nunft eigentlich die ganze Absicht ist, und die Annäherung zu einem Begriffe, der aber in der Ausübung doch nie- mals erreicht wird, eben so viel ist, als ob der Begriff ganz und gar verfehler würde, so heißt es von einem der- gleichen Begriffe: er ist nur eine Idee. So würde man sagen können: das absolute Ganze aller Erscheinungen ist nur eine Idee, denn, da wir dergleichen niemals im Bilde entwerfen können, so bleibt es ein Problem ohne alle Auflösung. Dagegen, weil es im practischen Ge- brauch des Verstandes ganz allein um die Ausübung nach Regeln zu thun ist, so kan die Idee der practischen Ver- nunft iederzeit wirklich, ob zwar nur zum Theil, in con- creto gegeben werden, ia sie ist die unentbehrliche Bedin- gung iedes practischen Gebrauchs der Vernunft. Ihre Ausübung ist iederzeit begränzt und mangelhaft, aber un- ter nicht bestimbaren Gränzen, also iederzeit unter dem Einflusse des Begriffs einer absoluten Vollständigkeit. Dem- nach ist die practische Idee iederzeit höchst fruchtbar und in Ansehung der wirklichen Handlungen unumgänglich noth- wendig. In ihr hat die reine Vernunft sogar Caussalität, das wirklich hervorzubringen, was ihr Begriff enthält, da- her kan man von der Weisheit nicht gleichsam geringschä- tzig sagen: sie ist nur eine Idee, sondern eben darum, weil sie die Idee von der nothwendigen Einheit aller mög- lichen Zwecke ist, so muß sie allem Practischen als ur- sprungliche, zum wenigsten einschränkende, Bedingung zur Regel dienen.
Ob
Elementarl. II. Th. II. Abth. I. Buch.
nunft eigentlich die ganze Abſicht iſt, und die Annaͤherung zu einem Begriffe, der aber in der Ausuͤbung doch nie- mals erreicht wird, eben ſo viel iſt, als ob der Begriff ganz und gar verfehler wuͤrde, ſo heißt es von einem der- gleichen Begriffe: er iſt nur eine Idee. So wuͤrde man ſagen koͤnnen: das abſolute Ganze aller Erſcheinungen iſt nur eine Idee, denn, da wir dergleichen niemals im Bilde entwerfen koͤnnen, ſo bleibt es ein Problem ohne alle Aufloͤſung. Dagegen, weil es im practiſchen Ge- brauch des Verſtandes ganz allein um die Ausuͤbung nach Regeln zu thun iſt, ſo kan die Idee der practiſchen Ver- nunft iederzeit wirklich, ob zwar nur zum Theil, in con- creto gegeben werden, ia ſie iſt die unentbehrliche Bedin- gung iedes practiſchen Gebrauchs der Vernunft. Ihre Ausuͤbung iſt iederzeit begraͤnzt und mangelhaft, aber un- ter nicht beſtimbaren Graͤnzen, alſo iederzeit unter dem Einfluſſe des Begriffs einer abſoluten Vollſtaͤndigkeit. Dem- nach iſt die practiſche Idee iederzeit hoͤchſt fruchtbar und in Anſehung der wirklichen Handlungen unumgaͤnglich noth- wendig. In ihr hat die reine Vernunft ſogar Cauſſalitaͤt, das wirklich hervorzubringen, was ihr Begriff enthaͤlt, da- her kan man von der Weisheit nicht gleichſam geringſchaͤ- tzig ſagen: ſie iſt nur eine Idee, ſondern eben darum, weil ſie die Idee von der nothwendigen Einheit aller moͤg- lichen Zwecke iſt, ſo muß ſie allem Practiſchen als ur- ſprungliche, zum wenigſten einſchraͤnkende, Bedingung zur Regel dienen.
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Elementarl. II. Th. II. Abth. I. Buch.
nunft eigentlich die ganze Abſicht iſt, und die Annaͤherung
zu einem Begriffe, der aber in der Ausuͤbung doch nie-
mals erreicht wird, eben ſo viel iſt, als ob der Begriff
ganz und gar verfehler wuͤrde, ſo heißt es von einem der-
gleichen Begriffe: er iſt nur eine Idee. So wuͤrde man
ſagen koͤnnen: das abſolute Ganze aller Erſcheinungen iſt
nur eine Idee, denn, da wir dergleichen niemals im
Bilde entwerfen koͤnnen, ſo bleibt es ein Problem ohne
alle Aufloͤſung. Dagegen, weil es im practiſchen Ge-
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Regeln zu thun iſt, ſo kan die Idee der practiſchen Ver-
nunft iederzeit wirklich, ob zwar nur zum Theil, in con-
creto gegeben werden, ia ſie iſt die unentbehrliche Bedin-
gung iedes practiſchen Gebrauchs der Vernunft. Ihre
Ausuͤbung iſt iederzeit begraͤnzt und mangelhaft, aber un-
ter nicht beſtimbaren Graͤnzen, alſo iederzeit unter dem
Einfluſſe des Begriffs einer abſoluten Vollſtaͤndigkeit. Dem-
nach iſt die practiſche Idee iederzeit hoͤchſt fruchtbar und
in Anſehung der wirklichen Handlungen unumgaͤnglich noth-
wendig. In ihr hat die reine Vernunft ſogar Cauſſalitaͤt,
das wirklich hervorzubringen, was ihr Begriff enthaͤlt, da-
her kan man von der Weisheit nicht gleichſam geringſchaͤ-
tzig ſagen: ſie iſt nur eine Idee, ſondern eben darum,
weil ſie die Idee von der nothwendigen Einheit aller moͤg-
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/358>, abgerufen am 22.11.2024.
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