Die platonische Republik ist, als ein vermeintlich auffallendes Beyspiel von erträumter Vollkommenheit, die nur im Gehirn des müßigen Denkers ihren Sitz haben kan, zum Sprichwort geworden, und Brucker findet es lächerlich: daß der Philosoph behauptete, niemals würde ein Fürst wol regieren, wenn er nicht der Ideen theilhaf- tig wäre. Allein man würde besser thun, diesem Gedan- ken mehr nachzugehen und ihn, (wo der vortrefliche Mann uns ohne Hülfe läßt) durch neue Bemühungen in Licht zu stellen, als ihn, unter dem sehr elenden und schädli- chen Vorwande der Unthunlichkeit, als unnütz bey Seite zu stellen. Eine Verfassung von der größten menschlichen Freiheit nach Gesetzen, welche machen: daß iedes Frei- heit mit der andern ihrer zusammen bestehen kan, (nicht von der grössesten Glückseligkeit, denn diese wird schon von selbst folgen) ist doch wenigstens eine nothwen- dige Idee, die man nicht blos im ersten Entwurfe einer Staa[t]sverfassung, sondern auch bey allen Gesetzen zum Grunde legen muß, und wobey man anfänglich von den gegenwärtigen Hindernissen abstrahiren muß, die vielleicht nicht sowol aus der menschlichen Natur unvermeidlich ent- springen mögen, als vielmehr aus der Vernachlässigung der ächten Ideen bey der Gesetzgebung. Denn nichts kan schädlicheres und eines Philosophen unwürdigeres ge- funden werden, als die pöbelhafte Berufung auf vorgeb- lich widerstreitende Erfahrung, die doch gar nicht existiren würde, wenn iene Anstalten zu rechter Zeit nach den Ideen
getrof-
Elementarl. II. Th. II. Abth. I. Buch.
Die platoniſche Republik iſt, als ein vermeintlich auffallendes Beyſpiel von ertraͤumter Vollkommenheit, die nur im Gehirn des muͤßigen Denkers ihren Sitz haben kan, zum Sprichwort geworden, und Brucker findet es laͤcherlich: daß der Philoſoph behauptete, niemals wuͤrde ein Fuͤrſt wol regieren, wenn er nicht der Ideen theilhaf- tig waͤre. Allein man wuͤrde beſſer thun, dieſem Gedan- ken mehr nachzugehen und ihn, (wo der vortrefliche Mann uns ohne Huͤlfe laͤßt) durch neue Bemuͤhungen in Licht zu ſtellen, als ihn, unter dem ſehr elenden und ſchaͤdli- chen Vorwande der Unthunlichkeit, als unnuͤtz bey Seite zu ſtellen. Eine Verfaſſung von der groͤßten menſchlichen Freiheit nach Geſetzen, welche machen: daß iedes Frei- heit mit der andern ihrer zuſammen beſtehen kan, (nicht von der groͤſſeſten Gluͤckſeligkeit, denn dieſe wird ſchon von ſelbſt folgen) iſt doch wenigſtens eine nothwen- dige Idee, die man nicht blos im erſten Entwurfe einer Staa[t]sverfaſſung, ſondern auch bey allen Geſetzen zum Grunde legen muß, und wobey man anfaͤnglich von den gegenwaͤrtigen Hinderniſſen abſtrahiren muß, die vielleicht nicht ſowol aus der menſchlichen Natur unvermeidlich ent- ſpringen moͤgen, als vielmehr aus der Vernachlaͤſſigung der aͤchten Ideen bey der Geſetzgebung. Denn nichts kan ſchaͤdlicheres und eines Philoſophen unwuͤrdigeres ge- funden werden, als die poͤbelhafte Berufung auf vorgeb- lich widerſtreitende Erfahrung, die doch gar nicht exiſtiren wuͤrde, wenn iene Anſtalten zu rechter Zeit nach den Ideen
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Elementarl. II. Th. II. Abth. I. Buch.
Die platoniſche Republik iſt, als ein vermeintlich
auffallendes Beyſpiel von ertraͤumter Vollkommenheit, die
nur im Gehirn des muͤßigen Denkers ihren Sitz haben
kan, zum Sprichwort geworden, und Brucker findet es
laͤcherlich: daß der Philoſoph behauptete, niemals wuͤrde
ein Fuͤrſt wol regieren, wenn er nicht der Ideen theilhaf-
tig waͤre. Allein man wuͤrde beſſer thun, dieſem Gedan-
ken mehr nachzugehen und ihn, (wo der vortrefliche Mann
uns ohne Huͤlfe laͤßt) durch neue Bemuͤhungen in Licht
zu ſtellen, als ihn, unter dem ſehr elenden und ſchaͤdli-
chen Vorwande der Unthunlichkeit, als unnuͤtz bey Seite
zu ſtellen. Eine Verfaſſung von der groͤßten menſchlichen
Freiheit nach Geſetzen, welche machen: daß iedes Frei-
heit mit der andern ihrer zuſammen beſtehen kan,
(nicht von der groͤſſeſten Gluͤckſeligkeit, denn dieſe wird
ſchon von ſelbſt folgen) iſt doch wenigſtens eine nothwen-
dige Idee, die man nicht blos im erſten Entwurfe einer
Staatsverfaſſung, ſondern auch bey allen Geſetzen zum
Grunde legen muß, und wobey man anfaͤnglich von den
gegenwaͤrtigen Hinderniſſen abſtrahiren muß, die vielleicht
nicht ſowol aus der menſchlichen Natur unvermeidlich ent-
ſpringen moͤgen, als vielmehr aus der Vernachlaͤſſigung
der aͤchten Ideen bey der Geſetzgebung. Denn nichts
kan ſchaͤdlicheres und eines Philoſophen unwuͤrdigeres ge-
funden werden, als die poͤbelhafte Berufung auf vorgeb-
lich widerſtreitende Erfahrung, die doch gar nicht exiſtiren
wuͤrde, wenn iene Anſtalten zu rechter Zeit nach den Ideen
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/346>, abgerufen am 22.11.2024.
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