt unſeres Gemuͤths, unter denen es allein
Vorſtellungen von Gegenſtaͤnden empfangen kan, die mit-
hin auch den Begriff derſelben iederzeit afficiren muͤſſen.
Allein die Spontaneitaͤt unſeres Denkens erfordert es, daß
dieſes Mannigfaltige zuerſt auf gewiſſe Weiſe durchgegan-
gen, aufgenommen, und verbunden werde, um daraus
eine Erkentniß zu machen. Dieſe Handlung nenne ich
Syntheſis.
Ich verſtehe aber unter Syntheſis in der allgemein-
ſten Bedeutung die Handlung, verſchiedene Vorſtellungen
zu einander hinzuzuthun, und ihre Mannigfaltigkeit in ei-
ner Erkentniß zu begreifen. Eine ſolche Syntheſis iſt rein,
wenn das Mannigfaltige nicht empiriſch, ſondern a priori
gegeben iſt (wie das im Raum und der Zeit.). Vor aller
Analyſis unſerer Vorſtellungen muͤſſen dieſe zuvor gege-
ben ſeyn, und es koͤnnen keine Begriffe dem Inhalte nach
analytiſch entſpringen. Die Syntheſis eines Mannigfal-
tigen aber (es ſey empiriſch oder a priori gegeben) bringt
zuerſt eine Erkentniß hervor, die zwar anfaͤnglich noch
roh und verworren ſeyn kan, und alſo der Analyſis bedarf;
allein die Syntheſis iſt doch dasienige, was eigentlich die
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/107>, abgerufen am 21.11.2024.
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