so gehören sie doch nicht in die Transscendental-Philoso- phie, weil die Begriffe der Lust und Unlust, der Begier- den und Neigungen, der Willkühr etc. die insgesammt em- pirischen Ursprunges sind, dabey vorausgesetzt werden müßten. Daher ist die Transscendental-Philosophie eine Weltweisheit der reinen blos speculativen Vernunft. Denn alles Praktische, so fern es Bewegungsgründe ent- hält, bezieht sich auf Gefühle, welche zu empirischen Er- kentnißquellen gehören.
Wenn man nun die Eintheilung dieser Wissenschaft aus dem allgemeinen Gesichtspuncte eines Systems über- haupt anstellen will, so muß die, welche wir iezt vortra- gen, erstlich eine Elementar-Lehre, zweitens eine Metho- den-Lehre der reinen Vernunft enthalten. Jeder dieser Haupttheile würde seine Unterabtheilung haben, deren Gründe sich gleichwohl hier noch nicht vortragen lassen. Nur so viel scheint zur Einleitung oder Vorerinnerung nö- thig zu seyn, daß es zwey Stämme der menschlichen Er- kentniß gebe, die vielleicht aus einer gemeinschaftlichen, aber uns unbekanten Wurzel entspringen, nemlich, Sinn- lichkeit und Verstand, durch deren ersteren uns Gegen- stände gegeben, durch den zweiten aber gedacht werden. Sofern nun die Sinnlichkeit Vorstellungena priori ent- halten sollte, welche die Bedingungen ausmachen, unter denen uns Gegenstände gegeben werden, so würde sie zur Transscendental-Philosophie gehören. Die transscen-
den-
Einleitung.
ſo gehoͤren ſie doch nicht in die Transſcendental-Philoſo- phie, weil die Begriffe der Luſt und Unluſt, der Begier- den und Neigungen, der Willkuͤhr ꝛc. die insgeſammt em- piriſchen Urſprunges ſind, dabey vorausgeſetzt werden muͤßten. Daher iſt die Transſcendental-Philoſophie eine Weltweisheit der reinen blos ſpeculativen Vernunft. Denn alles Praktiſche, ſo fern es Bewegungsgruͤnde ent- haͤlt, bezieht ſich auf Gefuͤhle, welche zu empiriſchen Er- kentnißquellen gehoͤren.
Wenn man nun die Eintheilung dieſer Wiſſenſchaft aus dem allgemeinen Geſichtspuncte eines Syſtems uͤber- haupt anſtellen will, ſo muß die, welche wir iezt vortra- gen, erſtlich eine Elementar-Lehre, zweitens eine Metho- den-Lehre der reinen Vernunft enthalten. Jeder dieſer Haupttheile wuͤrde ſeine Unterabtheilung haben, deren Gruͤnde ſich gleichwohl hier noch nicht vortragen laſſen. Nur ſo viel ſcheint zur Einleitung oder Vorerinnerung noͤ- thig zu ſeyn, daß es zwey Staͤmme der menſchlichen Er- kentniß gebe, die vielleicht aus einer gemeinſchaftlichen, aber uns unbekanten Wurzel entſpringen, nemlich, Sinn- lichkeit und Verſtand, durch deren erſteren uns Gegen- ſtaͤnde gegeben, durch den zweiten aber gedacht werden. Sofern nun die Sinnlichkeit Vorſtellungena priori ent- halten ſollte, welche die Bedingungen ausmachen, unter denen uns Gegenſtaͤnde gegeben werden, ſo wuͤrde ſie zur Transſcendental-Philoſophie gehoͤren. Die transſcen-
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Einleitung.
ſo gehoͤren ſie doch nicht in die Transſcendental-Philoſo-
phie, weil die Begriffe der Luſt und Unluſt, der Begier-
den und Neigungen, der Willkuͤhr ꝛc. die insgeſammt em-
piriſchen Urſprunges ſind, dabey vorausgeſetzt werden
muͤßten. Daher iſt die Transſcendental-Philoſophie eine
Weltweisheit der reinen blos ſpeculativen Vernunft.
Denn alles Praktiſche, ſo fern es Bewegungsgruͤnde ent-
haͤlt, bezieht ſich auf Gefuͤhle, welche zu empiriſchen Er-
kentnißquellen gehoͤren.
Wenn man nun die Eintheilung dieſer Wiſſenſchaft
aus dem allgemeinen Geſichtspuncte eines Syſtems uͤber-
haupt anſtellen will, ſo muß die, welche wir iezt vortra-
gen, erſtlich eine Elementar-Lehre, zweitens eine Metho-
den-Lehre der reinen Vernunft enthalten. Jeder dieſer
Haupttheile wuͤrde ſeine Unterabtheilung haben, deren
Gruͤnde ſich gleichwohl hier noch nicht vortragen laſſen.
Nur ſo viel ſcheint zur Einleitung oder Vorerinnerung noͤ-
thig zu ſeyn, daß es zwey Staͤmme der menſchlichen Er-
kentniß gebe, die vielleicht aus einer gemeinſchaftlichen,
aber uns unbekanten Wurzel entſpringen, nemlich, Sinn-
lichkeit und Verſtand, durch deren erſteren uns Gegen-
ſtaͤnde gegeben, durch den zweiten aber gedacht werden.
Sofern nun die Sinnlichkeit Vorſtellungen a priori ent-
halten ſollte, welche die Bedingungen ausmachen, unter
denen uns Gegenſtaͤnde gegeben werden, ſo wuͤrde ſie zur
Transſcendental-Philoſophie gehoͤren. Die transſcen-
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/45>, abgerufen am 21.11.2024.
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