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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

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Methodenlehre II. Hauptst. II. Absch.
der Dinge ist. Jenes läuft zulezt auf den Schluß hinaus:
daß etwas sey (was den lezten möglichen Zweck bestimt),
weil etwas geschehen soll; dieses, daß etwas sey (was
als oberste Ursache wirkt), weil etwas geschieht.

Glückseligkeit ist die Befriedigung aller unserer Nei-
gungen, (so wol extensive, der Mannigfaltigkeit dersel-
ben, als intensive, dem Grade, als auch protensive,
der Dauer nach). Das practische Gesetz aus dem Be-
wegungsgrunde der Glückseligkeit nenne ich pragmatisch,
(Klugheitsregel) dasienige aber, wofern ein solches ist,
das zum Bewegungsgrunde nichts anderes hat, als die
Würdigkeit, glücklich zu seyn, moralisch (Sittengesetz).
Das erstere räth, was zu thun sey, wenn wir der Glück-
seligkeit wollen theilhaftig, das zweite gebietet, wie wir
uns verhalten sollen, um nur der Glückseligkeit würdig
zu werden. Das erstere gründet sich auf empirische Prin-
cipien; denn anders, wie vermittelst der Erfahrung, kan
ich weder wissen, welche Neigungen da sind, die befrie-
digt werden wollen, noch welches die Naturursachen sind,
die ihre Befriedigung bewirken können. Das zweite ab-
strahirt von Neigungen und Naturmitteln, sie zu befrie-
digen und betrachtet nur die Freiheit eines vernünftigen
Wesens überhaupt und die nothwendige Bedingungen, un-
ter denen sie allein mit der Austheilung der Glückseligkeit
nach Principien zusammenstimt, und kan also wenigstens
auf blossen Ideen der reinen Vernunft beruhen und a
priori
erkant werden.


Ich

Methodenlehre II. Hauptſt. II. Abſch.
der Dinge iſt. Jenes laͤuft zulezt auf den Schluß hinaus:
daß etwas ſey (was den lezten moͤglichen Zweck beſtimt),
weil etwas geſchehen ſoll; dieſes, daß etwas ſey (was
als oberſte Urſache wirkt), weil etwas geſchieht.

Gluͤckſeligkeit iſt die Befriedigung aller unſerer Nei-
gungen, (ſo wol extenſive, der Mannigfaltigkeit derſel-
ben, als intenſive, dem Grade, als auch protenſive,
der Dauer nach). Das practiſche Geſetz aus dem Be-
wegungsgrunde der Gluͤckſeligkeit nenne ich pragmatiſch,
(Klugheitsregel) dasienige aber, wofern ein ſolches iſt,
das zum Bewegungsgrunde nichts anderes hat, als die
Wuͤrdigkeit, gluͤcklich zu ſeyn, moraliſch (Sittengeſetz).
Das erſtere raͤth, was zu thun ſey, wenn wir der Gluͤck-
ſeligkeit wollen theilhaftig, das zweite gebietet, wie wir
uns verhalten ſollen, um nur der Gluͤckſeligkeit wuͤrdig
zu werden. Das erſtere gruͤndet ſich auf empiriſche Prin-
cipien; denn anders, wie vermittelſt der Erfahrung, kan
ich weder wiſſen, welche Neigungen da ſind, die befrie-
digt werden wollen, noch welches die Natururſachen ſind,
die ihre Befriedigung bewirken koͤnnen. Das zweite ab-
ſtrahirt von Neigungen und Naturmitteln, ſie zu befrie-
digen und betrachtet nur die Freiheit eines vernuͤnftigen
Weſens uͤberhaupt und die nothwendige Bedingungen, un-
ter denen ſie allein mit der Austheilung der Gluͤckſeligkeit
nach Principien zuſammenſtimt, und kan alſo wenigſtens
auf bloſſen Ideen der reinen Vernunft beruhen und a
priori
erkant werden.


Ich
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[806/0836] Methodenlehre II. Hauptſt. II. Abſch. der Dinge iſt. Jenes laͤuft zulezt auf den Schluß hinaus: daß etwas ſey (was den lezten moͤglichen Zweck beſtimt), weil etwas geſchehen ſoll; dieſes, daß etwas ſey (was als oberſte Urſache wirkt), weil etwas geſchieht. Gluͤckſeligkeit iſt die Befriedigung aller unſerer Nei- gungen, (ſo wol extenſive, der Mannigfaltigkeit derſel- ben, als intenſive, dem Grade, als auch protenſive, der Dauer nach). Das practiſche Geſetz aus dem Be- wegungsgrunde der Gluͤckſeligkeit nenne ich pragmatiſch, (Klugheitsregel) dasienige aber, wofern ein ſolches iſt, das zum Bewegungsgrunde nichts anderes hat, als die Wuͤrdigkeit, gluͤcklich zu ſeyn, moraliſch (Sittengeſetz). Das erſtere raͤth, was zu thun ſey, wenn wir der Gluͤck- ſeligkeit wollen theilhaftig, das zweite gebietet, wie wir uns verhalten ſollen, um nur der Gluͤckſeligkeit wuͤrdig zu werden. Das erſtere gruͤndet ſich auf empiriſche Prin- cipien; denn anders, wie vermittelſt der Erfahrung, kan ich weder wiſſen, welche Neigungen da ſind, die befrie- digt werden wollen, noch welches die Natururſachen ſind, die ihre Befriedigung bewirken koͤnnen. Das zweite ab- ſtrahirt von Neigungen und Naturmitteln, ſie zu befrie- digen und betrachtet nur die Freiheit eines vernuͤnftigen Weſens uͤberhaupt und die nothwendige Bedingungen, un- ter denen ſie allein mit der Austheilung der Gluͤckſeligkeit nach Principien zuſammenſtimt, und kan alſo wenigſtens auf bloſſen Ideen der reinen Vernunft beruhen und a priori erkant werden. Ich

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 806. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/836>, abgerufen am 03.06.2024.