Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Antinomie
zweiter Widerstreit
Thesis.

Eine iede zusammengesezte Substanz in der Welt
besteht aus einfachen Theilen, und es existiret überall nichts
als das Einfache, oder das, was aus diesem zusammenge-
sezt ist.

Beweis.

Denn nehmet an: die zusammengesezte Substanzen
beständen nicht aus einfachen Theilen, so würde, wenn
alle Zusammensetzung in Gedanken aufgehoben würde, kein
zusammengesezter Theil, und (da es keine einfache Theile
giebt) auch kein einfacher, mithin gar nichts übrig blei-
ben, folglich keine Substanz seyn gegeben worden. Ent-
weder also läßt sich unmöglich alle Zusammensetzung in
Gedanken aufheben, oder es muß nach deren Aufhebung
Etwas, ohne alle Zusammensetzung bestehendes, d. i. das
Einfache, übrig bleiben. Im ersteren Falle aber würde
das Zusammengesezte wiederum nicht aus Substanzen be-
stehen (weil bey diesen die Zusammensetzung nur eine zu-
fällige Relation der Substanzen ist, ohne welche diese, als
vor sich beharrliche Wesen, bestehen müssen). Da nun

die
Der Antinomie
zweiter Widerſtreit
Theſis.

Eine iede zuſammengeſezte Subſtanz in der Welt
beſteht aus einfachen Theilen, und es exiſtiret uͤberall nichts
als das Einfache, oder das, was aus dieſem zuſammenge-
ſezt iſt.

Beweis.

Denn nehmet an: die zuſammengeſezte Subſtanzen
beſtaͤnden nicht aus einfachen Theilen, ſo wuͤrde, wenn
alle Zuſammenſetzung in Gedanken aufgehoben wuͤrde, kein
zuſammengeſezter Theil, und (da es keine einfache Theile
giebt) auch kein einfacher, mithin gar nichts uͤbrig blei-
ben, folglich keine Subſtanz ſeyn gegeben worden. Ent-
weder alſo laͤßt ſich unmoͤglich alle Zuſammenſetzung in
Gedanken aufheben, oder es muß nach deren Aufhebung
Etwas, ohne alle Zuſammenſetzung beſtehendes, d. i. das
Einfache, uͤbrig bleiben. Im erſteren Falle aber wuͤrde
das Zuſammengeſezte wiederum nicht aus Subſtanzen be-
ſtehen (weil bey dieſen die Zuſammenſetzung nur eine zu-
faͤllige Relation der Subſtanzen iſt, ohne welche dieſe, als
vor ſich beharrliche Weſen, beſtehen muͤſſen). Da nun

die
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <pb facs="#f0464" n="[434]"/>
                    <div xml:id="f0464" next="#f0466" n="8">
                      <head xml:id="f0464h">Der Antinomie</head><lb/>
                      <div n="9">
                        <head xml:id="f04642h">zweiter Wider&#x017F;treit</head><lb/>
                        <div n="10">
                          <head> <hi rendition="#b">The&#x017F;is.</hi> </head><lb/>
                          <p>Eine iede zu&#x017F;ammenge&#x017F;ezte Sub&#x017F;tanz in der Welt<lb/>
be&#x017F;teht aus einfachen Theilen, und es exi&#x017F;tiret u&#x0364;berall nichts<lb/>
als das Einfache, oder das, was aus die&#x017F;em zu&#x017F;ammenge-<lb/>
&#x017F;ezt i&#x017F;t.</p>
                        </div><lb/>
                        <div n="10">
                          <head> <hi rendition="#b">Beweis.</hi> </head><lb/>
                          <p xml:id="f0464p">Denn nehmet an: die zu&#x017F;ammenge&#x017F;ezte Sub&#x017F;tanzen<lb/>
be&#x017F;ta&#x0364;nden nicht aus einfachen Theilen, &#x017F;o wu&#x0364;rde, wenn<lb/>
alle Zu&#x017F;ammen&#x017F;etzung in Gedanken aufgehoben wu&#x0364;rde, kein<lb/>
zu&#x017F;ammenge&#x017F;ezter Theil, und (da es keine einfache Theile<lb/>
giebt) auch kein einfacher, mithin gar nichts u&#x0364;brig blei-<lb/>
ben, folglich keine Sub&#x017F;tanz &#x017F;eyn gegeben worden. Ent-<lb/>
weder al&#x017F;o la&#x0364;ßt &#x017F;ich unmo&#x0364;glich alle Zu&#x017F;ammen&#x017F;etzung in<lb/>
Gedanken aufheben, oder es muß nach deren Aufhebung<lb/>
Etwas, ohne alle Zu&#x017F;ammen&#x017F;etzung be&#x017F;tehendes, d. i. das<lb/>
Einfache, u&#x0364;brig bleiben. Im er&#x017F;teren Falle aber wu&#x0364;rde<lb/>
das Zu&#x017F;ammenge&#x017F;ezte wiederum nicht aus Sub&#x017F;tanzen be-<lb/>
&#x017F;tehen (weil bey die&#x017F;en die Zu&#x017F;ammen&#x017F;etzung nur eine zu-<lb/>
fa&#x0364;llige Relation der Sub&#x017F;tanzen i&#x017F;t, ohne welche die&#x017F;e, als<lb/>
vor &#x017F;ich beharrliche We&#x017F;en, be&#x017F;tehen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en). Da nun<lb/></p>
                        </div>
                      </div>
                    </div>
                    <fw place="bottom" type="catch">die</fw><lb/>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[434]/0464] Der Antinomie zweiter Widerſtreit Theſis. Eine iede zuſammengeſezte Subſtanz in der Welt beſteht aus einfachen Theilen, und es exiſtiret uͤberall nichts als das Einfache, oder das, was aus dieſem zuſammenge- ſezt iſt. Beweis. Denn nehmet an: die zuſammengeſezte Subſtanzen beſtaͤnden nicht aus einfachen Theilen, ſo wuͤrde, wenn alle Zuſammenſetzung in Gedanken aufgehoben wuͤrde, kein zuſammengeſezter Theil, und (da es keine einfache Theile giebt) auch kein einfacher, mithin gar nichts uͤbrig blei- ben, folglich keine Subſtanz ſeyn gegeben worden. Ent- weder alſo laͤßt ſich unmoͤglich alle Zuſammenſetzung in Gedanken aufheben, oder es muß nach deren Aufhebung Etwas, ohne alle Zuſammenſetzung beſtehendes, d. i. das Einfache, uͤbrig bleiben. Im erſteren Falle aber wuͤrde das Zuſammengeſezte wiederum nicht aus Subſtanzen be- ſtehen (weil bey dieſen die Zuſammenſetzung nur eine zu- faͤllige Relation der Subſtanzen iſt, ohne welche dieſe, als vor ſich beharrliche Weſen, beſtehen muͤſſen). Da nun die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/464
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. [434]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/464>, abgerufen am 22.11.2024.