Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst.
Prädicats im Urtheile. Der vorige Satz sagte nicht: daß drey Winkel schlechterdings nothwendig seyn, sondern, un- ter der Bedingung, daß ein Triangel da ist, (gegeben ist) sind auch drey Winkel (in ihm) nothwendiger Weise da. Gleichwol hat diese logische Nothwendigkeit eine so grosse Macht ihrer Illusion bewiesen: daß, indem man sich einen Be- griff a priori von einem Dinge gemacht hatte, der so gestellet war, daß man seiner Meinung nach das Daseyn mit in seinen Umfang begriff, man daraus glaubete sicher schliessen zu können, daß, weil dem Obiect dieses Begriffs das Daseyn nothwendig zukomt, d. i. unter der Bedingung, daß ich dieses Ding als gegeben (existirend) setze, auch sein Daseyn nothwendig (nach der Regel der Identität) gesezt werde und dieses Wesen daher selbst schlechterdings- nothwendig sey, weil sein Daseyn in einem nach Belieben angenommenen Begriffe und unter der Bedingung, daß ich den Gegenstand desselben setze, mit gedacht wird.
Wenn ich das Prädicat in einem identischen Urtheile aufhebe und behalte das Subiect, so entspringt ein Wi- derspruch und daher sage ich: ienes komt diesem nothwen- diger Weise zu. Hebe ich aber das Subiect zusamt dem Prädicate auf, so entspringt kein Widerspruch; denn es ist nichts mehr, welchem widersprochen werden könte. Einen Triangel setzen und doch die drey Winkel desselben aufheben, ist widersprechend, aber den Triangel samt sei- nen drey Winkeln aufheben, ist kein Widerspruch. Gerade eben so ist es mit dem Begriffe eines absolutnothwendigen
Wesens
Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt.
Praͤdicats im Urtheile. Der vorige Satz ſagte nicht: daß drey Winkel ſchlechterdings nothwendig ſeyn, ſondern, un- ter der Bedingung, daß ein Triangel da iſt, (gegeben iſt) ſind auch drey Winkel (in ihm) nothwendiger Weiſe da. Gleichwol hat dieſe logiſche Nothwendigkeit eine ſo groſſe Macht ihrer Illuſion bewieſen: daß, indem man ſich einen Be- griff a priori von einem Dinge gemacht hatte, der ſo geſtellet war, daß man ſeiner Meinung nach das Daſeyn mit in ſeinen Umfang begriff, man daraus glaubete ſicher ſchlieſſen zu koͤnnen, daß, weil dem Obiect dieſes Begriffs das Daſeyn nothwendig zukomt, d. i. unter der Bedingung, daß ich dieſes Ding als gegeben (exiſtirend) ſetze, auch ſein Daſeyn nothwendig (nach der Regel der Identitaͤt) geſezt werde und dieſes Weſen daher ſelbſt ſchlechterdings- nothwendig ſey, weil ſein Daſeyn in einem nach Belieben angenommenen Begriffe und unter der Bedingung, daß ich den Gegenſtand deſſelben ſetze, mit gedacht wird.
Wenn ich das Praͤdicat in einem identiſchen Urtheile aufhebe und behalte das Subiect, ſo entſpringt ein Wi- derſpruch und daher ſage ich: ienes komt dieſem nothwen- diger Weiſe zu. Hebe ich aber das Subiect zuſamt dem Praͤdicate auf, ſo entſpringt kein Widerſpruch; denn es iſt nichts mehr, welchem widerſprochen werden koͤnte. Einen Triangel ſetzen und doch die drey Winkel deſſelben aufheben, iſt widerſprechend, aber den Triangel ſamt ſei- nen drey Winkeln aufheben, iſt kein Widerſpruch. Gerade eben ſo iſt es mit dem Begriffe eines abſolutnothwendigen
Weſens
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Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt.
Praͤdicats im Urtheile. Der vorige Satz ſagte nicht: daß
drey Winkel ſchlechterdings nothwendig ſeyn, ſondern, un-
ter der Bedingung, daß ein Triangel da iſt, (gegeben iſt)
ſind auch drey Winkel (in ihm) nothwendiger Weiſe da.
Gleichwol hat dieſe logiſche Nothwendigkeit eine ſo groſſe
Macht ihrer Illuſion bewieſen: daß, indem man ſich einen Be-
griff a priori von einem Dinge gemacht hatte, der ſo
geſtellet war, daß man ſeiner Meinung nach das Daſeyn
mit in ſeinen Umfang begriff, man daraus glaubete ſicher
ſchlieſſen zu koͤnnen, daß, weil dem Obiect dieſes Begriffs
das Daſeyn nothwendig zukomt, d. i. unter der Bedingung,
daß ich dieſes Ding als gegeben (exiſtirend) ſetze, auch
ſein Daſeyn nothwendig (nach der Regel der Identitaͤt)
geſezt werde und dieſes Weſen daher ſelbſt ſchlechterdings-
nothwendig ſey, weil ſein Daſeyn in einem nach Belieben
angenommenen Begriffe und unter der Bedingung, daß ich
den Gegenſtand deſſelben ſetze, mit gedacht wird.
Wenn ich das Praͤdicat in einem identiſchen Urtheile
aufhebe und behalte das Subiect, ſo entſpringt ein Wi-
derſpruch und daher ſage ich: ienes komt dieſem nothwen-
diger Weiſe zu. Hebe ich aber das Subiect zuſamt dem
Praͤdicate auf, ſo entſpringt kein Widerſpruch; denn es
iſt nichts mehr, welchem widerſprochen werden koͤnte.
Einen Triangel ſetzen und doch die drey Winkel deſſelben
aufheben, iſt widerſprechend, aber den Triangel ſamt ſei-
nen drey Winkeln aufheben, iſt kein Widerſpruch. Gerade
eben ſo iſt es mit dem Begriffe eines abſolutnothwendigen
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 594. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/624>, abgerufen am 22.11.2024.
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