einsicht auftreten lassen; weil das eigentliche speculative Wissen überall keinen anderen Gegenstand, als den der Erfahrung treffen kan und, wenn man ihre Gränze über- schreitet, die Synthesis, welche neue und von iener unab- hängige Erkentnisse versucht, kein Substratum der An- schauung hat, an welchem sie ausgeübt werden könte.
So aber, wenn der Empirismus in Ansehung der Ideen (wie es mehrentheils geschieht) selbst dogmatisch wird und dasienige dreust verneinet, was über der Sphä- re seiner anschauenden Erkentnisse ist, so fällt er selbst in den Fehler der Unbescheidenheit, der hier um desto tadel- hafter ist, weil dadurch dem practischen Interesse der Ver- nunft ein unersetzlicher Nachtheil verursachet wird.
Dies ist der Gegensatz des Epicureisms*) gegen den Platonism.
Ein
*) Es ist indessen noch die Frage, ob Epicur diese Grund- sätze als obiective Behauptungen iemals vorgetragen ha- be? Wenn sie etwa weiter nichts, als Maximen des speculativen Gebrauchs der Vernunft waren, so zeigte er daran einen ächteren philosophischen Geist, als irgend einer der Weltweisen des Alterthums: daß man in Er- klärung der Erscheinungen so zu Werke gehen müsse, als ob das Feld der Untersuchung durch keine Gränze oder Anfang der Welt abgeschnitten sey, den Stoff der Welt so annehmen, wie er seyn muß, wenn wir von ihm durch Erfahrung belehrt werden wollen, daß keine andere Er- zeugung der Begebenheiten, als wie sie durch unverän- derliche Naturgesetze bestimt werden, und endlich keine von der Weit unterschiedene Ursache müsse gebraucht wer-
den,
G g 4
III. Abſch. Von dem Intereſſe der Vernunft ꝛc.
einſicht auftreten laſſen; weil das eigentliche ſpeculative Wiſſen uͤberall keinen anderen Gegenſtand, als den der Erfahrung treffen kan und, wenn man ihre Graͤnze uͤber- ſchreitet, die Syntheſis, welche neue und von iener unab- haͤngige Erkentniſſe verſucht, kein Subſtratum der An- ſchauung hat, an welchem ſie ausgeuͤbt werden koͤnte.
So aber, wenn der Empirismus in Anſehung der Ideen (wie es mehrentheils geſchieht) ſelbſt dogmatiſch wird und dasienige dreuſt verneinet, was uͤber der Sphaͤ- re ſeiner anſchauenden Erkentniſſe iſt, ſo faͤllt er ſelbſt in den Fehler der Unbeſcheidenheit, der hier um deſto tadel- hafter iſt, weil dadurch dem practiſchen Intereſſe der Ver- nunft ein unerſetzlicher Nachtheil verurſachet wird.
Dies iſt der Gegenſatz des Epicureisms*) gegen den Platonism.
Ein
*) Es iſt indeſſen noch die Frage, ob Epicur dieſe Grund- ſaͤtze als obiective Behauptungen iemals vorgetragen ha- be? Wenn ſie etwa weiter nichts, als Maximen des ſpeculativen Gebrauchs der Vernunft waren, ſo zeigte er daran einen aͤchteren philoſophiſchen Geiſt, als irgend einer der Weltweiſen des Alterthums: daß man in Er- klaͤrung der Erſcheinungen ſo zu Werke gehen muͤſſe, als ob das Feld der Unterſuchung durch keine Graͤnze oder Anfang der Welt abgeſchnitten ſey, den Stoff der Welt ſo annehmen, wie er ſeyn muß, wenn wir von ihm durch Erfahrung belehrt werden wollen, daß keine andere Er- zeugung der Begebenheiten, als wie ſie durch unveraͤn- derliche Naturgeſetze beſtimt werden, und endlich keine von der Weit unterſchiedene Urſache muͤſſe gebraucht wer-
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[471/0501]
III. Abſch. Von dem Intereſſe der Vernunft ꝛc.
einſicht auftreten laſſen; weil das eigentliche ſpeculative
Wiſſen uͤberall keinen anderen Gegenſtand, als den der
Erfahrung treffen kan und, wenn man ihre Graͤnze uͤber-
ſchreitet, die Syntheſis, welche neue und von iener unab-
haͤngige Erkentniſſe verſucht, kein Subſtratum der An-
ſchauung hat, an welchem ſie ausgeuͤbt werden koͤnte.
So aber, wenn der Empirismus in Anſehung der
Ideen (wie es mehrentheils geſchieht) ſelbſt dogmatiſch
wird und dasienige dreuſt verneinet, was uͤber der Sphaͤ-
re ſeiner anſchauenden Erkentniſſe iſt, ſo faͤllt er ſelbſt in
den Fehler der Unbeſcheidenheit, der hier um deſto tadel-
hafter iſt, weil dadurch dem practiſchen Intereſſe der Ver-
nunft ein unerſetzlicher Nachtheil verurſachet wird.
Dies iſt der Gegenſatz des Epicureisms *) gegen
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*) Es iſt indeſſen noch die Frage, ob Epicur dieſe Grund-
ſaͤtze als obiective Behauptungen iemals vorgetragen ha-
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ſpeculativen Gebrauchs der Vernunft waren, ſo zeigte er
daran einen aͤchteren philoſophiſchen Geiſt, als irgend
einer der Weltweiſen des Alterthums: daß man in Er-
klaͤrung der Erſcheinungen ſo zu Werke gehen muͤſſe, als
ob das Feld der Unterſuchung durch keine Graͤnze oder
Anfang der Welt abgeſchnitten ſey, den Stoff der Welt
ſo annehmen, wie er ſeyn muß, wenn wir von ihm durch
Erfahrung belehrt werden wollen, daß keine andere Er-
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 471. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/501>, abgerufen am 16.07.2024.
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