ung geführt werden. Im transscendentalen Erkentniß, so lange es blos mit Begriffen des Verstandes zu thun hat, ist diese Richtschnur die mögliche Erfahrung. Der Beweis zeigt nemlich nicht: daß der gegebene Begriff (z. B. von dem, was geschieht) geradezu auf einen anderen Begriff (dem einer Ursache) führe; denn dergleichen Uebergang wäre ein Sprung, der sich gar nicht verantworten liesse, sondern er zeigt: daß die Erfahrung selbst, mithin das Obiect der Erfahrung, ohne eine solche Verknüpfung un- möglich wäre. Also mußte der Beweis zugleich die Mög- lichkeit anzeigen, synthetisch und a priori zu einer gewis- sen Erkentniß von Dingen zu gelangen, die in dem Be- griffe von ihnen nicht enthalten war. Ohne diese Auf- merksamkeit laufen die Beweise wie Wasser, welche ihre Ufer durchbrechen, wild und querfeld ein, dahin, wo der Hang der verborgenen Association sie zufälliger Weise her- leitet. Der Schein der Ueberzeugung, welcher auf sub- iectiven Ursachen der Association beruht und vor die Ein- sicht einer natürlichen Affinität gehalten wird, kan der Bedenklichkeit gar nicht die Wage halten, die sich billiger maassen über dergleichen gewagte Schritte einfinden muß. Daher sind auch alle Versuche, den Satz des zureichenden Grundes zu beweisen, nach dem allgemeinen Geständnisse der Kenner, vergeblich gewesen und, ehe die transscen- dentale Critik auftrat, hat man lieber, da man diesen Grundsatz doch nicht verlassen konte, sich trotzig auf den gesunden Menschenverstand berufen, (eine Zuslucht, die
ieder-
Die Diſciplin d. r. Vernunft in Beweiſen.
ung gefuͤhrt werden. Im transſcendentalen Erkentniß, ſo lange es blos mit Begriffen des Verſtandes zu thun hat, iſt dieſe Richtſchnur die moͤgliche Erfahrung. Der Beweis zeigt nemlich nicht: daß der gegebene Begriff (z. B. von dem, was geſchieht) geradezu auf einen anderen Begriff (dem einer Urſache) fuͤhre; denn dergleichen Uebergang waͤre ein Sprung, der ſich gar nicht verantworten lieſſe, ſondern er zeigt: daß die Erfahrung ſelbſt, mithin das Obiect der Erfahrung, ohne eine ſolche Verknuͤpfung un- moͤglich waͤre. Alſo mußte der Beweis zugleich die Moͤg- lichkeit anzeigen, ſynthetiſch und a priori zu einer gewiſ- ſen Erkentniß von Dingen zu gelangen, die in dem Be- griffe von ihnen nicht enthalten war. Ohne dieſe Auf- merkſamkeit laufen die Beweiſe wie Waſſer, welche ihre Ufer durchbrechen, wild und querfeld ein, dahin, wo der Hang der verborgenen Aſſociation ſie zufaͤlliger Weiſe her- leitet. Der Schein der Ueberzeugung, welcher auf ſub- iectiven Urſachen der Aſſociation beruht und vor die Ein- ſicht einer natuͤrlichen Affinitaͤt gehalten wird, kan der Bedenklichkeit gar nicht die Wage halten, die ſich billiger maaſſen uͤber dergleichen gewagte Schritte einfinden muß. Daher ſind auch alle Verſuche, den Satz des zureichenden Grundes zu beweiſen, nach dem allgemeinen Geſtaͤndniſſe der Kenner, vergeblich geweſen und, ehe die transſcen- dentale Critik auftrat, hat man lieber, da man dieſen Grundſatz doch nicht verlaſſen konte, ſich trotzig auf den geſunden Menſchenverſtand berufen, (eine Zuſlucht, die
ieder-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0813"n="783"/><fwplace="top"type="header">Die Diſciplin d. r. Vernunft in Beweiſen.</fw><lb/>
ung gefuͤhrt werden. Im transſcendentalen Erkentniß,<lb/>ſo lange es blos mit Begriffen des Verſtandes zu thun hat,<lb/>
iſt dieſe Richtſchnur die moͤgliche Erfahrung. Der Beweis<lb/>
zeigt nemlich nicht: daß der gegebene Begriff (z. B. von<lb/>
dem, was geſchieht) geradezu auf einen anderen Begriff<lb/>
(dem einer Urſache) fuͤhre; denn dergleichen Uebergang<lb/>
waͤre ein Sprung, der ſich gar nicht verantworten lieſſe,<lb/>ſondern er zeigt: daß die Erfahrung ſelbſt, mithin das<lb/>
Obiect der Erfahrung, ohne eine ſolche Verknuͤpfung un-<lb/>
moͤglich waͤre. Alſo mußte der Beweis zugleich die Moͤg-<lb/>
lichkeit anzeigen, ſynthetiſch und <hirendition="#aq">a priori</hi> zu einer gewiſ-<lb/>ſen Erkentniß von Dingen zu gelangen, die in dem Be-<lb/>
griffe von ihnen nicht enthalten war. Ohne dieſe Auf-<lb/>
merkſamkeit laufen die Beweiſe wie Waſſer, welche ihre<lb/>
Ufer durchbrechen, wild und querfeld ein, dahin, wo der<lb/>
Hang der verborgenen Aſſociation ſie zufaͤlliger Weiſe her-<lb/>
leitet. Der Schein der Ueberzeugung, welcher auf ſub-<lb/>
iectiven Urſachen der Aſſociation beruht und vor die Ein-<lb/>ſicht einer natuͤrlichen Affinitaͤt gehalten wird, kan der<lb/>
Bedenklichkeit gar nicht die Wage halten, die ſich billiger<lb/>
maaſſen uͤber dergleichen gewagte Schritte einfinden muß.<lb/>
Daher ſind auch alle Verſuche, den Satz des zureichenden<lb/>
Grundes zu beweiſen, nach dem allgemeinen Geſtaͤndniſſe<lb/>
der Kenner, vergeblich geweſen und, ehe die transſcen-<lb/>
dentale Critik auftrat, hat man lieber, da man dieſen<lb/>
Grundſatz doch nicht verlaſſen konte, ſich trotzig auf den<lb/>
geſunden Menſchenverſtand berufen, (eine Zuſlucht, die<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ieder-</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[783/0813]
Die Diſciplin d. r. Vernunft in Beweiſen.
ung gefuͤhrt werden. Im transſcendentalen Erkentniß,
ſo lange es blos mit Begriffen des Verſtandes zu thun hat,
iſt dieſe Richtſchnur die moͤgliche Erfahrung. Der Beweis
zeigt nemlich nicht: daß der gegebene Begriff (z. B. von
dem, was geſchieht) geradezu auf einen anderen Begriff
(dem einer Urſache) fuͤhre; denn dergleichen Uebergang
waͤre ein Sprung, der ſich gar nicht verantworten lieſſe,
ſondern er zeigt: daß die Erfahrung ſelbſt, mithin das
Obiect der Erfahrung, ohne eine ſolche Verknuͤpfung un-
moͤglich waͤre. Alſo mußte der Beweis zugleich die Moͤg-
lichkeit anzeigen, ſynthetiſch und a priori zu einer gewiſ-
ſen Erkentniß von Dingen zu gelangen, die in dem Be-
griffe von ihnen nicht enthalten war. Ohne dieſe Auf-
merkſamkeit laufen die Beweiſe wie Waſſer, welche ihre
Ufer durchbrechen, wild und querfeld ein, dahin, wo der
Hang der verborgenen Aſſociation ſie zufaͤlliger Weiſe her-
leitet. Der Schein der Ueberzeugung, welcher auf ſub-
iectiven Urſachen der Aſſociation beruht und vor die Ein-
ſicht einer natuͤrlichen Affinitaͤt gehalten wird, kan der
Bedenklichkeit gar nicht die Wage halten, die ſich billiger
maaſſen uͤber dergleichen gewagte Schritte einfinden muß.
Daher ſind auch alle Verſuche, den Satz des zureichenden
Grundes zu beweiſen, nach dem allgemeinen Geſtaͤndniſſe
der Kenner, vergeblich geweſen und, ehe die transſcen-
dentale Critik auftrat, hat man lieber, da man dieſen
Grundſatz doch nicht verlaſſen konte, ſich trotzig auf den
geſunden Menſchenverſtand berufen, (eine Zuſlucht, die
ieder-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 783. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/813>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.