Urtheile an ihm selbst weder die Wahrheit, noch der Irr- thum angesehen werden kan.
Also zugegeben: daß man aus einem gegebenen Be- griffe hinausgehen müsse, um ihn mit einem andern syn- thetisch zu vergleichen; so ist ein Drittes nöthig, worin allein die Synthesis zweener Begriffe entstehen kan. Was ist nun aber dieses Dritte, als das Medium aller synthe- tischen Urtheile? Es ist nur ein Inbegriff, darin alle unsre Vorstellungen enthalten sind, nemlich der innre Sinn, und die Form desselben a priori, die Zeit. Die Synthesis der Vorstellungen beruht auf der Einbildungs- kraft, die synthetische Einheit derselben aber (die zum Ur- theile erforderlich ist) auf der Einheit der Apperception. Hierin wird also die Möglichkeit synthetischer Urtheile, und da alle drey die Quellen zu Vorstellungen a priori ent- halten, auch die Möglichkeit reiner synthetischer Urtheile zu suchen seyn, ia sie werden so gar aus diesen Gründen nothwendig seyn, wenn eine Erkentniß von Gegenständen zu Stande kommen soll, die lediglich auf der Synthesis der Vorstellungen beruht.
Wenn eine Erkentniß obiective Realität haben, d. i. sich auf einen Gegenstand beziehen, und in demselben Be- deutung und Sinn haben soll, so muß der Gegenstand auf irgend eine Art gegeben werden können. Ohne das sind die Begriffe leer, und man hat dadurch zwar gedacht, in der That aber durch dieses Denken nichts erkant, sondern blos mit Vorstellungen gespielt. Einen Gegenstand geben,
wenn
II. Abſch. Vom oberſten Grundſ. ſynthet. Urth.
Urtheile an ihm ſelbſt weder die Wahrheit, noch der Irr- thum angeſehen werden kan.
Alſo zugegeben: daß man aus einem gegebenen Be- griffe hinausgehen muͤſſe, um ihn mit einem andern ſyn- thetiſch zu vergleichen; ſo iſt ein Drittes noͤthig, worin allein die Syntheſis zweener Begriffe entſtehen kan. Was iſt nun aber dieſes Dritte, als das Medium aller ſynthe- tiſchen Urtheile? Es iſt nur ein Inbegriff, darin alle unſre Vorſtellungen enthalten ſind, nemlich der innre Sinn, und die Form deſſelben a priori, die Zeit. Die Syntheſis der Vorſtellungen beruht auf der Einbildungs- kraft, die ſynthetiſche Einheit derſelben aber (die zum Ur- theile erforderlich iſt) auf der Einheit der Apperception. Hierin wird alſo die Moͤglichkeit ſynthetiſcher Urtheile, und da alle drey die Quellen zu Vorſtellungen a priori ent- halten, auch die Moͤglichkeit reiner ſynthetiſcher Urtheile zu ſuchen ſeyn, ia ſie werden ſo gar aus dieſen Gruͤnden nothwendig ſeyn, wenn eine Erkentniß von Gegenſtaͤnden zu Stande kommen ſoll, die lediglich auf der Syntheſis der Vorſtellungen beruht.
Wenn eine Erkentniß obiective Realitaͤt haben, d. i. ſich auf einen Gegenſtand beziehen, und in demſelben Be- deutung und Sinn haben ſoll, ſo muß der Gegenſtand auf irgend eine Art gegeben werden koͤnnen. Ohne das ſind die Begriffe leer, und man hat dadurch zwar gedacht, in der That aber durch dieſes Denken nichts erkant, ſondern blos mit Vorſtellungen geſpielt. Einen Gegenſtand geben,
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II. Abſch. Vom oberſten Grundſ. ſynthet. Urth.
Urtheile an ihm ſelbſt weder die Wahrheit, noch der Irr-
thum angeſehen werden kan.
Alſo zugegeben: daß man aus einem gegebenen Be-
griffe hinausgehen muͤſſe, um ihn mit einem andern ſyn-
thetiſch zu vergleichen; ſo iſt ein Drittes noͤthig, worin
allein die Syntheſis zweener Begriffe entſtehen kan. Was
iſt nun aber dieſes Dritte, als das Medium aller ſynthe-
tiſchen Urtheile? Es iſt nur ein Inbegriff, darin alle
unſre Vorſtellungen enthalten ſind, nemlich der innre
Sinn, und die Form deſſelben a priori, die Zeit. Die
Syntheſis der Vorſtellungen beruht auf der Einbildungs-
kraft, die ſynthetiſche Einheit derſelben aber (die zum Ur-
theile erforderlich iſt) auf der Einheit der Apperception.
Hierin wird alſo die Moͤglichkeit ſynthetiſcher Urtheile, und
da alle drey die Quellen zu Vorſtellungen a priori ent-
halten, auch die Moͤglichkeit reiner ſynthetiſcher Urtheile
zu ſuchen ſeyn, ia ſie werden ſo gar aus dieſen Gruͤnden
nothwendig ſeyn, wenn eine Erkentniß von Gegenſtaͤnden
zu Stande kommen ſoll, die lediglich auf der Syntheſis
der Vorſtellungen beruht.
Wenn eine Erkentniß obiective Realitaͤt haben, d. i.
ſich auf einen Gegenſtand beziehen, und in demſelben Be-
deutung und Sinn haben ſoll, ſo muß der Gegenſtand auf
irgend eine Art gegeben werden koͤnnen. Ohne das ſind
die Begriffe leer, und man hat dadurch zwar gedacht, in
der That aber durch dieſes Denken nichts erkant, ſondern
blos mit Vorſtellungen geſpielt. Einen Gegenſtand geben,
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/185>, abgerufen am 23.11.2024.
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