es nicht anders ausfallen, als daß er seinen Grundsatz des Nichtzuunterscheidenden, der blos von Begriffen der Dinge überhaupt gilt, auch auf die Gegenstände der Sinne (mundus phaenomenon) ausdehnete, und der Naturer- kentniß dadurch keine geringe Erweiterung verschaft zu haben glaubte. Freilich: wenn ich einen Tropfen Was- ser als ein Ding an sich selbst nach allen seinen innern Be- stimmungen kenne, so kan ich keinen derselben von dem andern vor verschieden gelten lassen, wenn der ganze Begriff desselben mit ihm einerley ist. Ist er aber Erscheinung im Raume, so hat er seinen Ort, nicht blos im Verstande (unter Begriffen,) sondern in der sinnlichen äusseren An- schauung (im Raume) und da sind die physische Oerter, in Ansehung der inneren Bestimmungen der Dinge, ganz gleichgültig, und ein Ort = b kan ein Ding, welches ei- nem andern in dem Orte = a, völlig ähnlich und gleich ist, eben so wol aufnehmen, als wenn es von diesem noch so sehr innerlich verschieden wäre. Die Verschiedenheit der Oerter macht die Vielheit und Unterscheidung der Ge- genstände, als Erscheinungen, ohne weitere Bedingun- gen, schon vor sich nicht allein möglich, sondern auch noth- wendig. Also ist ienes scheinbare Gesetz kein Gesetz der Natur. Es ist lediglich eine analytische Regel oder Ver- gleichung der Dinge durch blosse Begriffe.
es nicht anders ausfallen, als daß er ſeinen Grundſatz des Nichtzuunterſcheidenden, der blos von Begriffen der Dinge uͤberhaupt gilt, auch auf die Gegenſtaͤnde der Sinne (mundus phænomenon) ausdehnete, und der Naturer- kentniß dadurch keine geringe Erweiterung verſchaft zu haben glaubte. Freilich: wenn ich einen Tropfen Waſ- ſer als ein Ding an ſich ſelbſt nach allen ſeinen innern Be- ſtimmungen kenne, ſo kan ich keinen derſelben von dem andern vor verſchieden gelten laſſen, wenn der ganze Begriff deſſelben mit ihm einerley iſt. Iſt er aber Erſcheinung im Raume, ſo hat er ſeinen Ort, nicht blos im Verſtande (unter Begriffen,) ſondern in der ſinnlichen aͤuſſeren An- ſchauung (im Raume) und da ſind die phyſiſche Oerter, in Anſehung der inneren Beſtimmungen der Dinge, ganz gleichguͤltig, und ein Ort = b kan ein Ding, welches ei- nem andern in dem Orte = a, voͤllig aͤhnlich und gleich iſt, eben ſo wol aufnehmen, als wenn es von dieſem noch ſo ſehr innerlich verſchieden waͤre. Die Verſchiedenheit der Oerter macht die Vielheit und Unterſcheidung der Ge- genſtaͤnde, als Erſcheinungen, ohne weitere Bedingun- gen, ſchon vor ſich nicht allein moͤglich, ſondern auch noth- wendig. Alſo iſt ienes ſcheinbare Geſetz kein Geſetz der Natur. Es iſt lediglich eine analytiſche Regel oder Ver- gleichung der Dinge durch bloſſe Begriffe.
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Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. Anhang.
es nicht anders ausfallen, als daß er ſeinen Grundſatz
des Nichtzuunterſcheidenden, der blos von Begriffen der
Dinge uͤberhaupt gilt, auch auf die Gegenſtaͤnde der Sinne
(mundus phænomenon) ausdehnete, und der Naturer-
kentniß dadurch keine geringe Erweiterung verſchaft
zu haben glaubte. Freilich: wenn ich einen Tropfen Waſ-
ſer als ein Ding an ſich ſelbſt nach allen ſeinen innern Be-
ſtimmungen kenne, ſo kan ich keinen derſelben von dem
andern vor verſchieden gelten laſſen, wenn der ganze Begriff
deſſelben mit ihm einerley iſt. Iſt er aber Erſcheinung
im Raume, ſo hat er ſeinen Ort, nicht blos im Verſtande
(unter Begriffen,) ſondern in der ſinnlichen aͤuſſeren An-
ſchauung (im Raume) und da ſind die phyſiſche Oerter,
in Anſehung der inneren Beſtimmungen der Dinge, ganz
gleichguͤltig, und ein Ort = b kan ein Ding, welches ei-
nem andern in dem Orte = a, voͤllig aͤhnlich und gleich
iſt, eben ſo wol aufnehmen, als wenn es von dieſem noch
ſo ſehr innerlich verſchieden waͤre. Die Verſchiedenheit
der Oerter macht die Vielheit und Unterſcheidung der Ge-
genſtaͤnde, als Erſcheinungen, ohne weitere Bedingun-
gen, ſchon vor ſich nicht allein moͤglich, ſondern auch noth-
wendig. Alſo iſt ienes ſcheinbare Geſetz kein Geſetz der
Natur. Es iſt lediglich eine analytiſche Regel oder Ver-
gleichung der Dinge durch bloſſe Begriffe.
Zweitens: der Grundſatz: daß Realitaͤten, (als
bloſſe Beiahungen) einander niemals logiſch widerſtreiten,
iſt
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/302>, abgerufen am 22.11.2024.
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