Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Abschnitt. Von dem Raume.
überhaupt, sondern eine reine Anschauung. Denn erstlich
kan man sich nur einen einigen Raum vorstellen, und wenn
man von vielen Räumen redet, so verstehet man darunter
nur Theile eines und desselben alleinigen Raumes. Diese
Theile können auch nicht vor dem einigen allbefassenden
Raume gleichsam als dessen Bestandtheile, (daraus seine
Zusammensetzung möglich sey) vorhergehen, sondern nur
in ihm gedacht werden. Er ist wesentlich einig, das Man-
nigfaltige in ihm, mithin auch der allgemeine Begriff von
Räumen überhaupt beruht lediglich auf Einschränkungen.
Hieraus folgt, daß in Ansehung seiner eine Anschauung
a priori, (die nicht empirisch ist) allen Begriffen von den-
selben zum Grunde liege. So werden auch alle geome-
trische Grundsätze, z. E. daß in einem Triangel zwey Sei-
ten zusammen größer seyn, als die dritte, niemals aus
allgemeinen Begriffen von Linie und Triangel, sondern aus
der Anschauung und zwar a priori mit apodictischer Ge-
wißheit abgeleitet.

5) Der Raum wird als eine unendliche Größe ge-
geben vorgestellt. Ein allgemeiner Begriff vom Raum
(der so wohl in dem Fusse, als einer Elle gemein ist,) kan
in Ansehung der Grösse nichts bestimmen. Wäre es nicht
die Grenzenlosigkeit im Fortgange der Anschauung, so
würde kein Begriff von Verhältnissen ein Principium der
Unendlichkeit derselben bey sich führen.


Schlüsse
B 5

I. Abſchnitt. Von dem Raume.
uͤberhaupt, ſondern eine reine Anſchauung. Denn erſtlich
kan man ſich nur einen einigen Raum vorſtellen, und wenn
man von vielen Raͤumen redet, ſo verſtehet man darunter
nur Theile eines und deſſelben alleinigen Raumes. Dieſe
Theile koͤnnen auch nicht vor dem einigen allbefaſſenden
Raume gleichſam als deſſen Beſtandtheile, (daraus ſeine
Zuſammenſetzung moͤglich ſey) vorhergehen, ſondern nur
in ihm gedacht werden. Er iſt weſentlich einig, das Man-
nigfaltige in ihm, mithin auch der allgemeine Begriff von
Raͤumen uͤberhaupt beruht lediglich auf Einſchraͤnkungen.
Hieraus folgt, daß in Anſehung ſeiner eine Anſchauung
a priori, (die nicht empiriſch iſt) allen Begriffen von den-
ſelben zum Grunde liege. So werden auch alle geome-
triſche Grundſaͤtze, z. E. daß in einem Triangel zwey Sei-
ten zuſammen groͤßer ſeyn, als die dritte, niemals aus
allgemeinen Begriffen von Linie und Triangel, ſondern aus
der Anſchauung und zwar a priori mit apodictiſcher Ge-
wißheit abgeleitet.

5) Der Raum wird als eine unendliche Groͤße ge-
geben vorgeſtellt. Ein allgemeiner Begriff vom Raum
(der ſo wohl in dem Fuſſe, als einer Elle gemein iſt,) kan
in Anſehung der Groͤſſe nichts beſtimmen. Waͤre es nicht
die Grenzenloſigkeit im Fortgange der Anſchauung, ſo
wuͤrde kein Begriff von Verhaͤltniſſen ein Principium der
Unendlichkeit derſelben bey ſich fuͤhren.


Schluͤſſe
B 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0055" n="25"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Ab&#x017F;chnitt. Von dem Raume.</fw><lb/>
u&#x0364;berhaupt, &#x017F;ondern eine reine An&#x017F;chauung. Denn er&#x017F;tlich<lb/>
kan man &#x017F;ich nur einen einigen Raum vor&#x017F;tellen, und wenn<lb/>
man von vielen Ra&#x0364;umen redet, &#x017F;o ver&#x017F;tehet man darunter<lb/>
nur Theile eines und de&#x017F;&#x017F;elben alleinigen Raumes. Die&#x017F;e<lb/>
Theile ko&#x0364;nnen auch nicht vor dem einigen allbefa&#x017F;&#x017F;enden<lb/>
Raume gleich&#x017F;am als de&#x017F;&#x017F;en Be&#x017F;tandtheile, (daraus &#x017F;eine<lb/>
Zu&#x017F;ammen&#x017F;etzung mo&#x0364;glich &#x017F;ey) vorhergehen, &#x017F;ondern nur<lb/>
in ihm gedacht werden. Er i&#x017F;t we&#x017F;entlich einig, das Man-<lb/>
nigfaltige in ihm, mithin auch der allgemeine Begriff von<lb/>
Ra&#x0364;umen u&#x0364;berhaupt beruht lediglich auf Ein&#x017F;chra&#x0364;nkungen.<lb/>
Hieraus folgt, daß in An&#x017F;ehung &#x017F;einer eine An&#x017F;chauung<lb/><hi rendition="#aq">a priori,</hi> (die nicht empiri&#x017F;ch i&#x017F;t) allen Begriffen von den-<lb/>
&#x017F;elben zum Grunde liege. So werden auch alle geome-<lb/>
tri&#x017F;che Grund&#x017F;a&#x0364;tze, z. E. daß in einem Triangel zwey Sei-<lb/>
ten zu&#x017F;ammen gro&#x0364;ßer &#x017F;eyn, als die dritte, niemals aus<lb/>
allgemeinen Begriffen von Linie und Triangel, &#x017F;ondern aus<lb/>
der An&#x017F;chauung und zwar <hi rendition="#aq">a priori</hi> mit apodicti&#x017F;cher Ge-<lb/>
wißheit abgeleitet.</p><lb/>
            <p>5) Der Raum wird als eine unendliche Gro&#x0364;ße ge-<lb/>
geben vorge&#x017F;tellt. Ein allgemeiner Begriff vom Raum<lb/>
(der &#x017F;o wohl in dem Fu&#x017F;&#x017F;e, als einer Elle gemein i&#x017F;t,) kan<lb/>
in An&#x017F;ehung der Gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;e nichts be&#x017F;timmen. Wa&#x0364;re es nicht<lb/>
die Grenzenlo&#x017F;igkeit im Fortgange der An&#x017F;chauung, &#x017F;o<lb/>
wu&#x0364;rde kein Begriff von Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;en ein Principium der<lb/>
Unendlichkeit der&#x017F;elben bey &#x017F;ich fu&#x0364;hren.</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig">B 5</fw>
            <fw place="bottom" type="catch">Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[25/0055] I. Abſchnitt. Von dem Raume. uͤberhaupt, ſondern eine reine Anſchauung. Denn erſtlich kan man ſich nur einen einigen Raum vorſtellen, und wenn man von vielen Raͤumen redet, ſo verſtehet man darunter nur Theile eines und deſſelben alleinigen Raumes. Dieſe Theile koͤnnen auch nicht vor dem einigen allbefaſſenden Raume gleichſam als deſſen Beſtandtheile, (daraus ſeine Zuſammenſetzung moͤglich ſey) vorhergehen, ſondern nur in ihm gedacht werden. Er iſt weſentlich einig, das Man- nigfaltige in ihm, mithin auch der allgemeine Begriff von Raͤumen uͤberhaupt beruht lediglich auf Einſchraͤnkungen. Hieraus folgt, daß in Anſehung ſeiner eine Anſchauung a priori, (die nicht empiriſch iſt) allen Begriffen von den- ſelben zum Grunde liege. So werden auch alle geome- triſche Grundſaͤtze, z. E. daß in einem Triangel zwey Sei- ten zuſammen groͤßer ſeyn, als die dritte, niemals aus allgemeinen Begriffen von Linie und Triangel, ſondern aus der Anſchauung und zwar a priori mit apodictiſcher Ge- wißheit abgeleitet. 5) Der Raum wird als eine unendliche Groͤße ge- geben vorgeſtellt. Ein allgemeiner Begriff vom Raum (der ſo wohl in dem Fuſſe, als einer Elle gemein iſt,) kan in Anſehung der Groͤſſe nichts beſtimmen. Waͤre es nicht die Grenzenloſigkeit im Fortgange der Anſchauung, ſo wuͤrde kein Begriff von Verhaͤltniſſen ein Principium der Unendlichkeit derſelben bey ſich fuͤhren. Schluͤſſe B 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/55
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/55>, abgerufen am 23.11.2024.