Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

VII. Absch. Critik aller speculativen Theologie.
Idee und nicht in der Realität, nemlich nur, so fern er
ein uns unbekantes Substratum der systematischen Einheit,
Ordnung und Zweckmässigkeit der Welteinrichtung ist, wel-
che sich die Vernunft zum regulativen Princip ihrer Natur-
forschung machen muß. Noch mehr, wir können in dieser
Idee gewisse Anthropomorphismen, die dem gedachten re-
gulativen Princip beförderlich seyn, ungescheut und ungeta-
delt erlauben. Denn es ist immer nur eine Idee, die gar
nicht direct auf ein von der Welt unterschiedenes Wesen,
sondern auf das regulative Princip der systematischen Ein-
heit der Welt, aber nur vermittelst eines Schema dersel-
ben, nemlich einer obersten Intelligenz, die nach weisen
Absichten Urheber derselben sey, bezogen wird. Was die-
ser Urgrund der Welteinheit an sich selbst sey, hat dadurch
nicht gedacht werden sollen, sondern wie wir ihn, oder
vielmehr seine Idee, relativ auf den systematischen Gebrauch
der Vernunft in Ansehung der Dinge der Welt, brau-
chen sollen.

Auf solche Weise aber können wir doch (wird man
fortfahren zu fragen) einen einigen weisen und allgewalti-
gen Welturheber annehmen? Ohne allen Zweifel; und
nicht allein dies, sondern wir müssen einen solchen vor-
aussetzen. Aber alsdenn erweitern wir doch unsere Er-
kentniß über das Feld möglicher Erfahrung? Keineswe-
ges. Denn wir haben nur ein Etwas vorausgesezt, wo-

von
X x 5

VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie.
Idee und nicht in der Realitaͤt, nemlich nur, ſo fern er
ein uns unbekantes Subſtratum der ſyſtematiſchen Einheit,
Ordnung und Zweckmaͤſſigkeit der Welteinrichtung iſt, wel-
che ſich die Vernunft zum regulativen Princip ihrer Natur-
forſchung machen muß. Noch mehr, wir koͤnnen in dieſer
Idee gewiſſe Anthropomorphismen, die dem gedachten re-
gulativen Princip befoͤrderlich ſeyn, ungeſcheut und ungeta-
delt erlauben. Denn es iſt immer nur eine Idee, die gar
nicht direct auf ein von der Welt unterſchiedenes Weſen,
ſondern auf das regulative Princip der ſyſtematiſchen Ein-
heit der Welt, aber nur vermittelſt eines Schema derſel-
ben, nemlich einer oberſten Intelligenz, die nach weiſen
Abſichten Urheber derſelben ſey, bezogen wird. Was die-
ſer Urgrund der Welteinheit an ſich ſelbſt ſey, hat dadurch
nicht gedacht werden ſollen, ſondern wie wir ihn, oder
vielmehr ſeine Idee, relativ auf den ſyſtematiſchen Gebrauch
der Vernunft in Anſehung der Dinge der Welt, brau-
chen ſollen.

Auf ſolche Weiſe aber koͤnnen wir doch (wird man
fortfahren zu fragen) einen einigen weiſen und allgewalti-
gen Welturheber annehmen? Ohne allen Zweifel; und
nicht allein dies, ſondern wir muͤſſen einen ſolchen vor-
ausſetzen. Aber alsdenn erweitern wir doch unſere Er-
kentniß uͤber das Feld moͤglicher Erfahrung? Keineswe-
ges. Denn wir haben nur ein Etwas vorausgeſezt, wo-

von
X x 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <div n="9">
                        <p><pb facs="#f0727" n="697"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">VII.</hi> Ab&#x017F;ch. Critik aller &#x017F;peculativen Theologie.</fw><lb/>
Idee und nicht in der Realita&#x0364;t, nemlich nur, &#x017F;o fern er<lb/>
ein uns unbekantes Sub&#x017F;tratum der &#x017F;y&#x017F;temati&#x017F;chen Einheit,<lb/>
Ordnung und Zweckma&#x0364;&#x017F;&#x017F;igkeit der Welteinrichtung i&#x017F;t, wel-<lb/>
che &#x017F;ich die Vernunft zum regulativen Princip ihrer Natur-<lb/>
for&#x017F;chung machen muß. Noch mehr, wir ko&#x0364;nnen in die&#x017F;er<lb/>
Idee gewi&#x017F;&#x017F;e Anthropomorphismen, die dem gedachten re-<lb/>
gulativen Princip befo&#x0364;rderlich &#x017F;eyn, unge&#x017F;cheut und ungeta-<lb/>
delt erlauben. Denn es i&#x017F;t immer nur eine Idee, die gar<lb/>
nicht direct auf ein von der Welt unter&#x017F;chiedenes We&#x017F;en,<lb/>
&#x017F;ondern auf das regulative Princip der &#x017F;y&#x017F;temati&#x017F;chen Ein-<lb/>
heit der Welt, aber nur vermittel&#x017F;t eines Schema der&#x017F;el-<lb/>
ben, nemlich einer ober&#x017F;ten Intelligenz, die nach wei&#x017F;en<lb/>
Ab&#x017F;ichten Urheber der&#x017F;elben &#x017F;ey, bezogen wird. Was die-<lb/>
&#x017F;er Urgrund der Welteinheit an &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ey, hat dadurch<lb/>
nicht gedacht werden &#x017F;ollen, &#x017F;ondern wie wir ihn, oder<lb/>
vielmehr &#x017F;eine Idee, relativ auf den &#x017F;y&#x017F;temati&#x017F;chen Gebrauch<lb/>
der Vernunft in An&#x017F;ehung der Dinge der Welt, brau-<lb/>
chen &#x017F;ollen.</p><lb/>
                        <p>Auf &#x017F;olche Wei&#x017F;e aber ko&#x0364;nnen wir doch (wird man<lb/>
fortfahren zu fragen) einen einigen wei&#x017F;en und allgewalti-<lb/>
gen Welturheber annehmen? Ohne allen Zweifel; und<lb/>
nicht allein dies, &#x017F;ondern wir mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en einen &#x017F;olchen vor-<lb/>
aus&#x017F;etzen. Aber alsdenn erweitern wir doch un&#x017F;ere Er-<lb/>
kentniß u&#x0364;ber das Feld mo&#x0364;glicher Erfahrung? Keineswe-<lb/>
ges. Denn wir haben nur ein Etwas vorausge&#x017F;ezt, wo-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">X x 5</fw><fw place="bottom" type="catch">von</fw><lb/></p>
                      </div>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[697/0727] VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie. Idee und nicht in der Realitaͤt, nemlich nur, ſo fern er ein uns unbekantes Subſtratum der ſyſtematiſchen Einheit, Ordnung und Zweckmaͤſſigkeit der Welteinrichtung iſt, wel- che ſich die Vernunft zum regulativen Princip ihrer Natur- forſchung machen muß. Noch mehr, wir koͤnnen in dieſer Idee gewiſſe Anthropomorphismen, die dem gedachten re- gulativen Princip befoͤrderlich ſeyn, ungeſcheut und ungeta- delt erlauben. Denn es iſt immer nur eine Idee, die gar nicht direct auf ein von der Welt unterſchiedenes Weſen, ſondern auf das regulative Princip der ſyſtematiſchen Ein- heit der Welt, aber nur vermittelſt eines Schema derſel- ben, nemlich einer oberſten Intelligenz, die nach weiſen Abſichten Urheber derſelben ſey, bezogen wird. Was die- ſer Urgrund der Welteinheit an ſich ſelbſt ſey, hat dadurch nicht gedacht werden ſollen, ſondern wie wir ihn, oder vielmehr ſeine Idee, relativ auf den ſyſtematiſchen Gebrauch der Vernunft in Anſehung der Dinge der Welt, brau- chen ſollen. Auf ſolche Weiſe aber koͤnnen wir doch (wird man fortfahren zu fragen) einen einigen weiſen und allgewalti- gen Welturheber annehmen? Ohne allen Zweifel; und nicht allein dies, ſondern wir muͤſſen einen ſolchen vor- ausſetzen. Aber alsdenn erweitern wir doch unſere Er- kentniß uͤber das Feld moͤglicher Erfahrung? Keineswe- ges. Denn wir haben nur ein Etwas vorausgeſezt, wo- von X x 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/727
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 697. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/727>, abgerufen am 27.06.2024.