Wenn gleich der Satz einiger alten Schulen: daß alles fliessend und nichts in der Welt beharrlich und bleibend sey, nicht statt finden kan, sobald man Substanzen an- nimt, so ist er doch nicht durch die Einheit des Selbstbe- wustseyns widerlegt. Denn wir selbst können aus unserem Bewustseyn darüber nicht urtheilen, ob wir als Seele be- harrlich sind, oder nicht, weil wir zu unserem identischen Selbst nur dasienige zehlen, dessen wir uns bewust seyn, und so allerdings nothwendig urtheilen müssen: daß wir in der ganzen Zeit, deren wir uns bewust seyn, eben die- selbe sind. In dem Standpuncte eines Fremden aber können wir dieses darum noch nicht vor gültig erklären, weil, da wir an der Seele keine beharrliche Erscheinung antreffen, als nur die Vorstellung Ich, welche sie alle begleitet und verknüpft, so können wir niemals ausma- chen, ob dieses Ich (ein blosser Gedanke) nicht eben sowol fliesse, als die übrige Gedanken, die dadurch an einander gekettet werden.
Es
einflössete, so wird sich eine ganze Reihe derselben denken lassen, deren die erste ihren Zustand, samt dessen Bewust- seyn, der zweiten, diese ihren eigenen Zustand, samt dem der vorigen Substanz, der dritten und diese eben so die Zustände aller vorigen, samt ihrem eigenen und deren Bewustseyn, mittheilete. Die lezte Substanz würde also aller Zustände der vor ihr veränderten Substanzen sich als ihrer eigenen bewust seyn, weil iene zusamt dem Bewustseyn in sie übertragen worden, und dem unerach- tet, würde sie doch nicht eben dieselbe Person in allen diesen Zuständen gewesen seyn.
Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch.
Wenn gleich der Satz einiger alten Schulen: daß alles flieſſend und nichts in der Welt beharrlich und bleibend ſey, nicht ſtatt finden kan, ſobald man Subſtanzen an- nimt, ſo iſt er doch nicht durch die Einheit des Selbſtbe- wuſtſeyns widerlegt. Denn wir ſelbſt koͤnnen aus unſerem Bewuſtſeyn daruͤber nicht urtheilen, ob wir als Seele be- harrlich ſind, oder nicht, weil wir zu unſerem identiſchen Selbſt nur dasienige zehlen, deſſen wir uns bewuſt ſeyn, und ſo allerdings nothwendig urtheilen muͤſſen: daß wir in der ganzen Zeit, deren wir uns bewuſt ſeyn, eben die- ſelbe ſind. In dem Standpuncte eines Fremden aber koͤnnen wir dieſes darum noch nicht vor guͤltig erklaͤren, weil, da wir an der Seele keine beharrliche Erſcheinung antreffen, als nur die Vorſtellung Ich, welche ſie alle begleitet und verknuͤpft, ſo koͤnnen wir niemals ausma- chen, ob dieſes Ich (ein bloſſer Gedanke) nicht eben ſowol flieſſe, als die uͤbrige Gedanken, die dadurch an einander gekettet werden.
Es
einfloͤſſete, ſo wird ſich eine ganze Reihe derſelben denken laſſen, deren die erſte ihren Zuſtand, ſamt deſſen Bewuſt- ſeyn, der zweiten, dieſe ihren eigenen Zuſtand, ſamt dem der vorigen Subſtanz, der dritten und dieſe eben ſo die Zuſtaͤnde aller vorigen, ſamt ihrem eigenen und deren Bewuſtſeyn, mittheilete. Die lezte Subſtanz wuͤrde alſo aller Zuſtaͤnde der vor ihr veraͤnderten Subſtanzen ſich als ihrer eigenen bewuſt ſeyn, weil iene zuſamt dem Bewuſtſeyn in ſie uͤbertragen worden, und dem unerach- tet, wuͤrde ſie doch nicht eben dieſelbe Perſon in allen dieſen Zuſtaͤnden geweſen ſeyn.
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Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch.
Wenn gleich der Satz einiger alten Schulen: daß
alles flieſſend und nichts in der Welt beharrlich und bleibend
ſey, nicht ſtatt finden kan, ſobald man Subſtanzen an-
nimt, ſo iſt er doch nicht durch die Einheit des Selbſtbe-
wuſtſeyns widerlegt. Denn wir ſelbſt koͤnnen aus unſerem
Bewuſtſeyn daruͤber nicht urtheilen, ob wir als Seele be-
harrlich ſind, oder nicht, weil wir zu unſerem identiſchen
Selbſt nur dasienige zehlen, deſſen wir uns bewuſt ſeyn,
und ſo allerdings nothwendig urtheilen muͤſſen: daß wir
in der ganzen Zeit, deren wir uns bewuſt ſeyn, eben die-
ſelbe ſind. In dem Standpuncte eines Fremden aber
koͤnnen wir dieſes darum noch nicht vor guͤltig erklaͤren,
weil, da wir an der Seele keine beharrliche Erſcheinung
antreffen, als nur die Vorſtellung Ich, welche ſie alle
begleitet und verknuͤpft, ſo koͤnnen wir niemals ausma-
chen, ob dieſes Ich (ein bloſſer Gedanke) nicht eben ſowol
flieſſe, als die uͤbrige Gedanken, die dadurch an einander
gekettet werden.
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*) einfloͤſſete, ſo wird ſich eine ganze Reihe derſelben denken
laſſen, deren die erſte ihren Zuſtand, ſamt deſſen Bewuſt-
ſeyn, der zweiten, dieſe ihren eigenen Zuſtand, ſamt
dem der vorigen Subſtanz, der dritten und dieſe eben ſo
die Zuſtaͤnde aller vorigen, ſamt ihrem eigenen und deren
Bewuſtſeyn, mittheilete. Die lezte Subſtanz wuͤrde
alſo aller Zuſtaͤnde der vor ihr veraͤnderten Subſtanzen
ſich als ihrer eigenen bewuſt ſeyn, weil iene zuſamt dem
Bewuſtſeyn in ſie uͤbertragen worden, und dem unerach-
tet, wuͤrde ſie doch nicht eben dieſelbe Perſon in allen
dieſen Zuſtaͤnden geweſen ſeyn.
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/394>, abgerufen am 22.11.2024.
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